Schwesta Ebra im Interview: „Kunst und Künstler gehören nicht getrennt“

Mit feministischen Texten und politischen Inhalten ist Schwesta Ebra eine der erfrischenden, neuen Stimmen des Deutsch-Raps.

Autos, Frauen, Drogen und Geld - wenn man den typischen Deutsch-Rap beschreiben möchte, sind das wohl die klassischen Themen. Bei Schwesta Ebra ist das ganz anders. Die 23-Jährige rappt über "Dickpicks", fragt sich was, "Wenn Yung Hurn Feminist wäre" oder thematisiert die restriktive Einbürgerungspolitik Österreichs. Schwesta Ebra heißt nämlich mit bürgerlichen Namen Ebru Sokolova und hat selber keinen österreichischen Pass. Die Tochter aus einer Familie, die der türkischen Minderheit in Bulgarien angehört, wuchs im niederösterreichischen Mühlviertel auf. Heute lebt sie in Wien, studiert neben ihrer Musik auch Lehramt und ist offen homosexuell. Eine Kombination, die so gar nicht in das stereotype Bild der Migrantin passt. Aber Stereotypen, denen kann Schwesta Ebra sowieso nichts abgewinnen.

Wie lange machst du schon Musik?

Schwesta Ebra: Mit Musik habe ich schon immer zu tun gehabt. Ich habe mir mit elf Jahren sogar einen YouTube-Account gemacht, weil ich dachte, ich würde durchstarten wie Justin Bieber. Ich habe mir damals ein billiges Mikrofon gekauft und Songs gecovert. Die waren aber echt schlimm (lacht).  Also gesungen habe ich eigentlich schon immer und Gitarre zu spielen habe ich auch gelernt.  

Und wann kam Rappen ins Spiel?

Ich habe selbst immer sehr gerne Deutsch-Rap gehört, aber nie selber gerappt. Ich dachte: Das kann ich nicht. Vor ungefähr zwei Jahren hatte ich eine Capital-Bra-Phase und dachte, ich probiere mich an einer Parodie. Ich habe dann einen Song von ihm komplett umgetextet und auch gerappt. Das kam ziemlich gut an. Später habe ich auch begonnen, mich wirklich mit Deutsch-Rap zu beschäftigen. Die Debatte, ob es rassistisch oder sexistisch ist, gibt es schon ewig.

Ist Deutsch-Rap problematisch?

Im Endeffekt sind es oft Songs, in denen drei Minuten lang Frauen niedergemacht, sexualisiert und beschimpft werden. Irgendwann habe ich mich begonnen zu fragen: "Warum mögen wir das? Warum hören wir das so gerne? Ist es wegen der Melodie? Ist es wegen der Ausstrahlung der Künstler oder auch wegen der Texte?" Aber wenn man mal nur die Texte liest, denkt man sich schon: "Oha, das ist arg."

Also ist Deutsch-Rap sexistisch?

Das ist im Endeffekt fast jede Musikrichtung. Sexismus zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Aber deshalb sollte man das auch nicht so hinnehmen. Was macht es schließlich mit Jugendlichen, die solche Texte hören? 

Man liest immer wieder von gewalttätigen Rappern. Sollte man Kunst und Künstler voneinander trennen?

Der Künstler und seine Kunst gehören auf keinen Fall getrennt. Das geht auch nicht ist, wenn man sich die Berichte von Gzuz oder Bones anschaut. Die rappen supersexistische Sachen. Wenn dann aber später in den Schlagzeilen steht, dass er seine Lebensgefährtin zusammengeschlagen und an den Haaren gezogen hat, soll man das trennen? Gzuz’ Partnerin hat das nämlich öffentlich gemacht. Da frage ich mich schon: Wie will man das jetzt rechtfertigen?

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Fehlt es in der Rap-Szene an Diversität?

Diversität gibt es überhaupt nicht. Also klar gibt es auch Rapperinnen. Aber welche sind denn so groß wie Raf Camora? Da würden mir im deutschsprachigen Raum nur Loredana, Shirin oder Juju einfallen. Aber wie wird denn über sie berichtet? Raf Camora ist der Business-Man, der viel erreicht hat. Bei Shirin David liest man hingegen nur Sachen wie: "Hat Shirin David ihren Po liften lassen?" Es geht immer nur um das Aussehen. Unser Bild als Frauen in der Szene ist total falsch.

Wie könnte sich das ändern?

Man musste einfach vieles erklären und darüber sprechen. Ich habe mich auch damit auseinandersetzen müssen. Also ich habe ich mir die Texte durchgelesen, die Berichte angeschaut und erst danach hat es Klick gemacht. Man kann von Leuten auch nicht erwarten, dass sie das von heute auf morgen verstehen. Diese Künstler sind  Vorbilder. Man kann und will sich auch nicht vorstellen, dass sie problematisch sind, was auch verständlich ist. Aber dazu müssen aller mehr miteinander reden, nicht gleich beleidigend werden.

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Deine neueste Single dreht sich um die Staatsbürgerschaft. Warum eigentlich?

Ich selbst habe den österreichischen Pass nicht. So wie um die eine Million andere Menschen in Österreich. Und in 30 Jahren werden es noch mehr sein. Und irgendwann einmal werden wir bei den Wahlen keine Mehrheitsgesellschaft mehr haben. Das ist sehr problematisch.

Wie wichtig ist es dir, mit deiner Musik auch politisch zu sein?

Ich bin vom Land und da gibt es im Bekanntenkreis mindestens 3 - 4 Personen, die die FPÖ wählen. Wenn du bei da mit Feminismus, Sexismus oder Rassismus kommst, kannst du es vergessen. Sie wollen über diese Themen nicht reden. Sie wollen damit nicht konfrontiert werden. Aber wenn ich sie ein bisschen mit Musik schmücke, dann hören sie es. Also zumindest bekomme ich dieses Feedback. Ich möchte auch, dass Menschen nicht ständig mit Stereotypen durch ihr Leben gehen. Nicht jede Frau, die ein Kopftuch trägt, sitzt daheim und arbeitet nichts oder kann schlecht Deutsch. 

Ist die Musik gewissermaßen ein Ventil für dich?

Ja, aber nicht nur. Klar bin ich wütend. Ich glaube, alle Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Österreich leben, sind wütend. Andererseits ist es aber auch schön, wenn man dann auf Leute trifft, die dieselben oder ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Man ist dann nicht die einzige Person, die hier nicht wählen darf. Das tut gut. Vor allem auch, wenn man am Land aufwächst, homosexuell ist und Migrationshintergrund hat. 

Wie war das für dich?

Ich hatte überhaupt keine Bezugspersonen. Erst nachdem ich nach Wien gezogen bin, habe ich mitbekommen, dass es auch Menschen wie mich gibt. Es ist schön, sich auszutauschen zu können. Wie es zum Beispiel ist, wenn man als Kind von Migranten, sich mehr Sorgen darüber macht, die Eltern zu enttäuschen. Ich glaube, das ist so, weil man quasi nur sich hat. Alle meine Verwandten sind in Bulgarien bzw. mittlerweile in der Türkei. Mein Bruder ist acht Jahre jünger als ich. Das heißt, ich war hauptsächlich die Babysitterin. Wir konnten ihn nicht einfach mal bei den Großeltern lassen.

Als homosexuelle Frau mit Migrationshintergrund kommen bei dir viele Faktoren zusammen. Kriegst du das oft zu spüren?

Bei rassistischen Personen bist du die Ausländerin. Bei anderen Gruppen geht es gar nicht, dass du homosexuell bist. Viele glauben, dass ich nicht in die Türkei kann, weil ich lesbisch bin.  Oder dass es an der Nationalität liegt, dass es meine Großeltern nicht wissen. Als wären Christen und der Westen immer so aufgeklärt. Aber es liegt nicht an der Herkunft. Das liegt generell an der Homophobie. Gerade in der Flüchtlingsdebatte kommt dann oft das Argument: Gerade du solltest nicht dafür sein. Wenn es nach denen geht, würden sie dich umbringen. Aber darum geht es nicht. Sie wollen doch selber weg von dort.

Hat man es als homosexuelle Person in der migrantischen Community schwieriger?

Ich weiß nicht, ob man das so pauschal sagen kann. Damit kommt dann wieder die Annahme einher, dass migrantische Menschen nicht tolerant sein können, was aber falsch ist. Und ich kann eben auch nur von meinen Erfahrungen sprechen. Meine muslimischen Freundinnen haben sich damals von mir abgewendet. Meine österreichische Freundin nicht. Aber ich bin auch schon von Österreichern angefeindet worden. Man darf auch nicht vergessen, dass in 69 Ländern für Homosexualität die Todesstrafe droht. Und wenn man in einem dieser Länder aufwächst, ist es - auch wenn das natürlich keine Entschuldigung - schwierig aus diesen Strukturen herauszukommen. In Ungarn oder Polen zum Beispiel.

Oder der Türkei?

Ja. In der Türkei ist meine Sexualität auch nicht willkommen. Die Pride wird jedes Jahr von Polizisten geräumt. Die Leute werden zusammengeschlagen. Natürlich erwarte ich nicht, dass ich in der Türkei am Strand und mit meiner Freundin kuscheln kann. Aber es ist jetzt auch nicht so, als wäre das überall in Österreich möglich. Seit zwei Jahren dürfen gleichgeschlechtliche Paare hier heiraten. Ich finde schön, dass man so stolz darauf ist. In Ländern wie Spanien geht das seit 2005. 

Naz Kücüktekin

Über Naz Kücüktekin

Im Juni 2021 zu Kurier und "Mehr Platz" dazugestoßen. Davor: Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaften sowie journalistische Tätigkeit für diverse Medien (profil, biber, Wiener Bezirkszeitung) Kritik oder Anregungen gerne an [email protected]

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