Wie das Brauchtum zu neuem Leben erwacht

In der Hochphase der Corona-Pandemie war kein Platz für Massenveranstaltungen. Jetzt stehen uralte Traditionen- und damit Kulturerbe – wieder auf.

Distanz halten und persönliche Treffen, wenn überhaupt, nur im kleinsten Rahmen: Das war in den vergangen beiden Wintern das pandemiebedingte Gebot der Stunde. Die Pflege von teils jahrhundertealten Traditionen rund um die Weihnachtszeit, die vom gemeinsamen Feiern leben, war mit einem Babyelefanten-Abstand und Ansteckungsgefahr kaum oder gar nicht kompatibel.

Das Brauchtum wurde deshalb in die Zwangspause geschickt oder konnte nur unter Auflagen stattfinden. Im Vorjahr durfte selbst der Nikolaus nur aufgrund einer Sonderregelung Hausbesuche abstatten. Doch das ist vorbei, der heurige Advent startet ohne Abstandsgebote und Masken müssen nur noch jene tragen, die sie als Darsteller von jeher verwenden, vom Schönpercht bis zur Fratze des Krampus.

Umso größer ist die Vorfreude bei jenen Vereinen, die sich dem Brauchtum verschrieben haben. Der KURIER widmet diesem Comeback eine Serie, die in loser Folge Folklore von Wien bis Vorarlberg vorstellt.

157 Einträge

Welchen Stellenwert dieses Brauchtum in Österreich hat, zeigt sich auch daran, wie viele heimische Traditionsveranstaltungen zum immateriellen immateriellen Kulturerbe Österreichs zählen. 157 Bräuche, Riten, Traditionen, Handwerkstechniken oder Veranstaltungen zählt diese Liste, mittlerweile allein in Österreich.

Erst im Oktober wurden zehn weitere auf Vorschlag eines Fachbeirats der Österreichischen UNESCO-Kommission aufgenommen.

Das Welterbe

Unterschiede
Die UNESCO unterscheidet zwischen Welterbe (Kultur- und Naturdenkmäler, z. B.  die Pyramiden von Gizeh, Schloss Schönbrunn) und immateriellem Kulturerbe

Brauchtum
Zum immateriellen Kulturerbe zählen Handwerk, Bräuche, Feste, überliefertes Wissen oder Rituale, z. B. der Pfingsttanz im deutschen Sachsen-Anhalt

1972 beschlossen
Die UNESCO-Konvention bezüglich des Welterbes stammt aus 1972, Österreich trat 1993 bei. Der Beschluss des immateriellen Kulturerbes kam 2003, Österreich folgte 2009 

Die Spannbreite ist riesig: Die Weinviertler Kellerkultur (eine spezielle Form des geselligen Zusammenkommens der „Köllapartie“ zur „Köllastund“ mit der „Köllajausn“) zählt ebenso dazu wie Falknerei oder die klassische Reitkunst der Spanischen Hofreitschule. 2003 erweiterte die UNESCO das Welterbe auch um diesen Teil regionaler Kultur, sechs Jahre später trat Österreich dem Übereinkommen bei.

Diesen Erfahrungsschatz zu bewahren sei wichtig, mahnt Sabine Haag, Präsidentin der österreichischen UNESCO-Kommission: Über Generationen hinweg gepflegte Traditionen und Techniken oder weitergegebenes Wissen seien „ein lebendiges Erbe und der Ausdruck des Reichtums menschlicher Kreativität“.

Auch viele weihnachtliche Traditionen oder saisonale Feste wie Brauchtumsveranstaltungen stehen auf der Liste, einige von ihnen stellt der KURIER in nächster Zeit vor: Und auch die Menschen, die hinter diesen Traditionen stehen und für das Weitergeben an die nächste Generation viel Freizeit opfern.

In Tirol kehren im Februar die Fasnachten zurück.

©Manuel Pale

Über drei Generationen

Mindestens drei Generationen lang – so die Faustregel – muss eine Tradition wenigstens gepflegt werden, um eine Chance auf Aufnahme in die UNESCO-Liste zu haben. Um den Stellenwert nachweisen zu können, müssen Gutachten vorgelegt werden.

Nicht aufgenommen werden Vereine oder einzelne Produkte. Die Auswahl läuft über einen Fachbeirat, Ansuchen können Vertreter von Brauchtumsgruppen wie ganze Regionen. Die nächste Einreichfrist endet am 30. Jänner 2023. Freilich, eine Aufnahme in die Liste bedeutet keinen materiellen Gewinn, sondern ist eine immaterielle Frage der Ehre.

Der Krippenbrauch ist seit 2021 Kulturerbe

©Petra Stacher

Das Nikolospiel in Krungl

Eine Ehre, die etwa dem Nikolospiel in Krungl im steirischen Bad Mitterndorf zu Teil wurde. Das kann heuer wieder wie üblich am 5. Dezember gezeigt werden und geht an fünf verschiedenen Orten über die Bühne, dazwischen bilden die Teilnehmer einen Umzug. Nach dem Reigen der Advent- und Weihnachtsbräuche stehen bereits wieder die Fasnachter in den Startlöchern. Nach den Absagen der vergangenen zwei Jahren ist das Programm der diversen Gruppen heuer besonders dicht. Die Vorbereitungen laufen schon.

Die Pecherei - eine fast ausgestorbene Tradition

Wer im Wald im süd-östlichen Niederösterreich unterwegs ist, wird öfters auf „Schnitzereien“ an Schwarzföhren stoßen. Was keine spezielle Form von Baum-Vandalismus, sondern uralte Tradition ist. Über Jahrhunderte wurde die Rinde auf typische Weise angeritzt, das austretende Baumharz in (Ton-)töpfen eingesammelt.

Der  Pech genannte Rohstoff war ein sehr gefragter. Und wurde zu Kolophonium (für Geigen-Bögen und die Papiererzeugung), Terpentinöl (für Lacke, Seifen oder Schuhcremen) oder auch zu Heilmitteln (keimtötend) verarbeitet. Das Pech war für Tausende Familien in der Region  ein richtiges Glück, weil eine wichtige Einnahmequelle. Rundherum entstanden vielfältige  Traditionen wie Dankmessen für den heiligen Vinzenz, Patron der Pecher, Lieder über die Pecherei oder Brauchtumsveranstaltungen wie Pecher-Feste und Pecher-Kirtage. 2011 wurde die Pecherei sogar in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.Doch da waren ihre Tage schon lange gezählt. Denn synthetische Ersatzstoffe hatten das Naturprodukt ersetzt, das letzte Harzwerk schloss 1978.

Aktive Pecher wie Richard Schreieck gibt es nur noch wenige

©Foschum Markus

Der Letzte seiner Art

Einer der letzten Pecher ist Richard Schreieck. Zwar gebürtiger Tiroler, aber in Hernstein (Bezirk Baden) „picken“ geblieben. Pecher gibt es heute nur mehr eine Handvoll, Schreieck verarbeitet das von ihm gesammelte Pech sogar selbst  weiter zu Naturprodukten. Damit ist er „der Einzige in Mitteleuropa“, sagt er.
 „Ich arbeite nach überlieferten, uralten Rezepturen und Traditionen. So brauche ich für meine Produkte sowohl das erste Pech des Jahres, das sogenannte Mai-Pech, als auch das letzte Pech aus dem Herbst. Bei der Mischung spielen die Mondphasen eine Rolle.“

Vielfältig einsetzbar

 In seinem „Pecherhof“ bietet er einen durchblutungsfördernden Kiefernbalsam an, der bei Verspannungen, aber auch bei rissigen Händen helfen soll. Kunstmaler und Restaurateure schätzen Hernsteiner Terpentin, Kolophonium macht Geigensaiten griffig, Saupech hilft beim Enthaaren von geschlachteten Schweinen. „Wer das Pech einmal angegriffen und gerochen hat, der kommt einfach nicht mehr davon weg.“ Ans Aufhören denkt der 73-Jährige nicht: „Das mache ich noch 25 Jahre“, sagt er lachend. 

Christian Willim

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