Die Wahrheit über die Chippendales: Ausziehen und Auftragsmord

Die nackte Wahrheit über die Stripper ist skandalös: Hinter den Kulissen tobte ein mörderischer Machtkampf. Eine neue Serie beleuchtet die Hintergründe.

Muckis machen müde Mädchen munter. So oder so ähnlich muss Somen Banerjee wohl einst gedacht haben. Er ahnte nicht, dass er damit ein Imperium schaffen würde. Und seinen eigenen Untergang besiegeln.

Seinen Namen kennen heute die Wenigsten, aber die ganze Welt kennt die Chippendales. Sie sind eine Marke geworden, bekannt wie Coca-Cola. Das Geschäftsfeld ist allerdings ein gänzlich anderes: Männer mit Zahnpasta-Lächeln, gestählten Muckis und Föhnfrisur tanzen zu wummernden Rhythmen, kreisen mit den Hüften und entledigen sich überflüssiger Wäsche. Zuweilen sind sie als Cowboy oder Feuerwehrmann verkleidet. Und als Bauarbeiter schwingen sie ihre Hämmer. Eine Fantasie. Und zwar eine, die sich rechnet. Immer noch.

Zwischen 5 und 25 Millionen US-Dollar Umsatz erwirtschaften die Chippendales pro Jahr. Sie haben eine feste Show im „Rio All Suites Hotel and Casino“ in Las Vegas und touren durch die Mehrzweckhallen des ganzen Erdrunds, sei es in Afrika, Asien oder Australien. Überall bietet sich das gleiche Bild: Wenn die Mannen mit dem Mascherl am Smokingkragen eingeölt und aufgepumpt ihren Sixpack und mehr auf der Bühne präsentieren, kreischen die Frauen im Publikum wie am Spieß vor lauter Freud’. Ausziehen! Immerhin lässt sich kaum woanders ein g’scheiter Polterabend enthemmter feiern als angesichts manch blanker Brust. Und eventuell ja mit kleinem Damenspitz.

Auch nach Wien kommt die Truppe: Im März beehren die Chippendales die Stadthalle, „Get Naughty!“ heißt ihre Show, es verspricht also unanständig zu werden. Dabei liegt ihr Verdienst durchaus darin, den Striptease raus aus den schlecht beleumundeten Nachtclubs, wo zerknitterte Dollarscheine in knappe Tangas gesteckt werden, rein in die Kulturstätten der Metropolen geholt zu haben. Tickets: an der Tageskassa, bitte. Der Refrain bleibt dennoch der Gleiche: Kreisch!

Doch das alles konnte Somen Banerjee damals noch nicht wissen. Seiner Geschichte geht ab 11.1. bei Disney+ eine neue Serie auf den Grund: „Welcome to Chippendales“.

Heiße Nächte

Es waren die 1960er-Jahre, als Banerjee aus Indien (er war dort Drucker) nach Kanada auswanderte. Bald zog es ihn ins smogverhangene Kalifornien, wo er zwei Mobil-Tankstellen betrieb. Doch ihm stand der Sinn nach mehr. 1975 kaufte er einen heruntergekommenen Nachtclub an der Overland Avenue in Los Angeles namens „Destiny II“. Und eröffnete (mit Bruce Nahin als Partner) das „Chippendales“. Und siehe da: Banerjee, den bald alle nur noch „Steve“ nannten, verstand sein Geschäft. In seinem Nachtclub ließ er Frauen-Catchen steigen und die „Male Exotic Dance Night for Ladies Only“. Nachdem Zaubershows, um Gäste anzulocken, nicht funktionierten, war das seine Großtat: Denn damit hatte Banerjee nichts weniger als den Männerstrip für Clubs erfunden.

Anfangs involviert: der Promoter Paul Snider, der mit den Impetus zu den sich entkleideten Mannsbildern gab. Seine Frau, Dorothy Stratten wiederum, das blonde, wunderschöne Playmate des Jahres 1980, soll die Aufmachung der Tänzer mit den Mascherln und den Manschetten an den Handgelenken initiiert haben. Später wird Snider sie ermorden und sich selbst das Leben nehmen – rasend vor Eifersucht angesichts ihres neuen Liebhabers, dem berühmten Regisseur Peter Bogdanovich („Die letzte Vorstellung“).

Anfangs als Verlegenheitslösung angesehen, füllten die Boys mit den aufgepumpten Bodys jedenfalls den Club bald bis an den Rand. Choreografie gab es damals nicht wirklich, dafür ging es umso wilder zu: verschwitzte Nächte und freizügiges Benehmen auf der Bühne und im Publikum ließen die Kassen klingeln. Und weil der Erfolg so groß war, expandierte man – natürlich nach New York.

Vor dem „Magique“ standen die Ladys Schlange, drinnen frönte man dem Saturday Night Fever in rauschenden, kokaindurchschnieften Nächten. In einem Club voller Frauen konnten sich die wenigen Männer über zu wenig Aufmerksamkeit auf Tuchfühlung nicht beschweren. Ein Funke war entzündet: In den 1980er-Jahren, mit seinen Dauerwellen-Föhnfrisuren und der braven Bobby-und-Pam-Erotik Marke „Dallas“ meldete sich eine neue, unverfrorene Sexualität zu Wort. Die Stimmung: aufgeheizt.

Mit an Bord: TV-Produzent Nick De Noia. Ein Emmy-gekrönter Mann, der den Chippendales die perfekte Choreografie maßschneidert. Aber auch ein launischer Tyrann. Banerjee teilte die Tanztruppe in Teams auf, die auf der ganzen Welt performten. Doch De Noia machte die Chippendales zur unverwechselbaren Marke. Sein Ostküsten-Club, ein großer Erfolg. Zudem sicherte er sich die Tour-Rechte (auf einer Serviette), und avancierte zum mächtigsten Mann – hinter den Kulissen wie als Gesicht für die Medien nach außen. Von ihm will der eifersüchtige Banerjee sich seinen persönlichen amerikanischen Traum, der immer mehr Geld abwirft, nicht wegnehmen lassen. Doch die Rechte bekommt er nicht zurück.

Millionen und Mord

Dann folgt der schicksalsschwere 7. April 1987. Als Nick De Noia die Tür seines Büros in New York öffnet, schießt ihm ein angeheuerter Killer ins Gesicht. Banerjee kann die Rechte nun zurückkaufen. Doch das FBI ermittelt und klagt ihn an – nicht nur wegen De Noia, auch wegen des Plans, drei abtrünnige Chippendales in England killen zu lassen, die seine Show nachmachten. 1993 wird er verhaftet und zu 26 Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 1,76 Millionen Dollar verdonnert. Banerjee erhängt sich eine Nacht vor der Urteilsverkündung an einem Bettlaken in seiner Zelle.

Kumail Nanjiani als Chippendales-Erfinder Somen „Steve“ Banerjee in „Welcome to Chippendales“. Die Serie startet am 11. 1. bei Disney+
 

©HULU/Disney/Hulu/Lara Solanki

Die Show geht seitdem trotzdem weiter: Die Kalender verkaufen sich gut, und auf der Bühne reißen sich die Chippendales einer Schätzung zufolge jährlich 5.000 Tanktops vom Leib. Nachdem zwischenzeitlich der mittlerweile verstorbene, kriminelle Musikmanager Lou Pearlman (Backstreet Boys) die Gruppe managte, ist die Firma heute in Händen diverser Unternehmer. Alles läuft ruhig. Damit die Chippendales wieder das sind, was die ehemalige Assistentin Nick DeNoias einst definierte: „Ein Disneyland für Frauen.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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