Ideal für eine Auszeit: Englands Monaco und Sonneninsel
Auf der Insel Jersey ist der Frühling früh da. Vom Golfstrom begünstigt, verbindet sie British Style und französisches Savoir-vivre – beim Austernschmaus und beim Bummel durch St. Helier.
Die „Jersey Royals“, wie die königlichen Kartoffeln heißen, gedeihen am besten unter Algen und Seegras als Dünger. Klein und geschmacklich unverwechselbar sind sie ebenso eine Inselspezialität wie „Black Butter“: kein Milchprodukt, sondern ein Brotaufstrich aus Apfelmost, Zitronen, Zucker, Lakritze, Zimt und anderen Gewürzen, den es nur auf Jersey gibt.
Auf der Insel mit gut 110.000 Einwohnern, fünfundzwanzig Kilometer vor Frankreichs Festland, mit Sonnenschein an zweihundert Tagen im Jahr geht es beschaulich zu. Französische Namen wie St. Helier, von den Einheimischen schlicht „Town“ genannt, erinnern bis heute an das normannische Erbe.
Die Hauptinsel des Mini-Archipels hat für jeden Gusto etwas zu bieten: wildromantische Steilküsten im Norden; feinsandige Strände, kleine Buchten und malerische Häfen im Südwesten; Spots zum Surfen; kulinarische Höhenflüge; „Green Lanes“, auf denen Radfahrer, Wanderer und Reiter Vorrang haben; historische Gebäude als Feriendomizile. Forts hoch über Buchten, Wachtürme im Meer und sogar einen Weltkriegsfunkturm (jerseyheritage.org).
Weit bis zum Wasser ist es nirgendwo auf Jersey. Victor Hugo schrieb über das Meer als Lebewesen. Frankreichs größter Dichter respektierte, fürchtete und liebte es. Manchmal ist vom Meer gar nichts zu sehen. Denn bis zu vierzehn Meter steigt und fällt das Wasser zwischen Ebbe und Flut innerhalb weniger Stunden. „Bei jedem Niedrigwasserstand verdoppelt die Insel ihre Größe“, sagt der Guide Trudie Hairon.
Übernachten im Turm
Im Watt wandern muss man mögen: Bis zum Seymour Tower in Gummistiefeln – eine Herausforderung für lädierte Bandscheiben – ist es eine gefühlte Ewigkeit. Er war einst Wach- und Wehrturm. Heute können Gäste in ihm übernachten, vorausgesetzt, sie kommen vor der Flut an. Und damit die Spaziergänger rechtzeitig wieder den Strand erreichen, sollten sich Ortsfremde nur mit einem erfahrenen Guide auf den Weg machen (jerseywalkadventures.co.uk).
Samarès Manor in St. Clement gehört zu den bedeutendsten Denkmälern auf der Insel und ist seit Ende des 11. Jahrhunderts Sitz des Seigneur de Samarès, ein Titel, der dem englischen Lord entspricht, aktuell Vincent Obbard. Er war einst Rechtsanwalt, wurde Gärtner und widmete sich mit Leidenschaft der Apfelzüchtung. „Aber reich bin ich nicht“, sagt der 76-Jährige und zeigt Gästen gern das Herrenhaus. „Meine Mutter hat es in den 1930er-Jahren von ihrem ersten, sehr viel älteren Mann geerbt.“ Ehe sie im Rolls-Royce nach Libyen fuhr.
Fotos bezeugen Vincents Kniefall vor Queen Elizabeth II. bei ihrem Besuch in Jersey in den 1980er-Jahren – zugleich Symbol für die Loyalität des Lehnsherren gegenüber der Königin von England. Auch ihr Nachfolger Charles III. ist zwar Staatsoberhaupt von Jersey, aber nicht als König von England, sondern als Duke of Normandy. Denn Jersey ist weder Teil des United Kingdom noch der EU oder Kronkolonie, sondern als Kronbesitz politisch unabhängig.
Obbards ganzer Stolz ist neben seiner Kutschensammlung die sich ständig verändernde alte Parkanlage mit Rosen- und Kräutergarten, Seerosenteich, blau blühenden Lavendelfeldern und einem japanischen Garten (samaresmanor.com). Auf kaum einer anderen Insel gibt es so viele Festungsanlagen: Neben dem Grosnez Castle aus dem 14. Jahrhundert Rundtürme aus der Zeit Napoleons, die Martello-Türme aus dem 18. Jahrhundert und Burgen aus dem Mittelalter.
Jersey als Teil des "Atlantikwalls"
Zu besichtigen sind auch einige deutsche Bunker und Tunnel aus dem Zweiten Weltkrieg, als Jersey von der Wehrmacht besetzt und Teil des „Atlantikwalls“ war (jerseywartunnels.com). Nahe der City von St. Helier gibt es einen Tunnel, der irgendwo einfach endet. Die Zeit im Krieg reichte nicht mehr für den ambitionierten Plan, mehr als zwanzig unterirdische Verbindungen zu graben. Immerhin hatten die Soldaten noch Zeit, eine Karte der Hamburger Reeperbahn an die Wand zu malen.
Heute ist Jersey als Steuerparadies ein internationaler Geldparkplatz wie die Schweiz oder Monaco und ein Urlaubsort garantiert ohne Overtourism.
Vor hundertfünfzig Jahren war die Insel Exil für den von Louis Napoleon verbannten Victor Hugo: Hier schrieb er am Roman „Les Misérables“ und notierte, verliebt in seinen Lieblingsort Gorey mit der spektakulären Festung Mont Orgueil Castle: „Ich bewohne diesen ungeheuren Traum des Ozeans; langsam werde ich ein Schlafwandler des Meeres.“
Info
Anreise
Lufthansa bietet von Ende April bis September Direktflüge jeweils am Samstag von München an. Zubringerflüge gibt es ab Wien. British Airways: ganzjährig täglich via London. Kompensation laut atmosfair.de: 25 €
Schlafen
Zimmer in den historischen Gemäuern des Vier-Sterne-Hauses „Hotel de France & Spa“ in St. Helier ab 145 €, defrance.co.uk
Aktivitäten
Wildlife-Tour, Boat-Trips mit Delfin- Watching: jerseyseafaris.com; Fahrradfirmen bringen auf Wunsch Leihräder zu jedem Punkt der Insel und holen sie wieder ab, jerseybikehire.co.uk
Stadtspaziergang
Im Mix aus französischer Architektur und britischer Shopping Street schlängeln sich die Gassen durch St. Heliers Altstadt. Die Höhepunkte: die viktorianische Markthalle, die dem Eremiten Hellerius gewidmete Stadtkirche und die Bronze-Skulpturen der „Jersey Cows“ am West’s Centre
Weitere Infos:
jersey.com
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