Warum reden die Leute während des Films im Kino?

Manche Zuschauer kommentieren einen Kinofilm gern wie ein Champions-League-Finale. Das passt nicht jedem ...

Schicksalsschwanger ruft der Meisterdetektiv die üblichen Verdächtigen zusammen. Showdown ist angesagt. Da sitzen sie dann alle, und einen nach dem anderen nimmt Hercule Poirot ins Visier, rückt ihm mit skeptischem Blick auf die Pelle. Gleich kommt’s. Des Rätsels Lösung. Die Erklärung für alle Missetaten und Morde. Dem Schuft geht’s an den Kragen. Der Meisterdetektiv streicht sich über den Schnurrbart. „Der Mörder ist …“

Doch nix da: Der Moment der Erleuchtung wird keiner. Weil die Frau zwei Sitze weiter was dagegen hat. „Wirst segn, der mitm schiefen Aug’ woars“, ventiliert sie. „Der is ma glei so komisch vurkumman.“ Die Szene zurückspulen geht nicht. Dafür fragt jetzt jeder seinen Sitznachbarn, ob der vielleicht … Ein tuschelndes Tohuwabohu ist die Folge – und der schöne Kino-Moment: dahin.

Aufgefallen ist der Störenfried schon vorher und zwar ungut. Als die Trailer liefen, wurden der Begleiterin enthusiasmiert die Vorfälle vom vergangenen Wochenende berichtet. Den Film, die Figuren und den Plot kommentierte sie mitunter wie eine Liveschaltung zum Champions-League-Finale. WARUM?

Wohnzimmer vs. Gruppenerlebnis

„Manche werden von der Handlung emotional so stark mitgerissen, dass sie auf ihr Rundherum schlichtweg vergessen“, weiß Michaela Englert, Ex-Betreiberin des Admiral Kinos in Wien. Klar, das besitzt auch Charme. Etwa wenn jemand besorgt dem Helden zuruft, jetzt bloooß nicht in dieses Auto zu steigen. Oder die einen bedrohlichen Spalt offene Haustür weiter aufzumachen. Man kann es aber auch übertreiben. „Es gibt Zuschauer, die vergessen, dass sie noch mit anderen im Saal sitzen – und nicht daheim im Wohnzimmer“, so Englert. Andererseits: „Kino ist eben ein Gruppenerlebnis.“ Das ist ja das Schöne. Und gestalte sich anders, je nachdem, ob etwa ein Teenie- oder ein Arthouse-Film läuft.

Vielleicht liegt mein Dilemma ja an meiner Kino-Liebe. Ich geb’s zu, ich möchte keine Sekunde eines Films versäumen. Tarantino, Haneke, Ozon. Wenn da einer ständig das Leinwand-Geschehen kommentiert, ist Schluss mit lustig. Da heißt’s Klappe und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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