Erfolgs-Band Folkshilfe: "Dialekt steht für Diversität.“

Bandleader Florian Ritt sprach mit der "freizeit" über das Kribbeln, vor 60.000 Menschen zu spielen, die Freiheit auf der Straße, die neue CD "Vire" – und den Charme der Mundart.

Die oberösterreichische Band Folkshilfe füllt längst große Hallen und spielt auf internationalen Festivals. Mit „VIRE“ haben die drei Linzer nun ihre vierte CD herausgebracht, die mit Paul Pizzera vorab produzierte Single „Najo eh“ wurde natürlich zum Hit.

Aber es dauerte doch eine Weile, bis sie sich mit ihrem ganz besonderen Musik-Stil etablieren konnten. 2015, da gab es sie schon einige Jahre, waren sie ganz plötzlich DIE Sensation bei den „Wer singt für Österreich“-Shows vor dem  Eurovision Song Contest in Wien. „Seit a poa Tog“ summten und pfiffen damals Bankdirektoren und Pensionisten, Verkäufer und Studenten. So einen frischen Mix aus Pop, Volksmusik und Rock hatte man seit dem frühen Hubert von Goisern nicht gehört. Und irgendwie schienen die Jungs noch um einen Tick ärger, schräger – fresher zu sein als ihr Vorgänger.

Im Endeffekt verließ die Abstimmenden dann der Mut, man entschied sich für eine konventionelle Poprock-Band, wer weiß, wie die Sache sonst ausgegangen wäre.

Für die Folkshilfe aus dem schönen Linz ist es im Endeffekt allerdings eh perfekt ausgegangen: Sie arbeiteten weiter an ihren Songs und hatten 2018 schließlich einen megamäßigen Radio-Hit: „Mir laungts“! Seitdem sind sie aus den österreichischen Haushalten genauso wenig wegzudenken wie von internationalen Konzertbühnen.

Schlagzeug, Gitarre, Knöpferl-Zieharmonika. Manchmal wird gejodelt, aber die Songs klingen doch nach zeitgemäßem Pop. Wie erklären Sie sich den Erfolg dieser ungewöhnlichen Mischung?
Florian Ritt: "Haha, ja, den Dialekt sollten wir nicht vergessen, der ist auch wichtig. Aber es stimmt natürlich, und wir sind mit dem Mix auch lange Zeit zwischen allen Stühlen gesessen. Zu wenig Pop für Ö3, zu wenig Indie für FM4, zu wenig regional für die Regionalsender. Das wird nix! haben uns viele Auskenner gesagt, wir müssten uns entscheiden, also für eine Richtung."
Das wolltet ihr aber nicht.
Nein, ich mag den Dialekt, weil ich darin Dinge ausdrücken kann, die sich im Hochdeutschen ein bissl sperren. Und die Besetzung hat sich vor über zehn Jahren so ergeben, die ist Teil unseres „Folkshilfe-Spirits“ ... Und jetzt spielen wir mit Rappern auf dem Szene-Open-Air, am Nova-Rock, waren Haupt-Act am Donauinsel-Fest, können aber auch auf kleinen Stadtfesten in der Provinz spielen, in der Wiener Arena genauso wie beim Festival der Regionen. Wir sind überall willkommen – und dafür bin ich dankbar.

"Vire" ist das Motto der Band - und so heißt auch ihre neue CD

©Hersteller
Ihr seid ja keine geborenen „Volksmusikanten“, wenn ich mich nicht irre ...
Ja, stimmt, wir kommen alle nicht aus der Ecke. Da gibt's ja richtig tolle Musiker, die aus der Tradition der Dorfmusikkapellen kommen. Wir haben aber alle drei an der Bruckner-Uni in Linz Musik studiert. Also ich Jazz-Gitarre, Gabriel Schlagzeug und Mathias, unser erster Gitarrist, klassischen Gesang. Neben unseren Bands, in denen wir damals gespielt haben, wollten wir auch etwas, wo wir uns richtig frei fühlen. So haben wir Folkshilfe gegründet – und keiner hat das Instrument gespielt, das er studiert hat. Also Gabriel dann halt die Cajon statt Schlagzeug, ich die Quetschn, die ich als 12-Jähriger einmal bekommen habe. Und so sind wir schließlich auf der Straße aufgetreten.
Sie haben als Straßenmusiker begonnen?
Ja, wir waren jung, Studenten. Wir hatten Zeit, aber keine Kohle – dafür machten wir gerne Musik. Und so hat sich das ergeben. Das war eine tolle Zeit, hinten auf unserem Pritschenwagen geschlafen, durch Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien gefahren, in irgendeiner Altstadt die Instrumente ausgepackt und losgelegt.

Straßenmusik machen Folkshilfe auch heute noch hin und wieder ... Liegt ihnen einfach im Blut.

Sie haben inzwischen ja auch auf Festivals vor 60, 70.000 Menschen gespielt. Was ist eigentlich schwieriger: Auf der Straße oder vor so einem riesigen Publikum?
In der Stadt vor Menschen zu spielen, die dich nicht kennen und auch nicht auf dich gewartet haben, ist schon schwieriger. Bei einem Konzert ist ja alles für dich vorbereitet. Du stehst auf einer Bühne, hast quasi einen Altar – und die Leute sind wegen dir da, warten auf dich. Aber die Straße ist eine echt harte Schule. Da musst du die Menschen erst von dir überzeugen. Und da gibt's genügend, die sich denken: „Mah, schon wieder so ein Trottel mit einer Gitarre, der einen Lärm macht ...“ Und wenn du's da um vier am Nachmittag in Köln schaffst, die Leute aus ihrem Alltag rauszureißen, ihnen Freude machst – das ist schon ein geiles Gefühl. Kostet mich aber auch immer einige Überwindung. Weil ich schon so einen „G'hertsi“ hab, wie man in Oberösterreich sagt, weil ich will  niemandem auf die Nerven gehen, nichts machen, was sich „nicht gehört“.
Und die große Bühne ist ganz normal?
Nein, nicht falsch verstehen. Das Gefühl, wenn man nachts unter den Scheinwerfern auf der Bühne steht und du kannst das Ende der Menschenmenge unten gar nicht erkennen, ist schon unglaublich. Elektrisch, das spürst du bis in die Haarspitzen. Wenn die dann auch noch springen und tanzen und mitsingen – mehr Glück geht nicht.   So wie’s auch richtig geil sein kann, wenn man einen Club-Gig vor 200 Zuschauern macht, wenn der Funke überspringt. Oder in einem Wirtshaus spielt, das machen wir auch manchmal.
Warum ist Ihnen der Dialekt im Zusammenhang mit Folkshilfe so wichtig?
Ich bin kein Verfechter des alpinen Pop. Ich höre das selbst ganz selten, bin da eher kritisch. Ich glaube auch nicht, dass man uns mit anderen Acts vergleichen kann, nur weil die auch eine Quetschn halten und im Dialekt singen. Weder was die Ästhetik betrifft noch die Einstellung. Darauf bin ich doch auch stolz. Und ich kann mit dem morbiden Humor im Austropop nichts anfangen. Obwohl das der österreichischen Mentalität nahe zu sein scheint: Alles immer gleich  relativieren, klein machen ... Genau darüber haben wir  jetzt mit Paul Pizzera den Song „Najo Eh“ gemacht.
Aber?
Aber prinzipiell mag ich Dialekt. Er zeigt, wie unterschiedlich ein Land sein kann. Dialekt steht für Diversität und nicht für etwas Reaktionäres. Dialekt steht dafür, wie verschieden wir alle sind, in diesem wunderschönen Land. Und alle, die hier geboren sind, haben ja einen Hauptpreis in der Geburtenlotterie gewonnen! Vielen ist das gar nicht bewusst, wie privilegiert sie alleine dadurch sind, dass sie eben hier geboren wurden und nicht in einer weniger gesegneten Weltregion ...
Aber limitiert er nicht auch? Ich könnte mir vorstellen, dass Konzertbesucher in Norddeutschland Probleme haben ...
Die haben dort auch kein Problem mit Dialekt, sie verstehen ihn halt nicht. Das ist dann ein bissl wie beim Italo-Pop. Den versteht auch keiner, aber trotzdem mag man ihn. Er transportiert Gefühle. Ich selbst kann kein Wort Italienisch – aber mir gefallen doch sehr viele Songs aus Italien.
Damit spielt Folkshilfe ja ganz bewusst, wie mir scheint. Die rhythmischen Wiederholungen verschiedener Dialektausdrücke heben die auf eine völlig neue Stufe. Das bekommt eine Qualität, als wäre es eine komplett andere Sprache.
Das freut mich wirklich, dass Sie das jetzt sagen, denn genau darum geht's für mich. Ich höre sehr gerne Musik aus dem Senegal und aus Südafrika, schon, als ich noch Gitarre studiert habe, und die beeinflusst mich dann natürlich auch im Songwriting. Und gerade hier erlaubt einem der Dialekt, phonetisch richtig swaggy zu sein. Und so hoffe ich, Refrains zu schreiben, die alle verstehen können, auch wenn sie sie nicht verstehen.
„Kummama“ scheint ein perfektes Beispiel dafür zu sein, dass das auch klappt. Dazu gibt’s mit Songs wie „Alles in mir“ auch ungewohnt sanfte, melancholische Töne.
Der Fokus beim neuen Album war mehr auf den Songs als auf den Sounds, es ging mir darum, richtig coole Popsongs zu schreiben. Ich hab mich in den ersten Jahren immer noch eher als Musikant gesehen und nicht so sehr als Songwriter oder Künstler.
Dafür haben Sie aber schon früh einige Riesen-Hits geschrieben. „Seit a poa Tog“ etwa. Oder 2017  „Mir laungts“, das ist doch eine ziemlich perfekte Verbindung aus Dialekt- und zeitgemäßem Hitparaden-Song, wie mir scheint.
Witzig, dass Sie den jetzt ansprechen. Von dem haben S’ beim Radio nämlich zuerst nichts wissen wollen. Das hat lang gedauert, bis sie den gespielt haben. Und dann war er dafür 40 Wochen lang in den Charts ... Aber ja, da wollen wir schon hin. Das war doch eine gewisse Entwicklung, die wir gemacht haben.
Spielen Sie eigentlich überhaupt noch Gitarre, die Sie ja studiert haben?
Ja, sehr viel sogar. Da gibt's erstens mein Solo-Projekt FRINC, bei dem ich Gitarre spiele. Das war meine Band vor Folkshilfe, die ich jetzt während der Pandemie wieder aktiviert habe. Da lebe ich alles aus, was sich mit Folkshilfe und Dialekt nicht ausgeht, Dancehall, Reggae, Hip-Hop. Und dann spiele ich im Studio auch für andere Künstler, Mavi Phoenix etwa oder Edmund, ganz unterschiedlich. 
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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