Sex, Sehnsüchte & Sprachlosigkeit: Redet endlich miteinander!

Vor kurzem ist der Text „Date mit dem jüngeren Ich“ erschienen. Er hat viele berührt und erinnert. Mich auch. Und so wurde mir bewusst, dass ich einen wichtigen Aspekt vergessen habe.

Besonders große Freude über die vielen Reaktionen auf meine vorletzte Kolumne „Date mit meinem jüngeren Ich“. Danke! Von Herzen. Vor allem für die offenen Worte und Erzählungen, die mich erreichten. Offenbar ging es vielen Menschen wie mir – sie fühlten ähnlich. Gleichzeitig gelang ebenso vielen ein individueller Wandel im Sinne eines geglückten (Sexual-)Lebens, was schon sehr cool ist und mich begeistert. Wie jener 55-jährigen Frau, die mir von ihrem persönlichen Befreiungsschlag erzählte – und dass sie sich nach Jahrzehnten endlich scheiden ließ. Wohl aus Gründen, daher: mutig, Chapeau. Jemand anderer schrieb: „Für diesen Artikel möchte ich Sie umarmen, küssen, an mich drücken. So sehr hat er mich an meine eigene Jugend erinnert.“ Merci – und, ja: zurück! Auf dass wir endlich nachholen mögen, was uns fehlte, selbst wenn’s im Herbst des Lebens ist.

Schließlich fiel mir ein, dass ich in dem ganzen Text etwas Wesentliches vergessen habe. Etwas, das ich meinem jüngeren Ich (und anderen jüngeren Ichs) damals auch sehr ans Herz gelegt hätte. Nämlich: Hör endlich auf, zu schweigen! Bitte. Sprich aus, was du brauchst, was du gerne hättest und was dir fehlt. Genier’ dich nicht, steh’ zu dir – und lass dich nicht von irgendwelchen anderen in die Sprachlosigkeit zwingen.

"Bäh"-Wort "Scheide"

Aber weil es bekanntlich niemals zu spät ist, sage ich es heute umso deutlicher – nicht nur zu mir: Redet endlich miteinander, auch wenn es „seinerzeit“ nicht opportun war, über Bedürfnisse, Sehnsüchte und geheime Träume zu sprechen. Damals zuckte das Umfeld schon nervös und indigniert zusammen, wenn man das Bäh-Wort „Scheide“ ins Gespräch knallte, womöglich im Verbund mit dem Begriff „fühlen“. Im schlimmsten Fall wäre dann der Satz „Wie fühlt sich eine Scheide von innen an?“ rausgekommen und irgendjemand hätte „ähem“ sagen und den Blick senken müssen, um zu ergänzen: „Liebes, darüber spricht man nicht, pfui.“ So wurde jeglicher Dialog, jegliche Gefühlsäußerung zu einer Leerstelle und Lücke – einfach abgewürgt, ins Out gekickt. Man sieht’s und hält umso mehr den Mund. Für sowas sollte man sich, bitteschön, genieren.

Unlängst saß ich mit einem Mann zusammen, der mir von seiner Ex-Frau und der Ehe mit ihr erzählte. Er sagte: „Irgendwann hörten wir auf, miteinander zu schlafen. Ich habe bis heute keine Ahnung, weshalb.“ Wie bedrückend: Die beiden hatten sich niemals darüber ausgetauscht, sondern diesen Ist-Zustand sprachlos hingenommen. Einfach so. Und, dann, eines Tages: „Ciao!“ Mich machte das traurig – welch vergebene Chance. Und so verlieren sich viele Paare in der sprachlosen Routine, abseits der Lust. Man tut’s, aber keiner weiß mehr so genau, weshalb. War doch immer so, also bitte stellen wir uns nicht deppert an! Irgendwann liegt man da und denkt sich: „Das soll es gewesen sein, echt jetzt?“ Während im Schatten neue Träume wachsen und die Sehnsucht so schmerzt, dass man schreien möchte. Doch leider: Topsecret, pssst, nix sagen! Weil wir uns dafür genieren und uns irgendwann jemand ins Ohr geflüstert hat: „Behalt das ja für dich, darüber spricht man nicht!“ Aber auch, weil wir gelernt haben, unsere Bedürfnisse zu zähmen – um zu funktionieren, um uns anzupassen. Oder überhaupt: Um erst gar nicht wahrzunehmen, was wir wirklich fühlen und wollen. Irgendwann stecken Menschen zwischen dem „Sollen, Müssen und Sehnen“ fest, statt sich zu befreien – und in Folge, auszuprobieren. Deshalb, liebes, jüngeres Ich: Mach den Mund auf, egal, was andere denken mögen. Hör’ auf, dich zu schämen. Sag’s, wie es ist, sei: Du!

Buchtipp

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Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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