Microcheating: Das "kleine" Fremdgehen ohne Sex

Wo genau beginnt Fremdgehen? Beim kurzen Flirt an der Supermarktkassa, bei zweideutigen Kurznachrichten, beim flüchtigen Kuss?

Habt ihr schon einmal fremdgeflixt? Ja? Ui! Falls ihr an dieser Stelle allerdings den Kopf wiegt, weil ihr überhaupt keine Ahnung habt, wovon die Rede ist – hier ein paar aufklärende Worte: Viele Paare schauen gemeinsam Serien auf Netflix. Das hat etwas Ritualisiertes, Verbindendes und gehört genauso dazu wie das gemeinsame Abendessen oder Spazierengehen im Schnee. Manchmal jedoch kommt es vor, dass einer der beiden die Serie heimlich weiterschaut, allein oder – dramatischer – mit anderen. Das heißt dann Fremdflixen und es gilt als Vertrauensbruch, wenn der Serienpartner den anderen auf diese Weise „betrügt“.

Das kann, muss man aber nicht ernst nehmen. Andererseits wird damit ein wesentliches Beziehungsthema berührt: Wo genau beginnt Fremdgehen überhaupt, was ist verzeihlich, was nicht und wann ist es Zeit, die Stopptaste zu drücken? Womit wir bei einem weiteren zeitgemäßen Anglizismus gelandet wären, dem „Microcheating“. „Cheating“ kommt von „to cheat“, „betrügen“. Das „Micro“ davor deutet schon an, worum es geht: Es ist nix Großes, sondern von überall ein bisserl. Ein bisserl was verheimlichen, ein bisserl wo flirten, ein bisserl mehr hin- und anschauen als nötig, ein bisserl whatsappen und ein bisserl im Messenger von Facebook seine Fühler ausstrecken, ob was geht. Wo es doch so schön heißt: Ein bisserl was geht immer.

Wie das von Paaren gehandhabt und empfunden wird, ist unterschiedlich. Ein Graubereich für die einen, das absolute No-go für die anderen. Dabei kommt es vor allem darauf an, was sonst noch läuft und wer genau die Protagonisten sind, die anderen Mitmenschen zu tief in die Augen schauen. Hat man an seiner Seite eine ehemalige Betthupferl-Legende, die niemals was anbrennen hat lassen (und jetzt selbstverständlich für immer und ewig Treue schwört), dann ist allfälliges Microcheating anders zu bewerten als bei jemandem, dessen Treue-Grundwerte so stabil sind wie das Holz des Diamantnuss-Baums. Solche Typen sind überzeugt, dass das Fremdgehen bereits mit dem Löschen von Mails oder Nachrichten beginnt, die der Partner nicht sehen sollte.

Belebende Flirts

Typus „Legende“ hingegen spielt immer mit Grenzen. Wo die genau liegen und wo was aufhört, das erst gar nicht beginnen hätte sollen, wird recht elastisch bewertet und verschwimmt. So kann aus Microcheating relativ zügig ein außerehelicher Beischlaf-Pallawatsch werden. Andererseits sind Micro-Flirts aber auch etwas, das selbst Diamantnuss-Fundis gut tut. Eine Form von Horizonterweiterung, zutiefst lebendig – und durchaus bekömmlich für den eigenen Selbstwert. Es ist eben etwas anderes, ob der attraktive Johnny in dieser Bar irgendwas über die Farbe deiner Augen sagt oder jener Mensch, mit dem du seit Jahren Esstisch, Bad und W-Lan teilst, murmelt, dass er dich eh schnucki findet. Wunderbar, aber mäßig prickelnd.

Interessant ist, dass Echtzeit-Flirts meist harmloser verlaufen als virtuelle, bei denen man sich viel schneller in einen Erotik-Schwurbel hineinmanövrieren kann, weil ja alles nur „in der „Fantasie“ stattfindet. Bis irgendeiner der beiden Dichter sagt: So, Baby, was wäre, würden wir alles, was wir hier so in die Tastatur gejagt haben, im Stundenhotel durchvögeln? Spätestens jetzt ist Innehalten angesagt, um sich die Frage nach dem Warum? zu stellen: Warum mache ich das, wie kam es so weit, was fehlt mir, was brauche ich wirklich? Und wenn man das alles für sich herausgefunden hat, kann man ja immer noch ins Stundenhotel fahren oder aber mit dem eigenen Partner netflixen – bis zur allerallerletzten Staffel.

Gabriele Kuhn

Über Gabriele Kuhn

Seit 1995 an Bord des KURIER - erst 14 aufregende Jahre lang als Ressorleiter-Stv. im Freizeit-Magazin, dann als Leiterin des Ressorts Lebensart. Seit 2017 Autorin. Kolumnistin. Interessens- und Know-How-Schwerpunkte: Medizin, Lifestyle, Gesundheit. Und Erotik. Die ironische Kolumne "Sex in der Freizeit" gibt es seit 2002. Damit's nicht fad wird, schreibe ich seit Anfang 2012 die Paar-Kolumne "Paaradox" gemeinsam mit Ehemann und Journalist Michael Hufnagl. 2014 wurde Paaradox zum Lesekabarett - mit Auftritten im Rabenhof und auf vielen Bühnen Ostösterreichs.

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