Dirk Stermann: „Ich stelle mich schlechter dar, als ich bin“
Spätes Debüt: Dirk Stermann ist neuerdings Solo-Kabarettist. Das Interview über die Gründe für den Alleingang und seine Lust an der humorvollen Selbstzerfleischung.
Was hinter Dirk Stermann liegt: drei Wochen Griechenland. Die sonnengetankte Bräune ist ihm heute noch im Gesicht anzusehen. Was ist: strömender Regen in Wien, als wir zum Interview im Café unter einer schützenden Markise sitzen. Was ihm bevorsteht: die Premiere von „Zusammenbraut“ am 12. Oktober. Es ist Dirk Stermanns erstes Solo-Kabarett, also ohne wie üblich mit Christoph Grissemann. Wie in seinem Roman „Maksym“ spielt er auch auf der Bühne mit seinem literarischen Selbst. Also lässt er seine Tochter heiraten, ist aber nicht eingeladen und schmeißt eine eigene Party. Und die wird zur Abrechnung mit seinen Vaterqualitäten.
Nein. Wir gehen uns oft auf den Geist. Aber entliebt haben wir uns nicht. Durch das Bücherschreiben bin ich auf den Geschmack gekommen, etwas alleine zu machen. Und er hat ein bisschen den Geschmack verloren, etwas gemeinsam machen zu wollen. Ständig treffen und arbeiten gefällt ihm nicht allzu sehr.
Trennen können wir uns ja nicht. Es ist eher öffentliches Fremdgehen. Wir sehen uns immerhin jeden Montag, wenn wir eine neue Folge von „Willkommen Österreich“ aufzeichnen.
Ich glaube, er kann nicht, hat an dem Tag irgendwas, muss arbeiten. Ich habe ihn allerdings auch nicht eingeladen. Er lädt mich aber ebenfalls nie ein. Wir laden uns gegenseitig nie ein.
Die Antwort ist: ja. Den Kleinkunstnagel oder die Kabarettpfanne aus Karlsruhe und dergleichen. Aber im Ernst, ich finde es auch etwas grotesk; mit 56 neu anzufangen, ist doch spät. Ich bin nervös, im Moment überwiegt die Anspannung.
Offenbar habe ich Bock darauf, meine Vaterrolle zu zerfleischen. Aus unerfindlichen Gründen, denn ich bin ein wahnsinnig guter Vater. Gleichzeitig macht man viele Fehler. Auf die konzentriere ich mich. Ich stelle mich schlechter dar, als ich bin, das war schon im Roman „Maksym“ so. Das Buch handelt von meiner späten Vaterschaft mit dem Sohn, das Kabarett von meiner frühen, also der erwachsenen Tochter. Das war die Idee.
Österreicher stellen sich ins Zentrum der Grausamkeit, reden über sich selbst schlecht. Deutsche dagegen gern über andere.
Als junger Vater bist du in der Früh relativ fit. Als älterer musst du erst deine Gelenke einrichten. Mit Aufstehen und Kind wecken habe ich mir aber bei beiden schwergetan.
Als Kind habe ich darunter gelitten, dass mich mein Vater beim Aufwecken gefragt hat: Willst du ’n Ei? Ohne vorher guten Morgen zu sagen, gleich beim Hochziehen der Jalousien. Und ich musste mich aus dem Tiefschlaf gerissen sofort entscheiden. Das fand ich schrecklich. Jetzt frage ich meinen Sohn morgens immer dasselbe. Sonst ähnle ich meinem Vater aber kein bisschen.
Die Generation meines Vater musste im Alter entdecken, dass sie ihr Kind eigentlich nicht erlebt haben. In meiner Generation konnte und wollte man das schon. Wenn ich mit meiner großen Tochter (heute 30, Anm.) früher am Spielplatz saß, war ich ein Mann unter 30 Frauen. Heute, mit meinem sechsjährigen Sohn, ist das Verhältnis dagegen ausgeglichen. Was sich allerdings nicht verändert hat, ist, dass Mütter den Vätern die Erziehung nicht zutrauen.
Es ist einerseits verständlich. Mütter kriegen tradierte Muttergeschichte ebenso wenig aus dem Kopf wie umgekehrt Väter. Andererseits kann ich allen Müttern nur sagen: Alle alleinerziehenden Väter, die ich kenne, haben es gut hingekriegt ihre Kinder erwachsen zu bekommen. Vielleicht weniger gekämmt oder weniger penibel gekleidet. Aber sie haben’s geschafft. Männer können das. Und Frauen können das natürlich auch.
Es ist total selbstverständlich. Damit das Kind abends einschläft, musst du eine Geschichte vorlesen. Außerdem ist es saugemütlich. Und wenn du nicht willst, dass dein Kind verhungert, musst du ihm hin und wieder was zu essen machen. Ich würde deshalb auch nicht von einem „Vollblutvater“ sprechen. Sondern von jemandem, der Bedürfnisse erfüllt. Ich wüsste auch nicht, was ein Halbblutvater ist.
Ich warte nicht darauf. Es macht einfach Spaß, sich Eigenschaften zuzuschreiben, die überhaupt nicht stimmen. Und mich dann zu fragen: Wäre es nicht total arg, wenn ich so wäre? Auf diese Weise kann ich böse Gedanken über mich, aber auch Ängste loswerden, und humoristisch verpacken.
Es ist ein Spiel mit der Fiktion. Ich spiele mit Ingredienzien meines Lebens. Ich bin’s, aber ich bin’s halt auch nicht. Eben in dramatisierter Form.
Ich glaube nicht. Ich habe immer mehr an den Österreichern kapiert als an den Deutschen. Was ich nicht ganz verstehe, ist, dass es immer noch nicht mehr Wiener toll finden, in Wien zu leben. Dass die Leute noch immer schimpfen und meckern. Dabei macht mich der Vergleich mit jeder anderen Großstadt sicher, dass es die beste Stadt zum Leben ist. Andererseits weiß ich nicht, wie es sich in Manila oder Jakarta lebt. Aber in Mitteleuropa ist Wien unerreicht.
Letztlich ja. Und letztlich weiß ich, dass in dem Schimpfen ganz viel Liebe steckt. Das tiefere Erkennen, dass es eigentlich gut ist. Vielleicht ist das Schimpfen auch der Grund, warum Wien so lebenswert ist. Weil man dann nicht stagniert.
Der Hauptunterschied ist: Österreicher stellen sich ins Zentrum der Grausamkeit, sie reden über sich selbst schlecht. Selbstzerfleischung also, aber auf sehr lustige Art. Die Deutschen dagegen reden gerne über jemand anderen. Den hiesigen Zugang finde ich geiler und interessanter. Ich stehe also in der österreichischen Humortradition.
Christoph und ich haben auf Wunsch des ORF einmal eine Spiele-Show wie „Schlag den Raab“ moderiert. Den Namen habe ich verdrängt („Keine Chance – Die Stermann gegen Grissemann Show“, 2012, Anm.), aber es war schrecklich. Regie führte einer, der sonst „Wetten, dass ..?“ macht, mit Krankameras und so. Das entsprach uns gar nicht. Es lief zur Primetime, hatte unendlich wenig Zuschauer und war unendlich schlecht. Das hätten wir uns sparen können.
Äußerlich bin ich einer. Innerlich muss ich es aber nicht sein. Die Kritik an dem, was ein alter weißer Mann verkörpert, kann ich nachvollziehen. Gleichzeitig ist nicht jeder alte weiße Mann ein alter weißer Mann. Das ist weder geschlechts- noch altersabhängig. Für mich bezeichnet der Begriff, aus welcher Denkschule man kommt, für welchen Gesellschaftsentwurf man steht.
Man will eigentlich etwas Richtiges. Aber dadurch, dass es so viele Untergruppen gibt, von denen jede behauptet, alle anderen verhalten sich falsch, passiert Folgendes: Die echten alten weißen Männer sitzen in der Ecke, reiben sich die Hände und freuen sich, dass wir alle gegenseitig auf uns losgehen. Ich glaube, wir sollten vielleicht nicht grundsätzlich bei allem so empfindsam sein. Und besser gemeinsam an den großen Themen arbeiten.
Es hält geistig fit, wenn man Klassiker wie zum Beispiel „Pippi Langstrumpf“ vorliest, weil man dabei ständig live ins politisch Korrekte übersetzen muss. Statt „Negerkönig“ lese ich also „Inselkönig“ vor. Das fällt noch leicht. Schwierig wird es bei peinlichen Geschlechtszuordnungen, die selbst bei Christine Nöstlinger zu finden sind. Wenn es immer nur die Mutter ist, die kocht, erzählt man eben den mitkochenden Vater dazu. Alles in allem ziemlich anstrengend.
Finde ich falsch. Und die Musiker tun mir leid. Früher waren Dreadlocks tragende Typen immer als linke Kiffer verschrien. Jetzt gelten sie mehr oder weniger als Nazis. Ich finde auch die Diskussion falsch, wer in Theater oder Film was spielen darf. Das führt vielleicht irgendwann dazu, dass Richard III. nur noch von einem Adeligen gespielt werden kann. Nur wird dann keiner mehr ins Theater wollen, weil die wenigsten Adeligen sehr gute Schauspieler sind. Da halte ich Gelassenheit für sinnvoll. Gleichzeitig bin ich Anhänger der Geschlechterquote in der Filmförderung in Österreich. Das muss man machen, da die Gleichstellung offensichtlich anders nicht klappt.
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