Die Diva - Göttin auf Zeit. Eine Annäherung
Wir lieben, leiden, siegen und scheitern mit ihnen. Wir beten sie an - und verhöhnen sie, wenn sie strauchelt: Die "freizeit" ist dem Geheimnis der „Göttlichen“ auf der Spur.
Schön und schillernd, größer als das Leben selbst: die Diva. Gibt es sie eigentlich überhaupt noch? Sie, die Göttliche, so unberührbar und doch verletzlich?
Merkwürdige Frage, mag sich jetzt mancher denken, leben wir doch in einer Zeit der übermäßigen Diven-Dichte. Verzweifelte PR-Strategen schnalzen einem immer lethargischeren Publikum die neuen Pop-Diven nur so um die Ohren, dazu gibt’s die Szene-, Club-, Society-, Fashion- und wohl auch die ein oder andere TikTok-Diva. Opern- und Film-Diven soll es tatsächlich auch noch geben – und das alles ist nur die Spitze des Eisbergs. In den „Diven-Foren“ diverser Influencer- und Mode-Chanels werden von hunderttausenden Teilnehmern Schmink-Tipps und Styling-Ideen, Rezepte und Anleitungen zum besten Sex des Divenlebens getauscht. Per App also zur Diva – wo bleibt hier das Geheimnis, der Zauber, der Mythos?
Im „Victoria and Albert Museum“ in London wird man ab 24. Juni auch diesen Fragen nachgehen. Das größte Museum für Design und Kunstgewerbe der Welt ist dann für ein knappes Jahr ganz auf Diva eingestellt: Fotografie, Mode, Design, Kostüme, Musik – alles dreht sich nur um sie. Und ihn. Denn dass die Diva nicht unbedingt eine Frau sein muss, ist Kulturwissenschaftlerinnen wie Elisabeth Bronfen, die darüber ein kluges Buch geschrieben hat, schon längst klar und wird so auch bei der Schau in London berücksichtigt. Weshalb wir dort unter anderem Elton John und Prince, also ihren Fotografien und Kostümen, begegnen.
Außerdem lest ihr in dieser Geschichte noch:
- Wie Helden zu Stars wurden
- Was die Diva mit griechischer Mythologie zu tun hat
- Was Elton John und Prince mit Marlene Dietrich vereint
Aber was, außer, dass sie ihre Sache gut machen, haben sie gemeinsam, Rita Hayworth und Ava Gardner, Billie Holiday und Whitney Houston, die Callas, Presley, Prince – oder Sarah Bernhardt?
Wissenschaftler wie Bronfen gehen auf der Suche nach dem gemeinsamen Nenner in der ersten Etappe zurück bis ins späte 19. Jahrhundert.
Aus Helden werden Stars
Damals fingen die ersten echten „Stars“ an, größer und bekannter zu werden als die Figuren, die sie auf der Bühne verkörperten.
Über „die“ Bernhardt etwa schrieb zu genau dieser Zeit der bekannte Schweizer Kritiker Joseph Victor Widmann: Wahrhaftig, sie ist all der Aufregung wert, in die sie die Welt versetzt hat. Der Zauber, der von ihrer Persönlichkeit ausgeht, ist unbeschreiblich. Sie ist ein so von Geist durchdrungenes schönes Weib, daß jede Regung ihrer Seele zum Aufleuchten hellster Schönheit wird. Sie ist nichts anderes als der von einem anmutigen und zugleich energischen Genius beseelte, jedem warmen Impulse dienstbare Leib einer so nicht leicht zum zweiten Male existierenden Frau. Ich weiß nur, daß ich etwas Schöneres als die Gesamtheit dieser Erscheinung und dieser Bewegungen niemals gesehen habe ...
Das ist keine Kritik, das ist eine Anbetung. Wie es einer Diva gebührt eben. Und so lösten Diven die Helden, die sie verkörperten, ab, die alten und auch aktuellen, die mystischen und die realen, so es die überhaupt gibt. Mit ihnen identifizierte sich nun das Publikum.
Aus Göttern werden Diven
Es sind aber genau die abgelösten Helden und Götter, in deren Fußstapfen die neuen Stars stiegen, bei denen die Wurzel des Diva-Mythos zu finden ist. Denn die waren, ganz wie Schauspieler und Models, Sänger, Musiker, Künstler und Dichter, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es gab den bodenständigen Typus, quasi den Helden von nebenan, wie zum Beispiel Odysseus.
Der ist nicht der Stärkste und Größte, aber mit Mut, Geschick und einer gehörigen Portion Lügerei meistert er jede noch so heikle Situation. Bei ihm fühlt sich der Leser, Hörer, Seher sicher, „der schafft das, ihm passiert nichts“, denkt man sich auch bei seinen haarsträubendsten Abenteuern. Und dann gibt’s den großen, tragischen, der immer schon mit einen Bein am Olymp steht. Nehmen wir Achilles als den Prototyp.
Als Halbgott ist er Lichtjahre über seinen Heldenkollegen angesiedelt, als Mensch allerdings immer gefährlich nahe am Abgrund. Ein Konflikt, der ihm durchaus bewusst ist oder den er zumindest fühlt, was ihn etwas launisch macht gegenüber den Trivialitäten des Alltags. Man könnte auch sagen: Er hat Star-Allüren.
Dieser Held/Halbgott ist also eigentlich unausstehlich. Zumindest phasenweise. Aber bei ihm wie bei keinem anderen hält das Publikum den Atem an. Es spürt und fürchtet das finale Scheitern – und irgendwie erwartet es genau das auch. Er scheitert, damit wir es nicht müssen, sondern sicher mit Kumpel Odysseus ein paar Schläuche Wein zwitschern können, während wir uns gegenseitig scharfe Lügengeschichten erzählen.
Ein Stern verglüht
Für Bronfen und viele ihrer Kollegen wird der „normale“ Held so von der Identifikations- zur Erlösungsfigur. Und hat damit genau das, was die Diva ausmacht. Denn die Reibungsfläche zwischen dem viel zitierten „Begnadet“- und dem bloßen Menschsein lässt manche eben ganz besonders hell leuchten.
Eine Anekdote aus der Opernwelt veranschaulicht das Dilemma, das dabei allerdings entsteht: Christa Ludwig und Maria Callas bei Plattenaufnahmen. Beide anerkannte Jahrhundertsängerinnen.
Christa Ludwig zieht die eigentlich eh bequemen Schuhe aus, damit sie richtig geerdet im breiten Stand die schwierige Partitur meistert, ohne sich dabei verausgaben zu müssen. Die Callas sieht aus, als käme sie gerade vom Frühstück bei Tiffanys, steht in königlicher Haltung am Pult, ihre Füße in eleganten Pumps, als wollte sie die Erde nur mit der geringstmöglichen Fläche berühren. Während Ludwig ihren gefeierten Mezzosopran pflegte und seine Qualität bis ins hohe Alter erhalten konnte, nahm die Diva, die „Göttliche“, wie wir wissen keine Rücksicht auf ihren menschlichen Körper, ihre Stimme – und verglühte.
Ich neige nicht zu Übertreibungen, aber ich muss bei aller Abwehr der kritiklosen Callas-Verhimmelung gestehen, daß es in der Geschichte der Aufzeichnung des menschlichen Gesanges nichts Atemberaubenderes gibt als diesen dritten Akt der Medea. Hier sang jemand um sein Leben, und wenn man die Callas nach diesem Abend tot von der Bühne getragen hätte, mich würde es nicht wundern. Das ist eine Selbstentäußerung, das ist vokaler Wahnwitz in einem Grade, der jede Kritik verstummen läßt, ja jede fachmännische Beurteilung nebensächlich erscheinen läßt. So darf man einfach nicht singen, so darf man sich nicht auf der Bühne selbst verbrennen ... schrieb der deutsche Kulturwissenschaftler und Kritiker Jens Malte Fischer so treffend über die "Primadonna assoluta".
Aber warum tut sie das? Warum tun "sie" das? Ist es bloß ihr Image, das manche Stars zu sehr verinnerlicht haben, bis sie an ihm scheitern, oder ist es tatsächlich das „Besondere“, Quasi-Göttliche, das sie über allen anderen schweben lässt und dabei zwingt, ständig an ihre menschlichen Grenzen zu gehen?
Schwer zu sagen, eine Romy Schneider hatte wohl keine Absicht, bloß ihrem Image zu entsprechen. Eine Marlene Dietrich vielleicht schon, sonst hätte sie in späteren Jahren nicht versucht, alle Filmaufnahmen von sich zu verhindern, weil sie eben diesem Image im Alter nicht mehr entsprach. Vielleicht war sie aber auch wirklich so, wie sie sich in jüngeren Jahren inszenierte und sehnte sich nach diesem Teil ihrer selbst zurück?
Und welche „neuen Diven“ präsentiert uns demnächst das Londoner Victoria und Albert? Aus der jüngeren Vergangenheit, also post Marilyn & Co., sind es die bereits erwähnte Whitney Houston, was durchaus Sinn macht, war sie doch so etwas wie die Callas des Soul. Grace Jones, weil sie „immer an Grenzen ging“, Annie Lennox, Blondie, Tina Turner, dazu auch Björk, von der man sich allerdings vorstellen kann, dass sie die Schuhe im Tonstudio auszieht.
Janelle Monáe noch ganz aktuell, die ist natürlich gut, aber ist sie eine Diva? Es wird sich weisen, ob ihr sensationelles Vulva-Kostüm bloß ein Diven-Outfit war oder ob mehr dahinter steckt. Fast möchte man ihr wünschen „nein!“, denn manchmal reicht es wohl auch ganz einfach, wenn man, wie Dame Shirley Bassey im Vorwort zur Ausstellung in London schreibt, die „Diven-Rolle“ nur spielt. Vielleicht ist dass dann ja sogar die entschieden gesündere Version ...
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