Ein hochemotionaler Sog zwischen Leben und Tod

Graz: Österreichische Erstaufführung von Georg Friedrich Haas’ „Morgen und Abend“

„Warum ist es so still in der Kammer, so unerträglich still? Ist etwas passiert?“ Nach einem gewaltigen Paukengewitter im Orchester sind dies die ersten Worte des einfachen Fischers Olai, der zwischen Vorfreude und Bangen auf die Geburt seines Sohnes wartet. Es ist der Beginn der zweigeteilten Geschichte von Vater und Sohn, beide Fischer, an der kalten Küste Norwegens über Leben und Tod, die zwischen Realität und Traum, Sehnsucht und Illusion changiert.

Morgen und Abend“ heißt die siebente Oper des aus Graz stammenden und jetzt in New York lebenden Komponisten Georg Friedrich Haas (Libretto: Jon Fosse nach seinem gleichnamigen Roman), deren Uraufführung in London 2015 zu einem Triumph wurde. Nach Aufführungen in Berlin und Heidelberg erlebt dieses Werk seine österreichische Erstaufführung an der Oper Graz.

Fundstücke des Lebens

Rifail Ajdarpasic hat einen imposanten Schiffsrumpf gebaut, dessen Inneres mit Schwemmgut, wie Fundstücke des Lebens, vor allem mit viel Schotter und Sand gefüllt ist. Hier zeigt Immo Karama sehr vom Text inspiriert, eindringlich, ideenreich und präzise im ersten Teil das Warten von Olai auf die Geburt seines Sohnes Johannes, der schließlich ins Bett gelegt wird und Sekunden später plötzlich zum Greis mutiert.

Im zweiten Teil erlebt man intensiv dessen letzte Stunde, begleitet von seiner jüngsten Tochter Signe, von Visionen seiner verstorbenen Frau Erna und seinem ebenfalls toten, besten Freund, der ihn wie der Fährmann Charon ins Jenseits mitnimmt. Hier gelingt es dem Regisseur, die Nahtoderfahrung hautnah zu vermitteln.

Die expressive Musik von Haas löst einen starken emotionalen und dramatischen Sog aus. Sie besitzt archaische Wucht, hohe Leuchtkraft mit irisierenden Klangflächen, einem Reichtum von Harmonien, unter Verwendung von Glissandi, Obertonspektren und feinen Intervallschichtungen. Unter der Leitung des Chefdirigenten Roland Kluttig werden diese komplexen Klänge von den Grazer Philharmonikern mit Präzision, Konzentration und Emotion wiedergegeben.

Cornelius Obonya verkörpert die Sprechrolle des Olai mit nuancenreicher Eindringlichkeit. Kraftvoll und famos singt Markus Butter den Johannes, Neugeborener und Sterbender, ein Mann am Beginn und Ende seines Lebens. Cathrin Lange singt die Hebamme und Signe mit glasklarem Sopran und ungefährdeten extremsten Höhen. Christina Baader ist die warmherzige Erna. Als Peter besticht Matthias Koziorowski mit expressivem Tenor. Großer Jubel, auch für den Komponisten.

Von Helmut Christian Mayer

Kommentare