Bühnenkostüme aus Wien: Ein Blick hinter die Kulissen der Kostümwerkstätten ART for ART
In den Kostümwerkstätten entsteht auch so manches Haute-Couture-Kleid. Ein Rundgang mit Kostümbildnerin Heide Kastler und ART for ART Chefin Petra Höfinger.
"Also das könnte schon schwierig werden“, sagt Heide Kastler und streicht mit der Hand über eine Reihe kleiner, weißer Applikationen, die auf einem roten Georgette-Kleid aufgestickt sind. „Es stammt original aus den 1940er-Jahren. Wir müssen das gesamte Kleid auftrennen, den Schnitt übernehmen, den Maßen der Schauspielerin anpassen und dann ein originalgetreues Kleid herstellen“, so die Kostümbildnerin. Wer denkt, dass es sich dabei um einen normalen Vorgang in einem Haute-Couture-Salon handelt liegt – fast – richtig. Und doch ist es etwas überraschend, dass es hier um die tägliche Routine in den Kostümwerkstätten der Österreichischen Bundestheater geht.
Wer hätte gedacht, dass die schillernden farbenprächtigen Bühnenroben von La Cage aux Folles, der Meistersinger von Nürnberg oder von L‘Orfeo, überhaupt alle Kostüme, die auf den Bühnen der Wiener Staatsoper, inklusive dem Wiener Staatsballett, der Volksoper Wien und im Burgtheater spielen, mitten im ersten Wiener Bezirk gefertigt werden?
Bei einem Rundgang durch die Kostümwerkstätten der Österreichischen Bundestheater Art for Art GmbH, blickt man auf vier Stockwerken nicht nur hinter die Geheimnisse der unterschiedlichen Kostüm-Gewerke, sondern auch in den Burggarten und aufs Palmenhaus. „Es ist gerade das Stück „Drei Winter“ in Arbeit, das am 22. April im Burgtheater Premiere haben wird“, sagt Heide Kastler,
„dafür brauchen wir dieses Kleid. Wir haben es mit vielen anderen, aus dem hauseigenen Fundus geholt. Das Stück spielt in drei unterschiedlichen Epochen 1945, 1990 und 2011.“
In den hellen, großzügigen Räumen sind sämtliche Gewerke untergebracht, von der Einkaufsabteilung und der Damenschneiderei bis zur Schuhmacher- und Modisterei. „Bei den Frauen lasse ich sehr viele Kostüme anfertigen. Generell ist es meist eine Mischung aus Fundus, Einkauf und Anfertigung“, erzählt Kastler, die in Hannover eine Professur für Kostümbild hat.
Die Rolle der Stoffe
Manche Kostüme erfordern neben dem künstlerischem Entwurf auch technische Raffinesse. Denn auf der Bühne geht es turbulent zu und die Schauspieler bespielen manchmal auch gefährliches Terrain. „Gerade jetzt haben wir auch heikle Aufgaben zu lösen, wie etwa schnittfeste Strümpfe aus dem Eishockeybereich zu beschaffen, die wir zusätzlich mit Knieschonern möglichst unsichtbar adaptierten“, lacht Kastler. „Das zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit von Regie, Bühne, Kostüm, Dramaturgie und sogar Musik ist.“ In diesem Fall stimmte sie sich mit Bühnenbildnerin Annette Murschetz ab, die in einer Szene für „Drei Winter“ den Bühnenboden mit Porzellanscherben bedeckt, auf dem die Schauspieler auftreten werden.
Bis zu 80 Stunden oder sogar mehr kann die Arbeitszeit an einem Kostüm betragen, da die Schnitte für jeden Schauspieler eigens hergestellt werden müssen. Bevor zugeschnitten und genäht wird, suchen die Kostümbildner das Material aus tausenden Rollen Stoff in der Materialverwaltung aus. „Wir haben hier unzählige Stoffmuster aus aller Welt, kaufen aber, wenn es geht, in erster Linie Stoffe aus Österreich ein“, sagt Art for Art-Geschäftsführerin Petra Höfinger.
Der gute Ruf der Wiener Theatertradition ist auch der hochwertigen Bühnenausstattung geschuldet. „Wir wollen in Zukunft mehr mit Berufs-, Modeschulen und Designern kooperieren“, so Höfinger. Auch Valentino und der Wiener Arthur Arbesser fertigten schon Kostüme für die Wiener Bühnen an. „Aber zum Beispiel stirbt der Beruf der Weißnäherei langsam aus, unsere Abteilung ist die letzte in Österreich. Auch die Schuhmacherei droht zu verschwinden.“ Um diese Berufe zu erhalten und sichtbar zu machen, rief die Managerin das Gütezeichen „Wiener Exzellenz“ ins Leben. Mit diesem innervertrieblichen Verbund des „Theater-Kunst-Handwerks“ soll das Wissen um alte Handwerkstechniken erhalten und an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.
Denn manche Accessoires sind aufwendig zu nähen, wie etwa Halskrausen für Clowns, Federplastrons oder Stiefeletten à la Vivienne Westwood. „Wir haben Juwele hier in den Kostüm- und Dekorationswerkstätten, die fertigen Sachen an, die sonst kaum jemand mehr herstellen kann“, so Höfinger.
Auch ein sieben Meter langer, kunstvoll bestickter Königsmantel für König Ottokars Glück und Ende wurde von den Kostüm-Gewerken in Handarbeit hergestellt.
Es gibt ihn immer noch. Er hängt, wie tausende andere Kostüme, im ART for ART Fundus. „Ich glaube, das war das aufwendigste und teuerste Kostüm, das ich je gemacht habe. Dafür bin ich tatsächlich in die Wiener Schatzkammer gegangen, um mir die Königsmäntel anzusehen“, so Heide Kastler.
„Den hatte dann Tobias Moretti an. Vor kurzem habe ich den Mantel in einer anderen Produktion hängen sehen. Das ist ja auch das Tolle, dass kostbar gearbeitete Kostüme nachhaltig sind.“ Die meisten Stücke kommen in den Fundus, die besten ins Theatermuseum.
„Statt mit Polyester wird jetzt gerne mit Lehm gearbeitet, Maschinen wie Stoffe werden nachhaltiger. Im Rahmen des Projekts ,Weitblick’ werden mittels Digitalisierung und Umstrukturierung neben den Kostüm- auch die Dekorationswerkstätten neu aufgestellt, um den Betrieb zukunftsfit zu machen“, sagt Höfinger. Wenn 700 Kostüme, wie bei den „Meistersingern“, auf die Bühne kommen, ist die Zeit für Anproben eine logistische Challenge. Nur bei Solisten wie etwa Anna Netrebko kommen die Kostümbildner persönlich vorbei.
„Unsere Mitarbeiter stehen wie Heinzelmännchen im Hintergrund, wir möchten ihnen nicht nur das Arbeiten erleichtern, sondern auch die Wertschätzung geben, die sie verdienen. Kostüme zu fertigen ist eine wahre Kunstform."
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