Alle außer Atem: Das Korsett erlebt sein modisches Comeback

Kaum ein Kleidungsstück polarisierte in der Modegeschichte mehr. Nun hat die Generation Z das Korsett für sich entdeckt – auch die Männer.

So mancher schiebt es auf die Netflix-Hitserie "Bridgerton“, die im England des frühen 19. Jahrhunderts spielt. Andere sehen das Vogue-Cover von Sängerin Billie Eilish als Auslöser. Statt in gewohnt schlabbriger Kleidung ließ sich das Teenieidol im Vorjahr in Korsage für die britische Modezeitschrift ablichten. Seitdem feiert das einst so verpönte Kleidungsstück ein fulminantes Comeback.

Stars und Sternchen tragen es in Top- oder Kleiderform auf den roten Teppichen der Welt. Große Modehäuser wie Versace oder Fendi zeigen Korsett oder Korsage in ihren Kollektionen. Der australische Designer Dion Lee triumphierte kürzlich mit seiner Unisex-Korsett-Linie "für Körper und nicht für Geschlechterrollen“. Denn auch die Männer lassen sich nicht lumpen.

Am roten Teppich

Musiker Lenny Kravitz erschien zur diesjährigen Met Gala, die unter dem Motto "Guilded Glamour“ stand, im Spitzenkorsett (siehe oben). "Die Ringe der Macht“-Schauspieler Ismael Cruz Cordova schloss sich ihm unlängst bei der Filmpremiere der neuen Blockbuster-Serie an – und trat im Korsett-Oberteil vor die Kameras.

Nichts Ungewöhnliches, sagt die Kulturwissenschafterin Sarah Held von der Akademie der bildenden Künste zum KURIER: "Auch im Bürgertum trugen Männer im frühen 19. Jahrhundert Korsette.“ Wem das einschnürende Kleidungsstück vorbehalten war, wurde nicht vom Geschlecht, sondern von der Gesellschaft bestimmt. "Sie waren Teil der feudalen Kleiderordnung und markierten gesellschaftlichen Status“, erklärt sie.

Korsett, Korsage und Bustier: Was ist der Unterschied?

Korsett
Durch die feste Schnürung soll der Körper  verformt werden. Dazu sind auch stabile Stäbe eingearbeitet

 

Korsage
Sie liegt eng am Körper an, besteht aber lediglich aus leichten Bändern und Schnüren oder Verschlusshaken

 

Bustier
Der Bauch wird abgeflacht, die Brust angehoben. Sie enden häufig über oder direkt an der Taille  

Folter oder Stütze?

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt auch: Die ersten korsettähnlichen Kleidungsstücke tauchten bereits 1600 v. Chr. auf. Seitdem hat es eine kontroverse Karriere hingelegt. Fürsprecherinnen betonen die stützende Funktion, Gegnerinnen sehen ein Folterinstrument, das den weiblichen Körper zu einer Sanduhr presst. Warum also ist das vorbelastete Kleidungsstück unter Jungen heute derart beliebt? "Modische Korsette, die uns heute begegnen, sind von den soziokulturellen Gegebenheiten historischer Korsette gelöst“, stellt Held klar.

Die Form des Kleidungsstücks veränderte sich im Laufe der Jahre ständig. Mal war es länger, mal kürzer; in den 1920er-Jahren kamen dank Elastik bequemere Sportmodelle hinzu. Heute hat es den modischen Wandel von Unterwäsche zu Oberbekleidung endgültig abgeschlossen: In der zeitgenössischen Variante, in der Designerinnen und Designer Elemente von Korsett, Korsage und Bustier mischen, geht es nicht mehr um bedrückende Enge, sondern Komfort und Selbstbewusstsein im eigenen Körper.

Und auch wenn Korsette jahrzehntelang aus dem Alltag verschwunden waren, kamen sie letztlich doch nie ganz aus der Mode.

Neuinterpretiert

Designer wie Vivienne Westwood, Thierry Mugler und Jean-Paul Gaultier verpassten ihnen bereits in den 80er-Jahren den Befreiungsschlag. Madonna machte eine rosa Satinvariante von Letzterem auf ihrer "Blonde Ambition Tour“ 1991 zu einem wichtigen Stück Modegeschichte.

Selbst Designerin Victoria Beckham schlüpfte in der "Spice Girls“-Ära oft in die schmale Rüstung. Stiltechnisch nähert man sich daran wieder an: Grelle Farben und gemusterte Korsett-Tops werden heute ganz im Stil der frühen 2000er-Jahre zu tief sitzenden Jeans, Cargohosen oder Miniröcken kombiniert. Wer weniger Haut zeigen möchte, trägt darunter ein einfärbiges Hemd oder schlichtes T-Shirt. Die Stoffe sind leichter, statt Stäben gibt es Stretch und Reißverschluss. So bleibt beim neuen alten Lieblingsaccessoire niemandem der Atem weg – es sei denn vor Begeisterung.

Elisabeth Kröpfl

Über Elisabeth Kröpfl

Seit Dezember 2021 beim KURIER. Zuerst im Ressort Lebensart, jetzt am Newsdesk. Spanisch- und Englischstudium in Graz, danach Journalismus-Master an der FHWien.

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