Schläft man mit zugeklebtem Mund besser? Ich habe es getestet

Mouth Tape sorgt auf Social Media derzeit für Begeisterung. Ärzte sind skeptisch. Wie aber ist der Schlaf mit zugeklebtem Mund?

Die Apothekerin ist verwirrt. "Mouth Tape??? Wofür wird das verwendet?" Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. "Ja also, ähh, damit klebt man sich in der Nacht den Mund zu, um besser zu schlafen ..." Sie schweigt höflich und bemüht ihren Computer. "Es ist für einen Artikel!", versuche ich vergeblich mein Gesicht zu wahren. Ihre Suche im System bringt kein Ergebnis. Reichlich Auswahl gäbe es bei Melatoninkapseln, ja sogar Nasenpflaster für Schnarchnasen wären verfügbar. Zubehör, um sich den Mund zuzukleben, ist jedoch nicht im Angebot. Gut, dann eben auf in den Onlinehandel. 

Was in heimischen Apotheken noch nicht zum alltäglichen Sortiment gehört, hat seine 15 Minuten Ruhm im Netz bereits angetreten. Auf der Social-Media-Plattform Tiktok erzeugen Videos mit dem Hashtag #mouthtaping oder #mouthtape bisher fast 30 Millionen Views.

Die Liste der vermeintlichen gesundheitlichen Vorteile ist lang, schenkt man den Fans nächtlich zugeklebter Münder Glauben: Tieferer Schlaf, vermindertes Schnarchen, gesenkter Blutdruck, kein trockener Mund beim Aufwachen, ja sogar Erleichterung bei Schlaflosigkeit, Depressionen oder Angststörungen. 

Nasenatmung

Dr. Wolfgang Luxenberger, Obmann der österreichischen HNO-Ärzte, sieht das eher skeptisch. "Es stimmt", sagt er, "Nasenatmung ist prinzipiell gesünder. Die Nase hat eine Filterfunktion, wärmt die Luft vor und befeuchtet sie. Atmet man ausschließlich durch den Mund, führt das unweigerlich zu ausgetrockneten und irritierten Schleimhäuten, die dadurch auch anfälliger für Infektionen sind."

Es könne zudem auf gesundheitliche Probleme hindeuten, wenn man ständig nur mit offenem Mund schlafe, erklärt der Experte. "Mögliche Gründe sind etwa Allergien, Polypen oder eine schiefe Nasenscheidewand. Diese Ursachen gilt es medizinisch abzuklären, nur der HNO-Arzt kann in die Nase schauen“. Das Mouth Taping solle daher – wenn überhaupt – nur am Ende der Handlungskette stehen, sagt der Arzt zu der "eher brachialen" Methode.

Mund zu!

"Ich könnte mir nicht vorstellen einzuschlafen, würde ich wie eine geknebelte Geisel im Bett liegen", kommentiert ein Freund skeptisch meinen Selbstversuch. Nun, ganz so schlimm ist es zum Glück nicht. Das Material erinnert eher an gewöhnliches, poröses medizinisches Tape und weniger an stabiles Knebelband aus dem Verbrecherkit. Die Streifen sind außerdem klein und decken gerade so Ober- und Unterlippe ab.

Online konnte man aus unterschiedlichen Formen auswählen. Ob man sich also lieber x-förmiges oder mundförmiges Tape aufklebt, oder ob man zur der Version greift, die den Mund umschließt, die Lippen aber freilässt, muss man mit sich selber ausmachen. Ich entscheide mich für die mundförmig geschwungenen Streifen. Sie erinnern mich noch am wenigsten an Gadgets aus der Fetischabteilung.

Ich mache mich also bettfertig, und klebe mir, ja, den Mund zu. Zugegebenermaßen ein komisches Gefühl. Das erste Problem offenbart sich bereits nach wenigen Minuten: Mit zugeklebtem Mund ist es schwer, Wasser zu trinken. Das obligatorische Glas Wasser am Nachtkastel bleibt also gezwungenermaßen unberührt - so nah und doch so fern. Erstaunlich wie schnell man durstig werden kann, obwohl es einem bis gerade eben an nichts fehlte.

Mouth Tape im Einsatz.

©red

Das zweite Problem: Auch Sprechen geht nicht mehr. Ich fühle mich zunehmend beklommen. Das Tape abzuziehen ist aktuell auch nicht wirklich eine gute oder zumindest schmerzfreie Option - noch hält der Kleber fest auf der empfindlichen Haut. Gut, es ist sowieso Zeit zu schlafen. Und siehe da - Schlaf stellt sich schnell ein, schneller als sonst. Ob das nun an den "Sleep Strips" und der erzwungenen gesünderen Atmung liegt oder ob mein Bewusstsein der unbequemen Situation einfach durch Schlaf entfliehen wollte - allzu lange bleibt mein Mund ohnehin nicht zugeklebt.

Morgens wache ich immer frei von jeglichem Tape oder Geisellook auf. Einmal klebt das Pflaster am Polster, einmal finde ich es in meinen Haaren, und einmal ist es irgendwo in meiner Bettwäsche verschwunden. Mein Fazit: Kann man ausprobieren, muss man aber nicht. Und wer das Gefühl hat, nachts nicht wirklich durch die Nase atmen zu können, oder übermäßig zu schnarchen, der oder die sollte Luxenbergers Rat befolgen und das medizinisch abklären lassen - bevor er oder sie zum Mouth Tape greift.

Kommentare