
Psychologin über Trennungen: "Männer leiden oft stärker und länger"
Männer streben mehr nach Beziehungen, halten eher an ihnen fest und leiden mehr unter Trennungen. Psychologin Iris Wahring erklärt im Interview, warum.
Eine Seminareinheit im Frühsommer 2021 weckte das Interesse von Iris Wahring: Männer sprachen im Durchschnitt positiver über ihre Ex-Partnerinnen als umgekehrt. "Woran könnte das liegen?", fragte Seminarleiter und Universitätsprofessor Paul van Lange.
Iris Wahring hatte eine Vermutung: Könnten Gefühle eine Rolle spielen? Das Thema ließ die Psychologin und angehende Doktorandin nicht los. In den folgenden drei Jahren arbeitete sie sich durch 50 großangelegte Studien. Und kam zu einem Ergebnis, das sie selbst überraschte.
Frau Wahring, Romantik wird oft eher mit Frauen in Verbindung gebracht. Doch Ihre Forschung zeigt eine überraschende Erkenntnis.
Iris Wahring: Ja. Männer sind tatsächlich stärker auf romantische Beziehungen angewiesen als Frauen. Sie verlieben sich schneller, streben eher nach einer Partnerschaft und gestehen meist zuerst die Liebe.

Psychologin Iris Wahring
©PrivatWarum ist das so?
Ein zentraler Faktor ist die emotionale Unterstützung. Sowohl Männer als auch Frauen haben ein angeborenes Bedürfnis nach Nähe, nach Wertschätzung, dass einem zugehört wird und man sich austauschen kann. Frauen erhalten diese Unterstützung auch im Freundeskreis oder von der Familie; Männer eher weniger. Deshalb sind sie für die Erfüllung der Bedürfnisse stärker auf eine Partnerin angewiesen.
Sind daran traditionelle Geschlechterrollen schuld?
Das ist unsere Annahme. Emotionalität und Verletzlichkeit werden weiterhin oft als "Frauensache" betrachtet. Männer lernen hingegen früh, dass sie stark sein und ihre Gefühle für sich behalten sollen.

Männer leiden mehr unter Trennungen als Frauen
©Getty Images/iStockphoto/OcusFocus/IStockphoto.comIn einer Beziehung können sie dann also Schwäche zeigen – und das tut ihnen gut?
Genau. Männer profitieren insgesamt stärker von einer Beziehung als Frauen. Also auch Frauen profitieren, aber bei Männern ist der Effekt stärker. Sie sind zufriedener, leben gesünder, ihre psychische und physische Gesundheit verbessert sich. Und auch ihre Entzündungswerte und ihr Bluthochdruck sind niedriger.
Sie haben aber nicht nur festgestellt, dass Männer stärker nach einer Beziehung streben, sondern auch seltener Schluss machen.

60 bis 70 Prozent der Trennungen gehen von Frauen aus. In nur etwa 15 bis 20 Prozent der Fälle trifft der Mann die Entscheidung.
©Getty Images/iStockphoto/BRO Vector/iStockphotoJa, hier sehen wir den stärksten Unterschied zwischen den Geschlechtern. 60 bis 70 Prozent der Trennungen gehen von Frauen aus. In nur etwa 15 bis 20 Prozent der Fälle trifft der Mann die Entscheidung. Im Rest der Fälle wird die Entscheidung gemeinsam getroffen.
Warum trennen sich Frauen häufiger?
Auch hier gehen wir davon aus, dass es eine wichtige Rolle spielt, dass Frauen für die Erfüllung emotionaler Bedürfnisse wichtiger für ihren Partner sind als umgekehrt. Ein weiterer möglicher Grund könnte sein, dass Frauen in Beziehungen immer noch mehr Care- und Hausarbeit übernehmen als Männer. Das hat mit gesellschaftlichen Erwartungen zu tun und mit einer infolgedessen geringeren Bereitschaft mancher Männer. Dadurch kann eine Beziehung für Frauen im Durchschnitt anstrengender sein als das Single-Leben. Das wurde während der Corona-Zeit besonders deutlich.
Spielt auch finanzielle Abhängigkeit eine Rolle?
Interessanterweise viel weniger als man erwarten könnte. Bei verheirateten Paaren liegt der Anteil der Frauen, die eine Trennung einleiten, sogar noch höher. Es könnte eher sein, dass Männer aus Angst, die emotionale Nähe zu den Kindern zu verlieren, an der Beziehung festhalten. Das ist allerdings noch nicht ausreichend erforscht.
Wie gehen Männer mit dem Ende einer Beziehung um?
Männer leiden oft stärker und länger. Sie bewerten ihre Ex-Partnerinnen positiver und verspüren seltener Erleichterung. Sie haben weniger das Gefühl, etwas aus der Trennung gelernt zu haben und sind einsamer. Frauen nutzen gesündere Bewältigungsstrategien – sie suchen Unterstützung. Männer neigen hingegen zu Alkohol- oder Drogenkonsum; ihr Suizidrisiko nach einer Scheidung steigt in manchen Studien sogar auf das Doppelte.
Kann das daran liegen, dass Frauen mehr über Liebeskummer und Gefühle sprechen – etwa durch die Filme und Zeitschriften, die sie schon als Jugendliche konsumieren?

Frauen nutzen gesündere Bewältigungsstrategien – sie suchen Unterstützung.
©Getty Images/iStockphoto/pyotr021/istockphoto.comDas ist möglich. Eine Studie zeigt, dass männliche Jugendliche oft denken, es sei "komisch", mit anderen über Gefühle zu sprechen, während es für Mädchen normal ist. Das ist leider immer noch ein großes Thema.
Braucht es also mehr Angebote für Männer, um über Gefühle zu sprechen?
Unbedingt. Männer-Gruppen oder Schulprojekte können helfen, eine Kultur zu etablieren, in der Männer sich genauso offen über Gefühle austauschen wie Frauen. Dass das Sprechen über Gefühle ein grundlegendes Bedürfnis ist. Das würde übrigens auch Frauen entlasten.
Inwiefern?
Wenn Männer nicht ausschließlich ihre Partnerin als emotionale Stütze sehen, verteilt sich diese Last besser. Niemand sollte die einzige Anlaufstelle für alle Krisen und Probleme einer anderen Person sein. Mehr emotionale Netzwerke helfen Männern und Frauen gleichermaßen.
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