Eine Stradivari für jedermann und für immer

Vor zwei Jahren ging die Stadt Cremona in einen Lockdown – für die Musik. Die wertvollen Instrumente wurden digitalisiert. Nun, zwei Jahre später, stehen 100.000 Stradivari-Töne zur Verfügung.

Von Susanne Zobl

Ihr Klang ist einzigartig, extravagant, elaboriert. Mythos und Wirklichkeit zugleich, hölzerne, lackierte Wirklichkeit mit vier Saiten. Seit 300 Jahren sind sie auf der Welt, die Geigen, Bratschen und Celli von Antonio Stradivari. An die tausend Instrumente sollen in seiner Werkstatt in der norditalienischen Stadt Cremona entstanden sein, die besten zwischen 1700 und 1725, in der „goldenen Periode“. Der Wert jedes einzelnen wird auf Millionen geschätzt – das teuerste, eine Bratsche, konkret die „Macdonald“-Viola wurde von Sotheby’s 2014 um 45 Millionen Dollar angeboten. Käufer hat sich bis heute keiner gefunden. Unter den Geigen liegt die „Lady Blunt“ (1711) in Führung. Sie gehörte einst Anne Blunt, der Enkelin des Dichters Lord Byron und wurde mit 15,9 Millionen Dollar (11 Millionen Euro) versteigert. Unschätzbar ist jedoch der musikalische Wert dieser Instrumente.

Wie lange noch?

Wie viele Generationen diesen Klang aber noch erleben werden, weiß niemand. Thomas Koritke von E-Instruments in Deutschland will diesen Klang für die Nachwelt bewahren – durch Digitalisierung. 2019 hatte er die Verantwortlichen im Museo del Violino in Cremona von seinem Vorhaben überzeugt. Das italienische Start-up Audiozone Studios, die Stadt Cremona und das internationale Netzwerk „Friends of Stradivari“ unterstützten das Projekt. Vier Instrumente wurden vom Museum ausgewählt: die Violinen Antonio Stradivari „Vesuvius“ 1727, die Guarneri del Gesù „Prince Doria 1734, die Bratsche Girolamo Amati „Stauffer“ 1615 und das Cello Antonio Stradivari „Stauffer“ 1700.

Vier Musiker spielten jeden Ton in sämtlichen Varianten. Fünf Wochen, von 7. Jänner bis 9. Februar 2019, hatten sie dafür Zeit. 32 Mikrofone waren im Auditorium Arvedi im Violin-Museum in Cremona positioniert. Das Problem: Diese Geräte waren so sensibel, dass sie nicht nur die Töne im Saal aufnahmen, sondern jeden Schritt auf dem Kopfsteinpflaster der umliegenden Straßen. Also Sperre. Nicht genug damit. Auch die Bewohner waren zur Ruhe angehalten. Sogar der Aufprall eines Trinkglases in einer der benachbarten Bars wurde von den Mikros dokumentiert. Einzige Lösung: alles still zu legen.

Ausgerechnet jene Stadt, die ein Jahr später zu einem der Epizentren der Pandemie in Italien werden sollte, musste die ersten Lockdown-Erfahrungen machen.

Um die 100.000 Töne wurden dokumentiert. Doch es geht um mehr als um ein digitales Klangarchiv, „es geht um Demokratisierung“, erklärt Koritke. Jeder Komponist soll durch dieses Projekt die Möglichkeit haben, den Klang einer Stradivari für seine Tonschöpfungen zu verwenden. „Denn diese Instrumente werden im Museum aufbewahrt und dort auch gespielt, aber als Musiker oder als Komponist hat man keinen Zugriff darauf. Indem wir die Töne digitalisieren, schaffen wir weltweit die Möglichkeit, den Klang für Kompositionen einzusetzen.“

©APA/AFP/PATRICK KOVARIK

Überall

Dies geschieht über eine eigene Software. In der Tat: es funktioniert. Der KURIER fragte nun, rund um den zweiten Jahrestag nach der Aufnahme des ersten Tons, nach. Koritke schickte Tonbeispiele, die mittels dieser speziellen Software abgerufen und neu zusammengefügt werden können.

Die Berichterstatterin ließ diese von einem Profi, dem irischen Komponisten Adam McCartney, begutachten. „Die Tonbeispiele klingen gut“, lobt er, das Sample sei interessant. Seit Jahrzehnten bedienen sich Komponisten solcher Bibliotheken, die Idee aber, diese auf historische Instrumente auszuweiten, und Wert auf Details wie auf den Instrumentenbauer, den Musiker und den Tontechniker zu legen, mache einen großen Unterschied, so McCartney. Eines aber ist Koritke wichtig: Die digitalen Töne sollen die Instrumente nicht ersetzen, sie sollen Werkzeug für Komponisten sein.

Autorin: Susanne Zobl

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