Warum lassen wir uns so gerne in Morgenroutinen pressen?

Um 5 Uhr morgens aufstehen, meditieren, Sport, selbstoptimieren: Macht das Sinn und falls ja, warum?

Ist euch das schon aufgefallen? Alle stehen plötzlich so früh auf. Noch schlimmer als früh aufstehen ist nur der Frühaufsteher-Stolz, schon seit halb fünf wach, und du? Früh aufstehen, tönt es in Podcasts, Ratgebern, Social Media, ist der Erfolgsgarant des noch unerfolgreichen, jedoch nach Erfolg strebenden Selbstoptimierers. Wer länger schläft als bis sechs, taugt nichts.

Während wir da noch selig schlummern, haben erfolgreiche Morgenmenschen schon emsig jede Menge weggeschuftet. Morgenroutinen sind das Faszinosum der Generation Z, die sich von Personal Coaches und Lifestyle-Influencern die Welt erklären lässt. Wer etwa im 5 a.m.-Club dabei ist, ist quasi Teil eines Kults. Aufstehen, dann direkt Sport, hinterher meditieren (läuft unter „Persönlichkeitsentwicklung“), danach bilden – hier bitte eine Fremdsprache lernen oder ein Instrument oder ein Buch lesen, zehn Seiten, mindestens. Das alles wird zackig zu je 20 Minuten durchexerziert. Klingt geil? Für viele, ja.

Und, für manche überraschend: So schlecht sind diese Rituale gar nicht einmal.

„Sie bringen uns in unsere Mitte, geben Gelassenheit und Ruhe und stimmen uns auf die Tätigkeiten des Tages ein“, weiß Sportpsychologin Kerstin Danzer-Fromm (danzer-fromm.com). „Und ist das nicht besser, als den Tag gestresst und abgehetzt zu beginnen?“

Wer sich Zeit für sich gönnt und mit Wohlgefühl aufsteht, tankt mentale Stärke für bevorstehende Herausforderungen. Und stimmt seine Neurotransmitter gnädig: Sport lässt das Dopamin fließen, Selbstbeschäftigung bringt Serotonin und Endorphin in Wallung. Alles Glückshormone.

Kritisch wird’s, wenn manche das als Anleitung zum Erfolg sehen, so wird man auch kein Richard Branson. Routinen sollen kein Zwang werden, so Danzer-Fromm. Was sich wohl alle zu Herzen nehmen sollten, die denken, an ihrer Leistungsfähigkeit schrauben zu müssen, wie sonst am 3er-BMW. Worum es geht, ist Selbstermächtigung. Über Körper, Geist, Seele. Eigene Bedürfnisse erkennen und danach handeln: So gesehen ist Selbstoptimierung plötzlich nix Schlimmes mehr. Und hebt auf ein neues Level: Leistung macht Spaß.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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