Warum Sardellen jetzt zum Kult-Produkt werden
Sauer eingelegt, gesalzen oder in Olivenöl: Die Vertreter aus der Familie der Heringe schmecken immer. Auch frisch.
Unsere Großmütter und Großväter hatten sie, ihre Kinder und Enkelkinder ebenfalls. Die einen als Paste aus der Tube, die anderen als Pizzabelag. Die Rede ist von Sardellen, oder wie der weit gereiste Österreicher sagt: „Anchovis“. Sardellen gehören zur Familie der Heringe (sie sind deshalb etwas fetter und besonders gesund, Stichwort: Omega 3), die kleinen Fische sind naturgemäß keine Einzelgänger. Sie leben als planktonfressende Schwärme im Mittelmeer, im Atlantik oder auch vor den Ufern Südamerikas. Sardellen wurden im südeuropäischen Meer schon in der Römerzeit gefangen, davor von den Griechen. Aus den Fischresten kultivierten die Römer das Garum, ein antiker Vorfahre der japanischen Fischsauce.
Mehrfacher Genuss
Grob gesagt kann man Sardellen auf dreierlei Arten genießen: Sauer eingelegt, gesalzen und mit Olivenöl in Konserven mariniert, oder auch einfach frisch. Wie bei den Dosensardinen entstand auch um Sardellen während der vergangenen Jahre ein regelrechter Kult, doch die frische Ware ist ebenso nicht zu verachten, vielleicht auch, weil sie nicht immer den Weg ins Binnenland Österreich findet. „Oft sind die Lieferungen aus Italien etwas unstet, weil das Meer so in Bewegung ist und die Fischerboote im Hafen bleiben“, sagt Petra Götz-Frisch.
Sie betreibt in der Wiener Josefstadt das kleine, feine Fischgeschäft mit angeschlossenem Bistro namens „Goldfisch“. Sie erzählt, dass ihre Kunden frische Sardellen lieber im Ofen (siehe Rezept) zubereiten, als sie zu frittieren. Sardellen sind offenbar ein Lebensmittel, welches die Österreicher nicht bevorzugt gebacken verzehren. „Früher waren Sardellen eher wegen ihrer Würze beliebt“, erzählt Götz-Frisch, „das hat sich geändert, seit immer bessere Qualität auch in Österreich zu bekommen ist.“
Hochburg Baskenland
Das spanische Baskenland gilt als Hochburg der Sardellen-Kultur, wobei hier von den eingesalzenen und in Olivenöl eingelegten Sardellen, die man „Anchoa“ nennt, die Rede ist. In Bilbao gibt es eine Tapasbar, die programmatisch den Namen „Anchoa“ trägt, in San Sebastián ist die „Gilda“ eine der berühmtesten Pinxos (so heißen Tapas im Baskenland). Dieses Di Gilda besteht aus einer milden Pfefferoni, einer Olive und einem Sardellenfilet aus der Konserve. Man wird fast süchtig danach, vor allem, wenn der baskische Weißwein, der Txakoli ins Glas kommt. Er wird traditionell in einem einfachen Wasserglas serviert.
Konserviert
Wer der Sache mit den eingesalzenen und in Olivenöl konservierten Anchoas nachgehen will, fährt in die Fabrik von Zallo, unweit von Bilbao, macht eine Führung und gerät ins Staunen. Keine Maschine außer Förderbändern. Hier wird von Hand gearbeitet wie vor hundert Jahren. Die fangfrischen Fische werden nach Größe sortiert, dann eingeordnet, schließlich gesalzen. In dem Saal, wo das Förderband läuft, ist der Lärm allerdings ohrenbetäubend.
Die Arbeiterinnen tragen Ohrenschützer, sie verdienen sicher kein Vermögen, aber die Konservenfabrik ist einer der wenigen Arbeitgeber der Gegend. Die besonders gefragten Sardellen, die teuersten und größten, sind so wenig gesalzen, dass man eine ununterbrochene Kühlkette benötigt, um sie zu transportieren. Was reisende Feinschmecker immer wieder vor Herausforderungen stellt. In den Pinxo-Bars von Bilbao werden die Jumbo-Sardellen auf kleinen Weißbrotscheiben serviert, dazu mitunter milde, eingelegte rote Pimentos.
Hotspot Süditalien
Ein weiterer Hotspot europäischer Sardellenkultur ist das südliche Italien. Im Nationalpark Cilento machte vor einigen Jahren Donatella Marino von sich reden, dessen Alici di Menaica von Slow-Food-Begründer Carlo Petrini zum ersten Slow-Food-Presidio geadelt wurde. Was nicht weniger bedeutet, als dass diese Sardellen besonders gut und schützenswert sind. Kleine Fischerboote fahren bei Abenddämmerung aufs Meer und lassen ihre speziell nach alter Tradition geknüpften Netze ins Wasser.
Das Wissen um Meeresströmung und Haltbarmachung wurde aus der Zeit der Griechen konserviert, das Salz, in dem die Fische eingelegt werden, kommt aus der Umgebung. Der filtrierte Saft von in Fässern gelagerten Sardellen dient zur Gewinnung von Colatura di Alici. Damit werden Suppen, Fischsaucen und Pastagerichte verfeinert. Auf das Salzen dieser Gerichte kann dann übrigens verzichtet werden.
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