Frankreichs Starkoch Thierry Marx: Gewerkschaftschef und Kampfsportler

Thierry Marx gilt als Ausnahmefigur in der französischen Gastronomie-Szene. Er gibt Seminare in Gefängnissen, kocht für Obdachlose – und eröffnete jetzt auch ein Lokal auf dem Eiffelturm.

Aus Paris von Simone Weiler

Thierry Marx spricht wie ein Mann, der sich seiner natürlichen Autorität bewusst ist. Sanft und ruhig klingt seine Stimme und fügt sich in das Summen der Hintergrundmusik seines neuen Restaurants „Madame Brasserie“ im ersten Stock des Eiffelturms ein. Warum dieser Name? „Der Eiffelturm ist eine große eiserne Dame, ein weibliches Symbol Frankreichs“, schwärmt der Chefkoch.

Die Zimmerleute, die den Turm für die Weltausstellung im Jahr 1889 erbauten, seien bis dahin nur mit der Arbeit mit Holz vertraut gewesen. Aber sie folgten der Vision und Entschlossenheit eines Mannes, des Ingenieurs Gustave Eiffel, etwas ganz Neues zu schaffen mithilfe bereits bekannter Techniken. „Tradition und Innovation gingen Hand in Hand“, folgert Marx.

Die „Madame Brasserie“ im ersten Stock des Eiffelturms.

©REUTERS/YIMING WOO

Er spricht dabei nicht nur vom Aufbau des Eiffelturms vor fast 134 Jahren. Sondern auch von der Art von Küche, die ihm für diesen Ort vorschwebt. Während er in seinem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant „Sur Mesure“ („Nach Maß“) im Pariser Luxushotel „Mandarin Oriental“ gehobene Kreationen anbietet, ist das Angebot in der Brasserie einfacher.

Wortwörtlich handelt es sich um eine Brauerei und das französische Verb „brasser“ meint auch die Durchmischung von Menschen aus verschiedenen Milieus. Allerdings hat „Madame Brasserie“ wenig mit dem Bistro um die Ecke zu tun, das auch Arbeiter anzieht.

Hier auf dem Eiffelturm sitzen viele Touristen, deren Gespräche in verschiedenen Sprachen sich zur Mittagszeit zu einem lebendigen Gemurmel vermengen. Es duftet nach Rindfleisch.

Zur Person

Anfänge
Thierry Marx wurde am 19. September 1959 in Paris geboren. Nach einer Konditor-Ausbildung diente er als Soldat im Libyen-Krieg. Zurück in Frankreich arbeitete er sich in Restaurants hoch, bis er Chefkoch im Regency Hotel in Sydney wurde.

Auszeichnungen 
1988 erhielt er seinen ersten Michelin-Stern für das Restaurant „Roc en Val“ in Montlouis-sur-Loire, weitere sollten folgen. 2006 ernannte der Restaurantführers Gault & Millau ihn zum „Koch des Jahres“. Er gilt als Vertreter der Molekularküche.

Schwierige Jugend

In Frankreich gehört Thierry Marx zum Kreis der berühmtesten Spitzenköche. Er ist ein viel beschäftigter Tausendsassa, der immer an etlichen Projekten gleichzeitig arbeitet. Charismatisch wirkt er, mit seiner kräftigen Statur, der rasierten Glatze und den Lachfalten um die Augen. In seiner wenigen Freizeit betreibt Marx Kampfsport, von dem er sagt, dass der ihn einst davor gerettet habe, als Kleinkrimineller zu enden.

Im Vergleich zu seinen anderen Restaurants tischt Marx auf dem Eiffelturm einfachere Speisen auf – Zugänglichkeit ist das Motto 

©APA/AFP/EMMANUEL DUNAND

Dem breiten Publikum bekannt wurde der 63-Jährige vor einigen Jahren als Jury-Mitglied der beliebten TV-Kochshow „Top Chef“. Seine persönliche Geschichte spricht viele an, weil sie beweist, dass der „amerikanische Traum“ auch in Frankreich realisierbar ist – einem Land großer, oft fest zementierter Klassenunterschiede.

Aufgewachsen ist der Enkel polnischer Juden in einem Viertel im Pariser Osten, das heute als hip gilt, damals aber ein sozialer Brennpunkt war. Später zog die Familie in den Vorort Champigny-sur-Marne. Als „Phantom-Stadt, ein vages Gebiet“ beschrieb er ihn später. Der junge Thierry Marx trieb sich ziellos auf der Straße herum, er träumte zwar vom Beruf als Bäcker, aber bekam keinen Ausbildungsplatz – zu miserabel war sein Ruf.

Soziales Engagement

Nach abgebrochener Mechaniker-Lehre ließ er sich zum Konditor ausbilden und begann einige Jahre später, nach einem Einsatz als Fallschirmjäger in Libyen, als Küchenhilfe. An der Seite von Koch-Legenden wie Joël Robuchon arbeitete er sich nach oben. Reisen brachten ihn um die Welt, Sydney, Singapur, Tokio.

Ab Ende der 80er-Jahre bekam Marx die ersten Auszeichnungen. „Anfangs ging es mir darum, reich zu werden“, erzählt er. Doch als er sein Ziel erreicht hatte, begann er sich für soziale und Umwelt-Themen zu interessieren. Reichtum ist schön und gut – wenn man ihn teilt. So sieht er es heute.

Im Vergleich zu seinen anderen Restaurants tischt Marx auf dem Eiffelturm einfachere Speisen auf – Zugänglichkeit ist das Motto.

©REUTERS/YIMING WOO

Thierry Marx hat so viele Projekte, dass er sie im Gespräch wie beiläufig erwähnt. So suchte er etwa den Austausch mit Gefängnis-Insassen und setzte sich für Ausbildungsmöglichkeiten für sie ein. Zu Marx’ jüngsten Kämpfen gehört die Finanzierung von Koch- und Ernährungskursen ab der Grundschule. In ganz Frankreich hat er Ausbildungszentren gegründet, um Schulabbrechern Perspektiven zu geben. „Die jungen Leute heute wollen nicht einfach nur einen Job, der sie mehr schlecht als recht leben lässt“, sagt Marx. „Sie wollen ein Projekt.“

Die aufopfernde Haltung gegenüber der Arbeit, wie seine Eltern sie noch hatten, gebe es nicht mehr: „Zu mir kommen Mitarbeiter, die sagen: Ich verkaufe dir ein bisschen was von meiner Zeit. Ein paar Monate lang, dann sehen wir weiter.“

Gewerkschaftsboss

Damit die Berufe in der Gastronomie und der Hotellerie – Marx steht der größten Gewerkschaft Umih als Präsident vor – attraktiv bleiben, müsse die Branche bessere Arbeitsbedingungen bieten. Derzeit fehlen in Frankreich 220.000 Arbeitskräfte. Das aktuelle Arbeitsrecht sei obsolet, meint Marx: Die Vier-Tage-Woche werde kommen.

Alle in der „Madame Brasserie“ verwendeten Produkte bezieht Marx aus Bauernhöfen im Umkreis von weniger als 200 Kilometern. Er ist Sprecher der landwirtschaftlichen Bewegung „Bleu-Blanc Cœur“ („Blau-Weiß-Herz“), deren Mitglieder klaren Prinzipien hinsichtlich des nachhaltigen Anbaus, des Tierwohls und der Nährstoffwerte der Produkte folgen.

„Wachstum an sich ist nichts Schlechtes, aber es muss im Bewusstsein für die Auswirkungen auf die Erde und die Gesellschaft erfolgen.“ Das System, so sagt er, lasse sich nicht zerschlagen, nur von innen verändern. Nicht radikal, sondern pragmatisch.

„Der Kapitalismus ist effizient, aber er ist nicht gerecht“, so zitiert er „einen anderen Marx, mit einem langen Bart“, wie er schmunzelnd sagt. „Aber man kann ihn gerechter machen“, das sei seine Auffassung.

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