Warum können wir uns von Dingen, die wir nicht brauchen, so schwer trennen?

Fragen der Freizeit... und Antworten, die überraschen werden

Was würden Sie retten, wenn Ihre Wohnung Feuer fangen würde? Wenn Sie fünf Minuten Zeit hätten? Wenn Sie 15 Minuten Zeit hätten? Bei mir ist es eine Jacke. Eine Lederjacke. Würde morgen Nacht mein ganzes Leben lodernd in Flammen aufgehen, ich würde aus dem Bett springen, diese schwarze Lederjacke, die mir mittlerweile viel zu kurz und etwas zu eng ist, die Brandlöcher aufweist von langen, durchzechten Nächten und deren Kragen zerzaust ist, überstreifen. Aus dem Haus rennen und so notfalls ein neues Leben beginnen. Ich bin mir sicher, ich wäre gerüstet. Und würde dabei zudem ziemlich cool aussehen.

Für andere mag die Lederjacke aus der Mode gekommen sein, angejahrt und überflüssig. Warum hebe ich sie aber auf? „Was zählt, ist allein die subjektive Bedeutung eines Gegenstands“, weiß Birgit U. Stetina. „Was andere darüber denken, ist irrelevant.“ Für die Psychologin ist klar: Die Panier hat emotionalen Wert, wird als unabdinglicher Teil der Persönlichkeit gesehen. Sie wegwerfen? Als werfe man gleichsam einen Teil seiner selbst weg.

Die Psychologin betreut in der Ambulanz der Sigmund Freud Privatuniversität  Patienten, die unter pathologischem Horten leiden.  Wir alle häufen Dinge an. Doch ab wann hat man ein Problem? „Das Problem fängt an, wenn der Platz ausgeht“, so Stetina. Macht einen der Partner darauf aufmerksam, sollten die Alarmglocken schrillen. Wer hortet, denkt oft, wer weiß, ob man das nicht noch brauchen könnte.  Ein Gefühl der Verletzlichkeit (eine Sammlung als Schutzwall nach außen) ist von Bedeutung, oder die Sorge, schöne Momente, an die ein Gegenstand uns erinnert, würden durchs Wegwerfen verschwinden. Entscheidungsschwierigkeiten über den Wert einer Sache sind meist der Fall. Und: Oft spielt ein kritisches Lebensereignis oder ein Verlust eine Rolle. Wird das soziale Umfeld als zu wenig unterstützend wahrgenommen, fühlen Menschen sich verlassen – sammeln kompensiert dieses Gefühl und schenkt Sicherheit. Was hilft? Sich ehrlich bewusst machen, wozu man einen Gegenstand braucht und ob man ihn zum Glücklichsein benötigt. Und sich die Frage mit dem Feuer stellen.

Frage der Freizeit

Hier schreiben Autoren und Redakteure der freizeit abwechselnd über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftigen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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