Gruppe von Freunden

Speed Friending: Was macht gute Freundschaften wirklich aus?

Speed Friending. Ruckzuck platonische Freunde finden – das ist die Idee des neuen Kennenlern-Trends. Funktioniert das – und was macht gute Freundschaften wirklich aus?

Speed Dating – da war doch mal was. Bevor Apps wie Tinder erfunden wurden, fanden Menschen unter anderem auf diese Weise ihre neue Liebe.

Ein Kennenlern-Prinzip, das in Metropolen wie New York oder London gerade seine Renaissance erlebt. Beim "Speed Friending" geht es aber nicht darum, den Mann oder die Frau fürs Leben zu finden, sondern schlicht neue Freunde. Menschen, mit denen man ins Kino geht, Party macht, Lieblingsserien schaut, plaudert und lacht. 

Wie es funktioniert, ist einfach erklärt: Innerhalb weniger Minuten der persönlichen Begegnung, meist in einem Lokal, soll jeder für sich herausfinden, ob ein Gegenüber das Zeug zum „BFF“ hat – für: Best Friend forever. Angeboten wird "Speed Friending" auch in Wien, man trifft einander beispielsweise beim After Work oder im "Sprachen-Café", um seine Fremdsprachenkenntnisse aufzufrischen und gleichzeitige neue Freunde kennenzulernen. Ebenso helfen Dating-App-Spin-offs wie "Meetup" oder "BumbleBFF" bei der Suche nach platonischen Beziehungen.

Virtuelle Parallelwelt

Der Bedarf ist also groß, mit der CoV-Pandemie ist die Zahl jener, die sich einsam fühlen, gestiegen. Das betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern auch viele junge sowie Mittdreißiger, weiß die Wiener Psychotherapeutin Martina Bienenstein aus ihrer Praxis: "Viele Menschen haben kein soziales Umfeld und so wenige Kontakte, dass es für sie schwer wird, am Wochenende jemanden zu finden, um gemeinsam spazieren zu gehen oder Sport zu machen."

Vor allem den Jüngeren zwischen 17 und 19 Jahren fehle zunehmend das Übungsfeld, um Freundschaften zu knüpfen. "Die virtuelle Parallelwelt, in der sie leben, ist so verführerisch, dass das aktuelle Beziehungsgeschehen oft vernachlässigt wird", beobachtet die Psychotherapeutin. Wer in der Klasse sitzt und nicht mit seinen Schulkollegen reden mag, schaut einfach ins Handy. Konflikte werden damit vermieden, aber auch Kontakte.

"So muss sich niemand mehr zwingend mit anderen auseinandersetzen. Und auch nicht mit möglichen Verletzungen, Enttäuschungen oder eigenen Unzulänglichkeiten, die uns Freunde häufig spiegeln." Freundschaft heißt aber genau das: mit jemandem durch ein gelebtes Umfeld zu gehen und Eindrücke zu erleben, die zusammenschweißen. Dazu gehört Gutes wie Trennendes oder aber Konflikte. "Freundschaften fordern eine tiefe Auseinandersetzung mit anderen Menschen. Viele haben Angst, da durchzugehen, weil es zunehmend an sozialer Fitness mangelt, um sich auf Zwischenmenschliches einzulassen."

Ruckzuck-Kennenlernen

Die Idee des Speed Friending findet Martina Bienenstein zwar spannend, gleichzeitig zweifelt sie daran, ob sich aus diesem Ruckzuck-Kennenlernen wirklich tiefgehende Freundschaften entwickeln können. "Ich möchte keineswegs ausschließen, dass das funktioniert. Aber das Prinzip untermauert erneut das Schnelllebige und Oberflächliche, wie es für unsere Zeit typisch ist. Man trifft einander, zeigt sich von der besten Seite, Bussi, Bussi, Party – alles schön unverbindlich. Das mag zwar recht lustig sein, doch Beziehungen, die daraus entstehen, verflüchtigen sich rasch wieder."

Die wenigsten Menschen seien sich bewusst, dass soziale Interaktion anstrengend ist – eine Form von Arbeit. "Freundschaft ist nichts, was einem zufällt, sondern etwas, worum man sich kontinuierlich bemühen muss und das im Laufe der Zeit unterschiedliche Entwicklungsstufen durchmacht."

"Freundschaft ist nichts, was einem zufällt, sondern etwas, worum man sich kontinuierlich bemühen muss und das  unterschiedliche Entwicklungsstufen durchmacht"

©Privat

Emotionaler Anker

Für das soziale Wesen Mensch ist sie dennoch unverzichtbar, Freundschaften fungieren als emotionaler Anker. "Psychologische Forschungen aus der ganzen Welt zeigen, dass soziale Verbindungen einer der zuverlässigsten Prädiktoren für ein langes, gesundes und befriedigendes Leben sind", heißt es dazu seitens der American Psychological Association. Oder, wie es im bekannten Gedicht von Georg Bydlinski steht: "Freunde sind wichtig zum Träumen und Reden, Freunde sind einfach wichtig für jeden."

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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