Der große Gatsby wird 100: Party Like It's 1925
2025 wird der Roman Great Gatsby 100. Wieso wir diesen wilden Partygänger immer noch idealisieren - und was wir von 1925 mitnehmen können.
Der verschmitzte Blick direkt in die Kamera, die Champagnerschale zum Anstoßen erhoben und im Hintergrund unscharf auszumachen: Gold, Glitzer und Glamour. Es ist wohl eines seiner berühmtesten Filmsujets: Leonardo di Caprio als romantischer, und doch zum Scheitern verurteilter Jay Gatsby.
Es schafft kaum eine andere literarische Figur so eindrucksvoll eine gesamte Epoche so zu verkörpern, wie Der große Gatsby das Jazz-Zeitalter: Ausgelassene Flappergirls, meterhohe Champagnerbrunnen und Partys, die nie enden.
100 Jahre nach der Ersterscheinung von F. Scott Fitzgeralds Kultroman im Frühling 1925 hat sich dessen Hauptfigur geradezu aus dem Text herausgelöst.
Gatsby als Pop-Phänomen
Heute gibt es nicht nur ikonische Verfilmungen mit Leonardo DiCaprio oder Robert Redford, ein Gatsby-Ballett oder ein Broadway-Musical, das im April 2025 erstmals ans Londoner West End kommt.
Man kann auch in Gatsby-Apartments wohnen (die sich als besonders luxuriös anpreisen), sich Gatsby-Wachs (das besonders langen Halt verspricht) in die Haare schmieren oder Gatsby-Eau de Cologne auftragen (mit Noten von Vetiver, rosa Pfeffer und sizilianischer Limette). Man kann ebenso auf einem Gatsby-Sofa lümmeln, im Gatsby-Hotel einchecken und sogar ein Gatsby-Sandwich verspeisen (eine südafrikanische Kreation, die ein riesiges, mit Pommes gefülltes Butterbrot beschreibt).
Zum ersten Mal hat im November nun der Schreibgeräte-Hersteller Montblanc, der in seiner "Great Characters"-Edition Persönlichkeiten wie Elvis Presley oder Albert Einstein ehrt, mit Jay Gatsby eine literarische Figur zum Preisträger auserkoren.
"Es ist eine Premiere", räumt Laurent Lecamp, Montblancs Global Managing Director für Uhren und Schreibgeräte, in der New York Times ein. "Aber als wir verschiedene Optionen durchgingen, wurde schnell klar, dass "The Great Gatsby" die Kraft hat, endlose Gespräche unter uns zu entfachen. Sei es über unsere Grundwerte als Menschen oder die schwer fassbare Beziehung, die seit jeher zwischen Reichtum und Glück besteht.“
Die Sehnsucht nach Schönheit
Doch wie kann es sein, dass uns dieser wilde Partygänger, dieser eigentlich höchst oberflächliche Draufgänger so sehr berührt?
Psychotherapeutin Ines Gstrein vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie wundert das nicht. "Der Mensch hat eine tiefgreifende Sehnsucht nach Schönheit und Luxus." Die ist zum einen evolutionär bedingt: "Attraktivität hat historisch die Überlebenschancen erhöht; Schönheit wird mit Gesundheit, Vitalität und Fruchtbarkeit verbunden."
Auch auf psychologischer Ebene streben wir nach Anerkennung und Status, danach gesehen zu werden. "Das merkt man in unserer Gesellschaft aktuell stark. Erfolg beeinflusst unseren Selbstwert und hebt die eigene Position in der sozialen Hierarchie."
Und so verkörpert Jay Gatsby diese universelle Sehnsucht nach einem besseren Leben. Seine tragische Geschichte zeigt aber auch, dass materieller Überfluss und romantische Liebe, das Glück und die Zufriedenheit, die wir suchen, nicht bringen.
"Und doch", meint Ines Gstrein, "flüchten wir uns gerade in schwierigen Zeiten (etwa nach einer Pandemie und Inflation, Anm.) in fantastische Projektionen. Die Dekadenz, der Überfluss, gibt in Momenten des Mangels ein Gefühl von Sicherheit."
Der große Gatsby
Jubiläumsjahr 1925
F. Scotts Fitzgeralds Kultroman "Der große Gatsby" wurde 1925 bei Charles Scribner's Sons veröffentlicht. Die Geschichte spielt im New York des Jazz-Zeitalters und erzählt die Geschichte von Jay Gatsby, einem Selfmade-Millionär und seiner Suche nach Daisy Buchanan, einer wohlhabenden jungen Frau, die er in seiner Jugend geliebt hat.
Anfangs: 20.000 Stück
Die Kritiken waren gemischt, und die 20.000 Exemplare der ersten Auflage verkauften sich nur langsam. Das Buch wurde zu Fitzgeralds Lebzeiten noch einmal gedruckt, und als er 1940 starb, waren von dieser zweiten Auflage noch einige Exemplare unverkauft.
Doch während des Zweiten Weltkriegs erhielt der Roman einen Popularitätsschub, als der "Rat für Bücher in Kriegszeiten" kostenlose Exemplare an amerikanische Soldaten verteilte, die in Übersee dienten.
Nun: 25 Millionen
Heute hat sich The Great Gatsby weltweit über 25 Millionen Mal in 42 verschiedenen Sprachen verkauft, jährlich kommen weitere 500.000 Exemplare hinzu und er hält Platz 2 der "Liste der 100 besten Romane des 20. Jahrhunderts" von der Modern Library.
Wien als Sündenbabel
2025 feiert übrigens auch Österreichs eigene Version des Gatsby 100. Geburtstag: 1925 ist "Jazz" von Felix Dörmann. "Es ist ein Roman", erläutert Veronika Hofeneder, freie Literaturwissenschaftlerin und Lehrbeauftragte an der Uni Wien, "der sehr filmisch geschrieben ist, mit schnellen Szenenwechseln und akustischen Elementen. An manchen Stellen hört man die Synkopen und tanzt beim Lesen fast mit. Und: Er ist ein typischer Inflationsroman dieser Zeit, der Wien als Sündenbabel darstellt."
Die frühen 1920er-Jahre waren in Österreich nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie und dem Ersten Weltkrieg von Wirtschaftskrise und Hyperinflation geprägt; Spekulanten sind dabei schnell zu Geld gekommen. Jazz erzählt die Geschichte des skrupellosen Spekulanten Ernö Kalmar, der in den Rausch von Macht, Geld und Vergnügungssucht gerät – und dann tief fällt. "Das erinnert", sagt Hofeneder, "an aktuelle Wirtschaftspleiten, wie zum Beispiel René Benko".
Und auch bei Dörmann gab es eine wahre Vorlage: Camillo Castiglioni war im Wien der 1920er Jahren in zahlreiche Finanzaffären verwickelt und kaufte sich mit Krediten Anteile an den größten Firmen. 1923 gehörte er zu den reichsten Männern Mitteleuropas und der Spiegel beschrieb ihn als "genialen Abenteurer und skrupellosen Geschäftsmann". Rechtzeitig zum Jubiläum wurde das Buch von Edition Atelier neu aufgelegt.
Freiheiten feiern
Wirtschaftskrise, Inflation und Spekulanten – der Vergleich zwischen 1925 und 2025 könnte kaum deutlicher machen, wie sehr sich die Geschichte wiederholt.
Können wir etwas aus der Vergangenheit lernen? "Der Aufbruchsgedanke war – vor allem bei den Frauen – in den 1920ern epochaler", meint Veronika Hofeneder und erinnert an das neue Wahlrecht, die lässigere Mode, den kurzen Bubikopf. "Das Lebensgefühl war positiver. Damals feierte man die neuen Freiheiten – heute scheint es, als würden wir uns ihnen eher entziehen."
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