Kaiser Karl

Jede Begegnung mit ihm ist ein Vergnügen. Gerade wurde Karl Lagerfeld im Theater an der Wien als Göttervater Jupiter dargestell. In Jean-Philippe Rameaus "Platée". Zudem feiern drei Ausstellungen den Multikünstler. Ein Porträt von Brigitte R. Winkler, die ihn kennt, wie kaum eine andere.

Modezar. Modekaiser. Solche Bezeichnungen ist man gewohnt. Wenn Karl Lagerfeld im Spiel ist, gibt es aber offenbar keine Grenzen. Als Regisseur Robert Carsen kürzlich Jean-Philippe Rameaus Oper "Platée" für das Theater an der Wien iszenierte, fiel ihm als Vorbild für die Gestalt von Jupiter niemand besserer als Karl der Göttliche ein. Wunderbar dargestellt und gesungen vom französischen Bariton Edwin Crossley-Mercer. Beim ersten Auftritt des obersten Gottes fehlte auch Kultkatze Choupette nicht. Gnadenlos hatte Carsen im zweiten Akt den Modesalon von Chanel nachbauen lassen. Dort spielen sich wunderbare Szenen ab. Und schließlich tritt Göttergattin Juno auf den Plan in Gestalt von - Coco Chanel. Klar, dass Jupiter-Lagerfeld sich nicht von Nixe Platée verführen lässt, sondern seiner Juno-Coco treu bleibt. Das dazwischen auch noch Vogue-Modechefin Anna Wintour ins Spiel kommt, überraschte dann schon gar nicht mehr. Eine von Besuchern und Medien als Sensation gefeierte Aufführung. Die leider am 26. Februar zum letzten Mal in Wien zu sehen und hören war. Wer jetzt Gusto auf Gott Lagerfeld bekommen hat, muss - nach Paris fahren. Vom 20. bis 30 März wird Platée in der Opéra Comique am Place Boieldieu aufgeführt.

In Deutschland wiederum sind Karl Lagerfeld gerade zwei Ausstellungen gewidmet. Im Museum Folkwang in Essen ist "Fotografie, Buchkunst, Mode" zu sehen (bis 11. Mai). In der Hamburger Kunsthalle stehen 40 Bilder von Anselm Feuerbach 60 Fotos von Karl Lagerfeld gegenüber. Gemalte Musen gegen fotografierte Models, Daphnis und Chloe gegen Baptiste Giabiconi und Bianca Balti (bis 15. Juni). Eine Dritte mit Fendi folgt noch. Und im Herbst kommt das nächste Buch über ihn auf den Markt: Karl über die Welt und das Leben. Mit seinen besten Sagern. Zum Beispiel mit diesem: "Ich bin eine Art Mode-Nymphomaniac, der nie einen Orgasmus hat." Kultfigur Kaiser Karl.

©Monika Rittershaus

Jupiter in Rameaus "Platée"

Juno glaubt, dass Jupiter sie betrügt. Ausnahmsweise ist dem nicht so. Um der hässlichen, aber unsagbar eitlen Nixe Platée eins auszuwischen, hat man ihr vorgegaukelt, Jupiter habe sich in sie verliebt und wolle sie heiraten. Jupiter spielt mit und am Ende bereut Juno ihre grundlose Eifersucht. Platée ist schrecklich blamiert.

Getroffen habe ich Karl Lagerfeld zuletzt im Jänner nach der Männermodeschau von Kris Van Assche für Dior. Unser Gespräch beginne ich immer mit einem "Grüß Gott, Herr Professor". Seit Karl Lagerfeld 1980 bis 1984 in der Meisterklasse für Mode an der Universität für angewandte Kunst in Wien unterrichtet hat, nenne ich ihn so. Und genau das ist diesmal das Thema. Denn die Angewandte ist wieder einmal auf der Suche nach einem Modespezialisten. "Wollen Sie wieder in Wien unterrichten?", frage ich. Lagerfeld: "Dafür habe ich doch keine Zeit."Schade! Vielleicht hätte es dann auch wieder ein Plakat für den Opernball von Karl dem Vielseitigen gegeben. Wie 1981, als der Modeprofessor dafür Lob, Tadel ("ein Zombie-Plakat") und eine Gratisloge bekam.

"Brautvater" Karl mit Supermodel Cara Delevingne und Patenkind Hudson am Ende der Haute-Couture-Show im Jänner in Paris

Kennengelernt habe ich Karl den Genialen 1991 auf Einladung von Chanel im Stammhaus der Firma. Dort, wo einst Coco residierte, in der legendären Rue Cambon Nr. 31, saß er am modehistorischen Tisch. Was mich sofort und bis heute an ihm fasziniert: Seine irrwitzig präsente Intelligenz, die es ihm ermöglicht, noch ehe man eine Frage zu Ende formuliert hat, eine brillante Antwort zu finden.

Daher liebe ich unsere Treffen nach den Shows besonders. Obwohl der Modeschöpfer gerade die Geburt einer Kollektion hinter sich hat, ist er dabei so locker, als wäre er nur Gast gewesen. Einerseits erfahre ich in diesen Minuten mit Karl dem Pointenkaiser Intimes über die Kollektion, andererseits tauschen wir ein paar Boshaftigkeiten über die anwesenden Gratulanten aus. Auf Deutsch natürlich.

Karl 1991 bei der Auswahl seiner Fotos für eine Ausstellung.

Als ich bei einem dieser Momente meinen Kollegen Alfons Kaiser von der FAZ bitte, mich mit Lagerfeld zu fotografieren, packt Karl der Gütige mich an der Hand und sagt: "Das ist meine Lieblingsjournalistin aus Österreich." Ich bin überwältigt, obwohl die Sache einen Haken hat: Er kennt keine andere außer mir.Zurück zu seiner Highspeed-Redeweise. Diese Fähigkeit hat einen traurigen Hintergrund. Lagerfeld: "Wenn ich meiner Mutter etwas erzählen wollte, ging sie immer aus dem Zimmer und meinte, ich plappere zu viel Unsinn. Daher musste ich sehr schnell reden, um mit meiner Geschichte fertig zu sein, ehe sie bei der Zimmertüre war." Mit Bonmots macht er sich gerne über diese Eigenschaft lustig: "Ich bin drei Wochen zu spät auf die Welt gekommen. Das habe ich nie wieder aufgeholt." Ähnlich zielstrebig geht er bei der Arbeit vor: "Ich mache lieber Fehler, als Entscheidungen hinauszuschieben." Während andere noch zögern, hat Karl der Kluge aus seinen Fehlern gelernt. Sitzt vor einem Blatt Papier und lässt seine Ideen Gestalt annehmen: "Dafür, dass ich nie zeichnen gelernt habe, kann ich es ganz gut." Mit einer solchen Zeichnung begann 1954 seine Laufbahn. Das Internationale Wollsekretariat hatte einen Wettbewerb ausgeschrieben. Die Jury wählte seinen Entwurf eines Mantels, was ihm einen Arbeitsplatz im Hause Balmain bescherte. Zugleich mit ihm hatte sich ein gewisser Yves Saint Laurent am Wettbewerb beteiligt. Seine ausgezeichneten Kleider-Skizzen waren seine Eintrittskarte ins Haus Dior. Schöne Zeiten brachen für das Nachwuchstalent damit nicht an. Lagerfeld erinnert sich mit Schaudern an die verstaubte Atmosphäre bei den großen Modeschöpfern: "Wenn das Mode ist, gehe ich lieber zurück an die Schule", dachte er sich und biss sich durch erniedrigende Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung. Irrt aber, wenn er sagt: "Niemand würde heute mehr unter solchen Voraussetzungen arbeiten. Wenn Yves und ich nicht aus wohlhabenden Elternhäusern gekommen wären, hätten wir uns diese Lehrjahre gar nicht leisten können."

Ein Foto mit den Models Bianca Balti und Baptiste Giabiconi, das derzeit in der Hamburger Kunsthalle an der Seite von Anselm Feuerbachs Bildern ausgestellt ist.

Inspirationen holt sich Karl der Voyeur überall: "Ich bin wie ein Haus mit Fernsehantenne. Alles, was es an Bildern und Eindrücken auf dieser Welt gibt, alles, was ich sehe, höre, lese, wird in meinem Gehirn gespeichert und kommt im passenden Moment wieder zu Tage. Aus der Rumpelkammer meines Gedächtnisses mache ich eine Vision, die mir entspricht." Was Karl der Intuitive beherrscht: Materialien und Komponenten mit jungem Image in seine Kollektionen einzubauen. Verehrer des Hauses fielen 1991 beinahe in Ohnmacht, als Karl der Coole Chanel-Kostüme im Jeanslook anfertigen ließ. Die blauen, rosa passepoilierten Modefrevler, ein Mix aus luxuriösem Tweed und Streetfashion, avancierten sofort zu Bestsellern. Bei der Chanel-Couture-Kollektion im Jänner waren es die Schuhe, die für Aufsehen sorgten. Kein einziges Modell hatte Absatz! Jetzt warten Frauen sehnsüchtig, dass die "Couture-Sneakers" mit Spitze und Tüll in den Chanel-Boutiquen auftauchen. Auch Modekollegen beginnen damit, Absätze wegzulassen. Karl mag man eben.

Er jedoch versteht es, Gefühle perfekt zu verbergen. Das hat Karl die Auster wohl auch von der Mutter gelernt: "Natürlich gibt es Momente im Leben, in denen man mit knapper Mühe dem Abgrund entkommt. Das weiß man aber nur selbst, das geht niemanden etwas an." Wunderbarer Nachsatz: "Wer sich gehen lässt, ist stillos." Dass auch Karl zur Zuneigung fähig ist, erfuhr man erst wieder in letzter Zeit. Nach dem Tod seines Freundes Jacques de Bascher de Beaumarchais, 1989, tauchte – abgesehen von seinem treuen und feschen Assistenten Sebastien Jondeau – nie wieder ein Partner für länger an seiner Seite auf. Bis Model-Freund Baptiste Giabiconi ihn 2011 bat, über Weihnachten auf seine Katze Choupette aufzupassen. Das war Liebe auf den ersten Blick, denn seither lebt die weißhaarwuschelige, blauäugige Katze bei ihm. In einem Interview mit CNN im Juni 2013 bedauerte Lagerfeld, dass man Tiere nicht heiraten kann. Denn: "Ich hätte mir niemals vorstellen können, mich so in eine Katze zu verlieben.

"Doch auch diese große Liebe ist seit zwei Jahren schweren Anfechtungen ausgesetzt. Seit nämlich Lagerfelds Patenkind, Hudson Krönig, der Sohn eines seiner Lieblingsmodels, dem Babyalter entwachsen ist. Der Fünfjährige tanzt Karl dem Wehrlosen frech auf der Nase herum. Was Lagerfeld begeistert, gefällt Choupette gar nicht. Während sie zu allen anderen Karl-Kontakten lieb bis uninteressiert ist, geht sie Hudson mit gesträubten Fell aus dem Weg.Modisch gesehen steht es allerdings 1:0 für Choupette. Hat Karl der Tierliebhaber doch bereits eine KL-Katzen-Kollektion mit ihr als Vorbild entworfen.

Brigitte R. Winkler

Über Brigitte R. Winkler

Seit 30 Jahren auf allen wichtigen Modeschauen dieser Welt zugegen. Interessiert sich für alles, was mit Kunst und Kultur zu tun hat, wie eben die Mode. Seite 1977 beim KURIER. Bis 2014 auch Lektorin an der Universität für angewandte Kunst und an der Linzer Kunstuniversität.

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