Menschheitsgeschichte: Auf den Spuren des ersten Kusses
Dänische Forschende schreiben die Anfänge des Küssens neu: Geküsst wird schon seit 4.500 Jahren, früher und auch andernorts als bisher angenommen. Die intime Geste fasziniert bis heute.
Über 30 Gesichtsmuskeln setzen sich beim Küssen in Bewegung. Gleichzeitig beginnen mehr als 100 Milliarden Nervenzellen zu vibrieren, während sich die Botenstoffe Serotonin, Adrenalin und Endorphine in die Blutbahn ergießen. Von diesen komplexen neurobiologischen Prozessen hatte man im alten Mesopotamien keine Kenntnis. Genossen hat man ihren elektrisierenden Effekt aber wohl schon damals, wie neueste Forschungen der Universitäten Kopenhagen und Oxford zeigen.
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Demnach war das Küssen im Nahen Osten schon vor 4.500 Jahren eine verbreitete Form der Intimität – rund 1.000 Jahre früher, als bisher angenommen.
Aussagekräftige Relikte
Für ihre Analysen, die im Fachblatt Science veröffentlicht wurden, zog das Team um den Medizinhistoriker Troels Pank Arbøll von der Uni Kopenhagen Schriftdokumente mesopotamischer Völker heran. Insbesondere in Keilschrift beschriebene Tontafeln verraten der Wissenschaft viel über das antike Mesopotamien, dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris.
Frühe Exemplare enthalten Eintragungen aus dem Steuer- und Rechnungswesen – und eben auch Bildnisse ineinander verschmolzener Menschen. "Viele Tausend dieser Tontafeln sind bis heute erhalten geblieben", wird Arbøll in einer Aussendung zitiert. "Sie enthalten klare Beispiele dafür, dass Küssen im Altertum ein Teil von romantischer Intimität, Freundschaft und Beziehungen zu Familienmitgliedern sein konnte."
Lippensport
Küssen bringt den Körper auf Touren: das Herz schlägt schneller, der Puls steigt. 6,4 Kalorien verbrennt ein normaler Kuss pro Minute – ein leidenschaftlicher sogar bis zu 20 Kalorien.
Immunbooster
Beim Schmusen wandern rund 4.000 Bakterien von Mund zu Mund. Das stärkt das Immunsystem. Allein der Gedanke ans Schmusen regt den Speichelfluss an und löst schädlichen Zahnbelag.
58 Stunden und 35 Minuten und 58 Sekunden dauerte der längste ununterbrochene Kuss der Welt. Den Rekord halten Ekkachai und Laksana Tiranarat aus Thailand.
Romantik pur
Beim Küssen prasselt eine Vielzahl an Reizen simultan auf den Menschen ein. Das Gehirn ist damit schlicht überfordert. Deswegen schließen wir beim Schmusen die Augen, wie britische Psychologen 2016 belegen konnten.
Bislang hatten Wissenschafterinnen und Wissenschafter den Ursprung der intimen Geste in einem bestimmten Gebiet Südasiens – dem heutigen Indien – verortet. Rund 3.500 Jahre alte Aufzeichnungen galten als früheste Belege. Die neuen Erkenntnisse widersprechen dieser These. Die Praktik sei früher entstanden als gedacht und habe sich nicht von einer Region ausgebreitet, so Arbøll: "Es scheint vielmehr in mehreren alten Kulturen über Tausend Jahre hinweg praktiziert worden zu sein."
Tatsächlich hat die Forschung zu Bonobos und Schimpansen, den nächsten lebenden Verwandten des Menschen, offenbart, dass beide Arten Küsse austauschen. Ein Hinweis darauf, "dass Küssen ein grundlegendes Verhalten des Menschen ist", ergänzt Co-Autorin Sophie Lund Rasmussen von der Uni Oxford. Das erkläre auch, weshalb Küssen allen Kulturen gemein ist.
Und: Abgesehen von seiner Bedeutung für das Sozial- und Sexualverhalten des Menschen könnte das Küssen eine nicht unwesentliche Rolle bei der Übertragung von Mikroorganismen gespielt haben. Küssen könnte also auch die Ausbreitung von Viruserkrankungen unter Menschen in antiken Gesellschaften begünstigt haben.
Unvergessliche Küsse
Zurück ins Hier und Jetzt. Neben der menschheitsgeschichtlichen Premiere des Küssens erlebt auch jeder Einzelne einen ersten Kuss im Leben. Ob flüchtig, sanft oder stürmisch: Er bleibt den allermeisten ewig in Erinnerung. Hirnforscher erklären das mit dem Einfluss unserer Emotionen auf die Kognition: Stress hemmt das Denkvermögen, angenehme Ereignisse stimulieren es. Und: Ist ein Erlebnis besonders aufregend, wird es umso leichter gespeichert.
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