Nervenkitzel: So hast du Eier garantiert noch nie geschält

Ein Psychologe will eine Erklärung dafür haben, warum Zehntausende Tiktok-Nutzer von dem Trend fasziniert sind.

Frag besser nicht nach dem Warum. Denn wenn du nach dem Warum fragst, outest du dich höchstens als die Generation, die Tiktok nicht versteht. Die App erlaubt ihren Nutzer und Nutzerinnen, kurze Videos in der Länge von 15 bis 60 Sekunden zu produzieren. Mehr als eine Milliarde Abonnenten nutzen den Social-Media-Kanal Tiktok im Monat und sehen sich mehr oder weniger unterhaltsame Videos an.

Der neueste Trend: rohe Eier schälen. In einem Livestream erklärte der beliebte Tiktok-Nutzer @btypep, worauf man beim Schälen von rohen Eiern achten muss.

"Wie fängt man an zu schälen? Nun, man klopft leicht auf den Boden des Eies, bis es gerade so weit aufbricht, dass man das erste Stückchen Schale abziehen kann. Dann fängt man langsam an, das Ei zu schälen. Die Herausforderung besteht darin, die gesamte Schale vom Dottersack zu schälen, ohne den Dottersack zu durchstechen und das Ei zu zerbrechen", heißt es.

Der Videoproduzent, der fünf Millionen Abonnenten zählt, verwendet für das Schälen ein abgerundetes Hautpflege-Utensil und eine Pinzette, um sich langsam vorzuarbeiten.

Philip Tam, Psychiater und Dozent für klinische Studien in New South Wales, erklärte in einem Interview mit dem Portal cnet: "Die Vorfreude auf ein bereits bekanntes oder vorhergesagtes Endergebnis ist sehr aufregend. Es ist der Aufbau von Aufregung und Spannung mit einer abschließenden kathartischen Entspannung, der uns alle so fesselt oder sogar süchtig macht."

"Man kann es mit der Reaktion, eines kleinen Kindes vergleichen, wenn ein Springteufel bzw. ein Clown aus einer Box springt", sagte er. "Das Kind weiß, was passieren wird, wenn der Griff wiederholt wird, aber das mindert nicht den Spaß und die Aufregung, wenn der Clown aus dem Behälter springt!"

Wir verhalten uns also wie ein einjähriges Kind, wenn wir wissen wollen, ob der Schälversucht erfolgsversprechend sein wird oder ein Desaster.

Juliette Tobias-Webb, Verhaltenswissenschaftlerin bei der Commonwealth Bank Australia, erklärt gegenüber cnet: "Aufgrund der Kürze der Tiktok-Inhalte im Allgemeinen glaube ich, dass die hohe Zuschauerzahl hier auf die Erwartung eines belohnenden Ergebnisses und dessen Verbindung mit einem belohnenden Gefühl zurückzuführen ist."

Die Zuseher und Zuseherinnen verspüren Neugierde, Überraschung und Zufriedenheit, selbst wenn die Belohnung nicht oft eintritt.

Tam glaubt, dass der Zeigarnik-Effekt der Grund dafür sein könnte, dass diese Videos eine so hohe Zuschauerzahl haben: Das menschliche Bedürfnis nach einer Art "Abschluss" oder "Schlussfolgerung" bei jeder Form von Erzählung, so Tam. "Das ist der Grund, warum wir in endlosen Online-Aktivitäten 'gefangen' sein können, weil wir nach einer Art Abschluss streben, der uns aber oft entgleitet - oft absichtlich von den Produzenten, die diese Phänomene herstellen und davon profitieren."

Tobias-Webb stimmt dem zu: "Als Menschen neigen wir dazu, Gewissheit und Vollständigkeit zu bevorzugen - Marketing-Gurus benutzen oft Geheimnisse als Aufhänger, um Menschen dazu zu bringen, sich mehr mit Produkten zu beschäftigen, und so ist es auch hier."

"Das Interessante an der Antizipation ist, dass die Erwartung einer Belohnung durch die Freisetzung größerer Mengen von Dopamin, dem Belohnungsstoff des Gehirns, tatsächlich lohnender sein kann als das belohnende Ergebnis selbst."

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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