Faszination Horrorfilm: Warum wir uns gerne fürchten

Was können wir aus aus der Konfrontation mit unseren Ängsten lernen? Ein Experte gibt Einblick in die Hintergründe.

Es ist eigentlich paradox. Daheim hat man es gerne gemütlich und will sich vor allem sicher und wohl fühlen. Und dann geht man ins Kino und setzt sich – gerade rund um Halloween – im dunklen Saal bewusst dem grauenerregenden Treiben auf der großen Leinwand aus: viktorianischen Spukhäusern, rasenden Zombies, motivlosen Maskenmördern oder dem beunruhigenden Gefühl, auf dem dunklen Waldweg nicht alleine zu sein.

Ganz und gar nicht paradox findet das hingegen David Wagner, Senior Lecturer für Philosophie an der Universität Wien, der sich in seinen Lehrveranstaltungen unter anderem mit der „Philosophie des Horrorfilms“ beschäftigt. „Dadurch, dass wir uns mit unseren Ängsten konfrontieren, finden wir mehr über uns selbst – und die Grenzen des eigenen Ichs – heraus.“

Ventilfunktion und Bewältigungsstrategie

Die Konfrontation mit der Angst erfüllt aber auch einen psychologischen Nutzen. Habe sich der Stress und die mentale Belastung aufgestaut, könne man etwa wie beim Achterbahnfahren laut schreien und alles rauslassen. „Man kann aber auch einen Film ansehen, der einen schockiert und aus dem belastenden Gedankenloop herausreißt, in dem man gefangen ist. Beides wirkt wie eine Katharsis“, sagt der Experte.

Und das Beste daran? Es kann einem nichts passieren. Fürchtet man sich zu sehr, kann man einfach die Hand vorhalten. „Es ist eine Art geschützte Werkstatt“, erklärt Wagner. „Man setzt sich, in sicherer Umgebung, dem Schrecken aus, um ihn zu verarbeiten.“

Auch dem real erlebten Schrecken, wie ein Blick zurück zeigt: Als in den 1960er-Jahren an der University of Wisconsin eine Studentin brutal ermordet wird, steigt in der darauffolgenden Woche im Nachbarkino die Anzahl der an Studentinnen verkauften Tickets für den verstörenden Filmklassiker „Kaltblütig“ um 89 Prozent. Bei einer gleichzeitig gezeigten Komödie lässt sich hingegen kein Zuwachs verzeichnen.

Auch in Zeiten globaler Krisen, etwa während des Vietnamkrieges oder nach 9/11 ist dieser Effekt zu beobachten. Umgekehrt spiegeln sich im Horrorgenre, das sich bis zu den Anfängen der Filmgeschichte zurückverfolgen lässt, auch gesellschaftliche Umbrüche wider – wie die sich verändernde Rolle der Frau.

Wehrhaft

Ein gutes Beispiel dafür ist „Die Frauen von Stepford“ (1975), ein Film, der während der zweiten Welle der Frauenbewegung in die Kinos kam. „Frauen befreiten sich aus ihren bisherigen Rollen“, sagt Wagner, „und dann kam dieser Film, der zeigt, wie furchtbar das eigentlich ist, wenn Männer das nicht zulassen und eigentlich nur wollen, dass sie nichts als Puppen sind.“

Feminismus und starke Frauenfiguren, wie etwa die Heldin der Scream-Reihe, haben auch im Horrorgenre einen festen Platz. „War es vielleicht früher so, dass Horrorfilme eher ein männliches Publikum angesprochen haben, hat sich das mit der Zeit gedreht. Es gibt viele weibliche Identifikationsfiguren, deren Geschichten ermächtigend wirken. Auch mein Kurs an der Uni wird zu zwei Dritteln von jungen Frauen belegt. Das Klischee von der Frau, die sich fürchtet und nur Liebesfilme schauen will, stimmt so einfach nicht.“

Pandemiehorror

Auch die globale Krise und das kollektive Trauma der Corona-Pandemie werden im Horrorgenre bereits aufgearbeitet: Etwa im taiwanesischen Werk „The Sadness“ (2021), das den Ausbruch einer Viruserkrankung abbildet, der die Menschen völlig durchdrehen und gewalttätig werden lässt. „Wir können uns gut damit identifizieren, wie gruselig es ist, nicht zu wissen, welche langfristigen Auswirkungen ein Virus hat.“ Ein anderes Beispiel ist der Film „Host“ (2020), der gänzlich mit Zoom-Software gedreht wurde und die Lebensumstände während der Lockdowns direkt aufgreift. „Ich kann mir vorstellen, dass da noch einige Variationen der filmischen Pandemieverarbeitung auf uns zukommen“, sagt Wagner. 

Oft stehen im Genre auch existenzielle Themen im Zentrum. „In klassischen Horrorfilmen, die auf alten Schauerromanen basieren, gibt es immer eine Figur, die in uns unangenehme und ambivalente Gefühle hervorruft. Bei Frankensteins Monster irritiert uns, dass das ja ein lebender Leichnam ist, dem man nicht trauen kann, weil ihm das Gehirn eines Verbrechers eingesetzt wurde. Dracula beneiden wir im ersten Moment vielleicht um sein ewiges Leben. Doch gleichzeitig fragen wir uns, wie furchtbar das sein muss, nicht sterben zu können und kein echter Mensch mehr zu sein.“ 

Anya Antonius

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