Als aufstrebende Schauspielerin wurde die Berben schnell Teil der „Schickeria". Es brauchte dafür kein Geld, „Als München noch sexy war", so der Untertitel der Doku-Reihe

Als Iris Berben „keine Zeit für weiche Drogen“ hatte

Prime Video startet die Doku-Reihe „Schickeria – Als München noch sexy war“ (ab 19. 8.). Ein etwas anderes Stadtporträt

„Mit 18“, sagt Schauspielerin Iris Berben, „klingt jede fremde Stadt wie ein Versprechen auf ein Abenteuer. München war mehr als ein Versprechen. Die Stadt war ein Ziel, kein Zwischenstopp. Warum? Ganz einfach: München war sexy.“

Bayerns Hauptstadt steht heute für Sauberkeit, Betulichkeit und Reichtum. Fast unvorstellbar: Diese Stadt hatte ein Vorleben. Das zeigt die von Janek Romero produzierte Doku-Reihe „Schickeria“, die ab 19. August bei Prime Video zu sehen ist. „München war eine Stadt der Visionärinnen und Visionäre und das in höchst unterschiedlichen Bereichen“, erzählt uns Romero. Das ist auch der Grund, warum eine Doku, die zunächst die legendäre Münchner Edel-Disco P1 zum Inhalt haben sollte, zur Stadt-Chronik der besonderen Art wurde.

Place to be

In vier Episoden führen Iris Berben und ab Folge 3 Entertainer Thomas Gottschalk entlang ihrer Leben in eine Zeit, als „die Nazi-Stadt“ Mitte der 1960er rebellisch und verrucht wurde und sich mit der Initialzündung der Olympia-Bewerbung samt Internationalisierung zum „Place to be“ für Stars und Künstler entwickelte.

Iris Berben führt durch die Prime-Video-Reihe. Die erzählt auch von Demos für die Abtreibung und zur Abschaffung von BHs - beides als Recht auf Selbstbestimmung

©Heinz Gebhart/Prime Video/Constantin Dokumentation

Gekonnt montierte Super-8-Film-Schnipsel aus dem echten (Party-)Leben wechseln in „Schickeria“ ab mit Nachrichten-Ausschnitten etwa vom Anschlag aufs Oktoberfest sowie Statements von Prominenten. Darunter sind etwa Schauspielerin Uschi Glas, der erste Peepshow-Besitzer Europas und Münchner Pate, Walter Staudinger, Gloria von Thurn und Taxis oder auch das erste deutsche Playmate, Uschi Buchfellner.

Lebensgefühl

Erzählt wird einiges über Gesellschaft und Lebensgefühl – manches reicht unter die Gürtellinie. „Wir wollten aber kein Kaladeiskop von Menschen abbilden, die darüber reden, wie toll früher alles war. Wir haben Hauptprotagonisten gesucht, deren Biografien mit der Stadt und ihrer Entwicklung verschmolzen sind“, so Romero.

So wie Iris Berben. 1968 aus Hamburg kommend wurde die aufstrebende Schauspielerin Teil der sich bildenden „Schickeria“ – ein Wortspiel aus (französisch) chique und (jiddisch) sikkor, was betrinken heißt. Sie erzählt mit entwaffnender Offenheit: „Ich hab’ sicherlich auch ab und zu mal einen Joint geraucht, aber für mich stand immer der Leitspruch: ,Ich hab’ keine Zeit für weiche Drogen.’ Kokain war da und LSD war da. Die haben schon eine große, große Kraft und vor allem eine große Macht ausgeübt und nicht jeder hat es geschafft.“ Und: „Wir wollten die Fesseln nicht von Küche, Kindern und Kirche.“ Es gab Demos für das Recht auf Abtreibung neben denen für mehr Toleranz für Minirock-Trägerinnen und zur Abschaffung von BHs. „Das war Freiheit, Selbstbestimmung, Lärm, Exstase. Es fühlte sich richtig gut an.“

Thomas Gottschalk war als DJ ein bunter Hund. Über die Zeit, als die „Schickeria" von der Bussi-Bussi-Gesellschaft abgelöst wurde, sagt er: „Geld kauft Kaviar, aber keine Fantasie."

©Constantin Dokumentation/Prime Video

München wurde zum Ort, wo Paradiesvögel und Weltstars landeten, wo Freddy Mercury, die Stones und Donna Summer Hits in den Musicland-Studios produzierten und Giorgio Moroder den Munich-Sound kreierte.

Doch die Karawane zog weiter. Mitte der 1980er übernahm Reich und Schön. „Geld kauft Kaviar, aber keine Fantasie“, sagt Thomas Gottschalk über jene Zeit, die Regisseur Helmut Dietl mit „Kir Royal“ gnadenlos persiflierte. Für die Hauptfigur Baby Schimmerlos war Society-Reporter Michael Graeter Vorbild: „Ich hab’ ihnen den Spiegel gehalten und gemeint, blamiert euch selbst.“ Die Bussi-Bussi-Gesellschaft löste die „Schickeria“ ab – der Hit der Spider Murphy Gang wurde so zum Abgesang auf vergangene Zeiten.

Christoph Silber

Über Christoph Silber

Schreibt über Medien-Wirtschaft und -Politik, Werbung und Fernsehen und das seit 1997 beim Kurier.

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