Lust-Muss: Warum Kondome wichtiger denn je sind

300.000 Kondome werden den Sportlerinnen und Sportlern bei den olympischen Spielen zur Verfügung gestellt. Hoch lebe der „Pariser“ in Paris, denn sexuell übertragbare Krankheiten nehmen zu.

Kondom? Hm, eher nicht so. Wenn’s darum geht, im richtigen Moment das Richtige zu tun, ziehen Männer oft den Schwanz ein. Mit etwas Empathie betrachtet nachvollziehbar: Denn ja, stimmt, das Überziehen eines Gummis firmiert nicht gerade auf Platz eins der „100-Dinge, die man supergerne tun möchte“-Bucketlist. Im Moment eskalierender Erregung nüchtern und von ruhiger Hand die Packung aufzureißen, das Ding aufzurollen, um es elegant überzuziehen – dafür braucht es durchaus ein gerütteltes Maß an ungeiler Contenance und Coolness. 

Mag sein, dass das Routinierte fest im Griff haben, die meisten fürchten sich aber vor diesem Augenblick. Viele Männer empfinden ihn als stressig, im schlimmsten Fall gerät er zur peinlichen Farce aus zittrigen Händen, verbalen Übersprungshandlungen und einer dahinscheidenden Erektion. Die wenigsten haben eine Dame zur Seite, die den Gummi mit Lippen und Zähnen überziehen kann. Fazit: Da lass’ mas lieber.

Keine gute Idee. Das Verwenden eines Kondoms ist alternativlos – im Sinne von Safer Sex ein Muss. Europaweit wird aktuell ein starker Anstieg sexuell übertragbarer Krankheiten registriert, wie die Daten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC zeigen. Im Jahr 2022 hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle im Vergleich zum Jahr zuvor deutlich erhöht, Gonorrhö-Fälle stiegen etwa um 48 Prozent. 

Andererseits müsste es noch viel mehr „Gib Gummi!“ heißen, im Sinne der Popularität. Kondome könnten zum Hedonismus-Symbol avancieren, das jeder sexuell Aktive bei sich trägt. Mit dem spielerisch-freudig umgegangen werden darf, ohne Lust-Verlust und Libidokiller-Image.

Sexuelles Hochrisikoverhalten

Als Hauptursache dafür gilt die Zunahme eines sexuellen Hochrisikoverhaltens, heißt: ungeschützter Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnerinnen und Partnern. Österreich ist auch diesbezüglich keine Insel. Umso erfreulicher, dass das „Präserl“, wie das Präservativ im heimischen Wörterbuch bezeichnet wird, wieder einen kleinen Hype erlebt. Erst vor Kurzem vermeldete der deutsche Kondomhersteller Ritex für das Jahr 2023 den höchsten Umsatzrekord seit Gründung der Firma, 1948. 

Das Kondom habe die Pille als meistgenutztes Verhütungsmittel abgelöst, zumindest bei den Deutschen. Das hätte nicht nur mit einem gewissen Schutzbedürfnis zu tun, sondern vor allem mit der zunehmenden Ablehnung hormoneller Verhütungsmethoden. Wer weiß, vielleicht hängen ja deshalb mehr Kondome als Liebesschlösser an den beliebtesten touristischen Hotspots der spanischen Insel Mallorca herum, neben Plastiksackerln und Coronamasken. Die Einheimischen sind, naturgemäß, not amused.

Andererseits müsste es noch viel mehr „Gib Gummi!“ heißen, im Sinne der Popularität. Kondome könnten zum Hedonismus-Symbol avancieren, das jeder sexuell Aktive bei sich trägt. Mit dem spielerisch-freudig umgegangen werden darf, ohne Lust-Verlust und Libidokiller-Image. Am Thema „Awareness“ haben sich schon einige abgearbeitet, Kondome werden gerne als Marketinggag gereicht oder als Hingucker, etwa bei Fashion Shows. 

Zuletzt in Mailand, als „Diesel“ seine Kollektion vor einer Kulisse aus 200.000 Gummis präsentierte, samt Stöhn-Soundtrack. 2019 präsentierte die Marke Yves Saint Laurent Luxus-Latex-Gummis mit Zebra- oder Leopardenprint. Nette Idee, wäre da nicht der hohe Preis gewesen. Kondome sollten niemals für luxuriöse Abgehobenheit stehen, sondern für Bewusstsein, Achtsamkeit, Selbstfürsorge. Das alles beginnt schon bei der Sexualaufklärung – ob im Elternhaus oder in der Schule. Abseits des erhobenen Sitten-Zeigefingers und angstmachender Warnungen, die Sex pathologisieren. Jenseits von Scham und Stigma. Kondome sollten, wie Papiertaschentücher, zum selbstverständlichen Accessoire avancieren, bunt, inklusiv, lebenslustig, animierend.

Buchtipp

Ein weiteres Œuvre zum aktuellen Polyamorie-Trend: das Buch „Lieben und lieben lassen“ von Saskia Michalski,  bekannte Expertin für  diverse Beziehungsformen. Darin erzählt sie, wie sie ihren Weg aus einer klassisch-glücklichen Ehe in ein Leben abseits heteronormativer und monogamer Konstrukte fand. Verbunden mit der Frage, was die Gesellschaft als „normal“ definiert. Verlag Piper, € 18,30 

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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