Ida (Rakel Lenora Fløttum) zieht in einen neuen Wohnblock ein und lernt ungewöhnliche Kinder kennen: „The Innocents“

Filmkritik zum Arthouse-Horror "The Innocents": Keine Kinderspiele

Unheimlicher, norwegischer Horror über vier Kinder und ihre übernatürlichen Kräfte von Regisseur und Drehbuchautor Eskil Vogt

Mit dem Mythos vom unschuldigen Kind räumt der norwegische Drehbuchautor und Regisseur Eskil Vogt ziemlich gründlich auf. Die neunjährige Ida mag süß, blond und blauäugig sein. Ihr engelhaftes Aussehen hält sie aber nicht davon ab, heimlich ihre ältere, autistische Schwester Anna in den Arm zu zwicken oder einen Regenwurm zu zertreten.

Eskil Vogt hat sich vor allem als Autor von Regisseur Joachim Trier profiliert, dessen jüngster Erfolg „Der schlimmste Mensch der Welt“ ebenfalls auf seinem Drehbuch beruht. Mit dem atmosphärischen Arthouse-Grusel „The Innocents“ aber taucht Vogt tief in die Abgründe des Horror-Genres ein und fördert cinephile Fundstücke zutage, die an Klassiker wie „Shining“ und „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“ erinnern.

Zuerst sieht alles nach reinem Kinderspiel aus. Die kleine Ida übersiedelt mit ihrer Familie in eine norwegische Wohnbausiedlung am Rande eines Waldes. Beim Herumstreunen im Gebüsch lernt sie einen Buben namens Ben kennen. Der sieht genauso harmlos aus wie sie und wird deswegen von größeren Buben gemobbt. Tatsächlich aber hat er die seltsame Gabe, Gegenstände zu verrücken oder durch die Luft fliegen zu lassen. Ida ist von seinen Fähigkeiten begeistert. Dann taucht ein kleines Mädchen namens Aisha auf. Sie kann sich mit den Gedanken anderer verbinden, etwa mit denen von Idas autistischer Schwester Anna.

Telepathie

Die vier Kinder schützen das Geheimnis ihrer besonderen Fähigkeiten vor einer ahnungslosen Erwachsenwelt, die von der Kamera meist nur aus der Augenhöhe der Kleinen eingefangen wird. Schleichend verschiebt Eskil Vogt eine magische Welt der Kindheit, angesiedelt zwischen Naivität und Grausamkeit, in Richtung Horror.

Ben kann seine Fähigkeiten derart düster zuspitzen, dass nicht nur Katzen zu Schaden kommen. Als seine dunkle, sadistische Macht zunimmt, setzen sich die Mädchen zur Wehr.

Eine Kinderfreundschaft verdüstert sich: "The Innocents"

©Polyfilm

Was nach einer Originalstory von kleinen Superhelden und ihren übernatürlichen Kräften klingt, sieht im kühlen Skandinavien-Look auf den ersten Blick denkbar arglos aus. Doch das realistische Setting eines netten Kinderspielplatzes vor brutalistischen Betontürmen macht die kaum merkliche Entfaltung sinistrer Kräfte zwischen Telepathie und Telekinese noch unheimlicher. Während Anna und Ben zum tödlichen Kräftemessen ausholen und der Sand unter ihren Füßen vibriert, schaukeln die Mütter unbedarft ihre Kinderwägen weiter. Ihnen fällt gar nicht auf, dass ihre Babys verdächtig laut schreien und die Hunde erschreckt bellen.

Die Erwachsenen ahnen nichts von der magischen Welt ihrer Kinder: "The Innocents"

©Polyfilm

Schon allein das Kinder-Ensemble von „The Innocents“ ist herausragend. Entweder, Eskil Vogt hat ein besonders gutes Händchen für kleine Darsteller zwischen sieben und elf – oder er hat lauter Naturtalente gecastet. Wahrscheinlich beides.

INFO:  NOR/SWE/DK 2021. 117 Min. Von Eskil Vogt. Mit Rakel Lenora Fløttum, Sam Ashraf.

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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