Schluss mit dem Aufschieben: Wie man sich selber überlisten kann
Ein Forschungsteam hat herausgefunden, warum manche Menschen prokrastinieren. Und sie geben Handlungsanweisungen.
Ein Neujahrsvorsatz, den wohl so mancher hat: Heuer wird weniger Arbeit aufgeschoben, sondern gleich angepackt. Will man mit dem Prokrastinieren - so der Fachbegriff für die Aufschieberitis - aufhören, muss man erst einmal wissen, wie es dazu kommt.
Eine mögliche Erklärung der Wissenschaft ist die Voreingenommenheit. Das zeigt eine Studie aus dem Jahr 2022, die im renommierten Fachblatt Nature Communications veröffentlicht wurde. Menschen glauben offensichtlich, dass die Erledigung von Aufgaben in der Zukunft irgendwie leichter sein wird. "Man weiß, dass es in der Zukunft genauso schlimm sein wird, wie es jetzt ist, aber innerlich kann man einfach nicht anders", sagt der US-Neurowissenschafter Samuel McClure von der Arizona State University. "Es ist ein faszinierendes Phänomen - diese Kurzsichtigkeit, der man nicht entkommen kann, - obwohl sie, wenn man einmal darüber nachdenkt, lächerlich ist."
Wer wann und warum Dinge hinausschiebt, ist sehr unterschiedlich, aber "Prokrastination ist eine Tendenz, die wir alle in unserem Leben in verschiedenen Bereichen oder zu verschiedenen Zeitpunkten unseres Lebens antreffen", sagt Raphaël Le Bouc, Neurologe am Pariser Brain Institute und Autor der Studie. "Aber die wahren kognitiven Mechanismen, die dahinter stehen, sind nicht wirklich bekannt. Und das könnte ein Grund dafür sein, dass es schwierig ist, diese Eigenschaft zu überwinden."
43 Personen im Test
Le Bouc startete ein Experiment: 43 Erwachsene wurden gebeten, folgende Fragen zu beantworten: Ziehen Sie eine kleine Belohnung, die Sie sofort erhalten, einer größeren Belohnung vor, die Sie später erhalten? Und: Würden Sie lieber einfache Aufgaben sofort erledigen und anstrengendere später?
Aus früheren Forschungen wusste man bereits, dass Menschen bei Belohnungen eher impulsiv sind und eine kleinere sofortige Belohnung einer größeren späteren Belohnung vorziehen. Ein aktueller Spatz in der Hand ist da verlockender als die zukünftige Taube auf dem Dach. Die neue Studie zeigt auch, dass Menschen künftige Anstrengungen herunterspielen, indem sie eine leichtere Aufgabe jetzt einer schwierigeren in der Zukunft vorziehen, z. B. das Auswendiglernen von 10 Ziffern von Pi an einem Tag oder 20 Ziffern in der nächsten Woche.
Ins Gehirn geschaut
Das Forschungsteam hat den Probanden in das "Gehirn geschaut", indem es das selbe Experiment nochmals in einem fMRI-Neuroimaging-Gerät durchführte. Und da stach ein Bereich hervor, der als zentral für diese Kosten-Nutzen-Kalkulation gilt: der dorsale mediale präfrontale Kortex.
Die Hirnaktivität in dieser Region schien Informationen über Belohnungen und Anstrengungen für eine Aufgabe zu kombinieren; anstrengendere Aufgaben erhöhten seine neuronale Aktivität, während mehr Belohnungen sie verringerten.
Wenn man sich nicht entscheiden kann, weil die Wahlmöglichkeiten fast gleich groß sind, ist diese Hirnregion am aktivsten, sagte McClure. Dies entspricht dem subjektiven Gefühl der Prokrastination, sagte er: "Man kämpft damit und tut es trotzdem." Und er stellte fest: Das Gehirn von Menschen, die zu Prokrastination neigen, reagierten besonders empfindlich auf die Vorstellung, dass es viel einfacher sei, Aufgaben in der Zukunft zu erledigen.
Erklärung
"Wenn sie sich vorstellen, eine Aufgabe in einem Monat zu erledigen, sinkt der Aufwand für sie erheblich", erläutert Le Bouc. Bei Nicht-Prokrastinierern hingegen sinken die Kosten viel langsamer.
Um die Prokrastination im Labor direkter zu messen, baten die Forscher die Teilnehmer zu entscheiden, ob sie jetzt eine Aufgabe gegen eine Belohnung oder morgen die gleiche Aufgabe gegen die gleiche Belohnung erledigen wollten. Die Teilnehmer mussten eine der Aufgaben an dem von ihnen gewählten Tag erledigen. Wie erwartet, war die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnehmer die Aufgabe aufschieben wollten, umso größer, je mühevoller sie war oder je weniger lohnend die Aufgabe war. Ergebnis: Fast alle haben in gewissem Maße gezögert, sechs Personen brachen das Experiment ab - der Aufwand war ihnen zu hoch.
Je schwieriger, desto später
Es zeigte sich, dass Menschen eine Aufgabe um so länger aufschoben, je eher sie glaubten, dass es einfacher ist, wenn sie sie in der Zukunft erledigen würde. Aber das war nicht bei allen gleich ausgeprägt. Unterschiede in der neuronalen Aktivität des dorsomedialen präfrontalen Kortex sagten auch die Prokrastinationsneigung der Teilnehmer voraus.
Mit anderen Worten: Je mehr das Gehirn die Anstrengung, die für eine künftige Aufgabe erforderlich ist, herunterspielt, desto wahrscheinlicher ist es, dass man aufschiebt.
Was tun gegen Prokrastination
Für die Studienautoren ergeben sich daraus zwei Möglichkeiten, die Prokrastination zu bekämpfen - wobei es für ihre These noch weitere Untersuchungen braucht.
Die Erste: Man muss sich öfters daran erinnern, dass man eine Aufgabe zu erledigen hat. Macht man das, fordert man sich häufiger zu der Entscheidung heraus, die Sache jetzt anzugehen oder eben nicht. Wird man häufiger daran erinnert und zur Entscheidung aufgefordert, wird die Wahrscheinlichkeit des Aufschiebens geringer.
Die Zweite: "Stellen Sie sich Ihr zukünftiges Ich vor", sagt Le Bouc. "Wenn Sie sich Ihr zukünftiges Ich vorstellen - dasjenige, das mit unbezahlten Rechnungen, drohenden Abgabeterminen und ungewaschenem Geschirr konfrontiert sein wird - könnte Sie das daran erinnern, dass Aufschieben die Aufgabe nicht einfacher macht." Diese Praxis, die als episodisches Zukunftsdenken bekannt ist, wurde auch als Mittel zur Bekämpfung von Süchten oder Essensgelüsten eingesetzt.
"Der Versuch, sich diese Anstrengungen in der Zukunft lebendiger und realistischer vorzustellen, könnte das Signal für die Kosten in Ihrem Gehirn verstärken und Ihnen helfen, zu erkennen, dass die Kosten genau so hoch sein werden wie jetzt", so Le Bouc. Also: Werfen Sie einen Blick in die Zukunft!
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