Die Rockband Muse verbreitet Pessimismus statt Greatest Hits

Bassist Chris Wolstenholme spricht über das neue Album „Will Of The People“, musikalische Experimente und den Zusammenhalt in der Band

Juni 2020. Mitten in der Pandemie ist Muse-Sänger Matt Bellamy in seiner Wahlheimat Los Angeles bei seiner zweiten Frau Elle Evans im Spital, die gerade seine Tochter zur Welt bringt. Vom Fenster aus sieht er, wie eine „Black Lives Matter“-Demo ausartet und Militäreinheiten eingreifen. Und am Horizont die bedrohlichen Rauchschwaden eines außer Kontrolle geratenen Waldbrandes. Das, sagt der 44-Jährige, sei der Auslöser dafür gewesen, dass er sich auf dem heute, Freitag, erscheinenden neunten Muse-Album „Will Of The People“ in den Texten mit der herrschenden Instabilität in der Welt beschäftigt.

Eigentlich wollte Bellamy, der sich in seinen Texten auch bisher gerne mit Verschwörungstheorien, Revolutionsgedanken und apokalyptischen Zukunftsvisionen beschäftigt hat, für dieses Album „das Dystopische ausklammern“. Aber mit all dem, was in der Zeit der Entstehung der Songs vor sich ging, erzählte er der britischen Musikplattform NME, konnte er das nicht mehr.

Matt Bellamy

©APA/FLORIAN WIESER

So handelt der Titelsong „Will Of The People“ von dem Sturm auf das Capitol in Washington, „Compliance“ von „Gruppen, die sich aufgrund von irrationalen Glaubenssätzen gebildet haben“, „Liberation“ von Black Lives Matter und „You Make Me Feel Like It’s Halloween“ von den Opfern häuslicher Gewalt während der Lockdowns. Warum sich all das zu einer Platte zusammenfügt, die Muse als „Greatest-Hits-Album mit neuen Songs“ bezeichnen, erklärt Bassist Chris Wolstenholme im Interview mit dem KURIER.

Wie kam es zu dieser Beschreibung von „Will Of The People“?
Chris Wolstenholme: Die Plattenfirma wollte, dass wir ein Greatest-Hits-Album machen. Aber für uns war das immer etwas, das Bands am Ende ihrer Karriere machen. Es fühlt sich so an, als wäre alles, was man danach macht, nicht mehr wesentlich. Deshalb wollten wir das nicht machen. Wir lieben es immer noch, Musik zu machen, und wollen noch viele weitere Alben mit neuer Musik rausbringen. Also haben wir in die Musik dieses Albums alle Elemente reingebracht, mit denen wir über all die Karrierejahre erfolgreich experimentiert haben: Heavy-Rock, Synthesizer, Pop, die klassischen Einflüsse. Manches davon hat großartig funktioniert, manches aber nicht.
Was würden Sie sagen, hat nicht funktioniert?
Oh, das ist schwer zu sagen. Okay, ich kann sagen, was ich großartig gefunden habe: Zum Beispiel den Song „Madness“. Als wir den geschrieben haben, war dieser Sound überhaupt nicht typisch für Muse. Wir haben dafür mit einem ganz anderen Musikstil experimentiert. Auch mit „Map Of The Problematique“ sind wir in ein anderes Genre eingetreten. Bei den klassischen Einflüssen, die wir verarbeitet haben, war manches ganz gut, aber manches auch nicht. Aber „Liberation“ von diesem Album ist meiner Meinung nach mit dem klassischen Piano, das Beste, was wir je in dieser Richtung gemacht haben.
Die Texte von „Will Of The People“ sind stark von der Realität der heutigen Zeit beeinflusst. Ist das eine Reaktion auf das vorige Album „Simulation Theory“, das sich mit Science-Fiction-Themen und der Simulationstheorie beschäftigt hat?
Es wäre für jeden Künstler schwer, etwas zu schaffen, das nicht von den Zuständen der Zeit beeinflusst ist, weil diese Geschehnisse beispiellos sind. Alleine die Pandemie – das hat vorher noch nie jemand durchgemacht. Und ich glaube, dadurch ist auch all das andere, was vorgeht, für uns viel offensichtlicher geworden, weil wir in der Pandemie dauernd zu Hause waren, nur am Fernseher gehangen und zwölf Stunden Nachrichten geschaut haben.
Der letzte Song „We Are Fucking Fucked“ ist sehr pessimistisch. Wurde innerhalb der Band diskutiert, ob das Album so einen hoffnungslosen Schluss haben soll?
Das Inhaltliche überlassen wir ganz Matt. Er muss diese Texte singen und sich damit wohlfühlen. Sie müssen aus seinem Herzen kommen, dass er sie jeden Abend überzeugend rüberbringen kann. Natürlich würden wir Einspruch erheben, wenn er etwas sagt, wo wir dagegen sind, aber das passiert nicht. Und das Album hat ja an sich sehr viel Pessimismus. Er gibt nur ein paar optimistische Momente und die sind ziemlich sarkastisch. Es gibt halt leider auch nicht viel Positives in der letzten Zeit.
2024 feiern Sie das 30-jährige Bandjubiläum von Muse. Bei Ihnen hat man in dieser Zeit nie etwas von Krisen oder Streitigkeiten gehört, was für eine derart berühmte Band ungewöhnlich ist. Wie konnten Sie das vermeiden?
Wir respektieren einander und wissen: Muse, das sind wir drei! Jeder muss mit den Entscheidungen glücklich sein, jeder muss die Möglichkeit haben, seine Meinung zu sagen. Da macht man manchmal Kompromisse, aber die auch gern. Denn wir haben so viel zusammen durchgemacht. Wir kennen einander, seit wir 13 waren, und sind seit unserem 15. Lebenjahr in dieser Band. Wir sind zwar als Menschen sehr unterschiedlich, aber wir sind wie Brüder und einfach immer füreinander da. Wenn ich privat eine schwierige Zeit habe, sind Matt und Dom in der Sekunde für mich da. Und umgekehrt genauso.

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