Wenn Schmäh zu Poesie wird: Neues Buch vom Wiener Alltagspoeten

Geschichten, die das Leben serviert: Andreas Rainer schnappt Lustiges und Skurriles auf und unterhält damit auf Instagram. Nun kommt sein drittes Buch heraus.

Fahrerdurchsage in der U6: „Gnädige Frau, das rote Lamperl blinkt ned, weil S’ im Casino gewonnen haben, sondern weil der Zug abfährt.“

Er ist einzigartig, manchmal charmant, oft auch ein bisschen bösartig: der Wiener Schmäh. Vor fünf Jahren begann Andreas Rainer, allerlei Gehörtes aufzuschreiben und auf Instagram zu veröffentlichen, denn: „Die Stadt ist das beste Kabarett.“ Mit Erfolg: Der Wiener (der Autor; möglicherweise aber auch der Schmäh, könnte man sagen) hat mittlerweile 170.000 Follower. Die besten Sager erscheinen nun in seinem neuen Buch „Wiener Alltagspoeten – Zweiter Band“. (Infos zur Buchpräsentation am 11. März siehe unten)

Die Szenen im Buch geben lustige, skurrile und einfach typische Dialoge wieder, wie sie das Leben in Wien so serviert. Oder auch nicht, wie in einem Gasthaus im 20. Bezirk:

Gast: „Wir wissen, was wir bestellen wollen.“ – Kellner: „Dann merk das daweil.“

Wo man die besten Chancen hat, gute Sager aufzuschnappen? „Überall, wo viel los ist: am Brunnenmarkt, auf der Donauinsel, in der U-Bahn“, erzählt Rainer. Er selbst wohnt mittlerweile in Hietzing. „Der Anfang vom Ende“, sagt er und lacht. „Dort sind die Straßen leer. Da hab’ ich nur einmal einen Mann am Telefon sagen hören: ,Die erste Million ist schwer, aber danach geht’s dann ab.‘“

"Nur A beschimpft B ist nicht lustig"

Der erdige Schmäh, der ist im Nobelbezirk also eher nicht anzutreffen. Eher hört man ihn im Café, im Wartezimmer, auf der Baustelle. Rainer kann freilich nicht „stundenlang im Kaffeehaus sitzen und den Tag vorbeiziehen lassen“, um zuzuhören. Darum veröffentlicht er auch viele Anekdoten, die ihm Fans schicken. 40 bis 50 Zusendungen bekomme er pro Woche. „Nur A beschimpft B ist aber nicht lustig. Wenn mir etwas gefällt, warte ich ein paar Tage. Finde ich es dann immer noch gut, poste ich es.“ Oder es landet sogar in einem Buch. Wie etwa folgende Begebenheit aus der U4:

Frau liest am Handy: „Österreich ist das zweitunfreundlichste Land der Welt.“– Herr: „Ich will mir gar nicht vorstellen, dass die Leut irgendwo noch depperter sein können.“

Aber ist der Wiener wirklich so grantig? Oder verbirgt sich hinter dem Ang’speist-Sein nicht auch ein bisserl Gutmütigkeit? „Unser Charme ist halt etwas ruppig. Wir haben schon ein gutes Herz. Aber wenn einer bei der Billa-Kassa zehn Sekunden länger braucht, reißt der Geduldsfaden“, sagt Rainer und lacht.

Dass ihm 170.000 Menschen folgen, sei für ihn immer noch surreal: „Im Internet ist das ja trotz allem irgendwie abstrakt. Wenn ich dann aber vor einem Saal voller Menschen stehe, die alle gekommen sind, um mich lesen zu hören, weiß ich das extrem zu schätzen.“

Autor Andreas Rainer beim Interview im Wiener Café Jelinek

©Kurier/Gerhard Deutsch

Sein Publikum ist bunt gemischt – „Hackler aus Simmering sind genauso dabei wie Bobos aus Neubau“. Immer wieder erkenne sich jemand in den Dialogen wieder: „99 Prozent freuen sich darüber“, erzählt Rainer. Gerade Lokale teilen seine Beiträge oft, wenn der Kellner zum anonymen Protagonisten wurde. (Wenn auch vermutlich nicht oben erwähntes Gasthaus im 20. Bezirk.)

Und wie ist es mit der Sprachbarriere: Ist der Wiener Schmäh – anders als Riesenrad und Stephansdom – nur Einheimischen zugänglich? „Die Hälfte meiner Follower ist aus Wien, viele sind aber auch aus anderen Bundesländern. Es sind sogar Deutsche darunter, die noch nie in Österreich waren“, erzählt Rainer.

In andere Sprachen übersetzen lässt sich der einzigartige Wiener Schmäh aber nicht. Man versuche es etwa bei folgendem Beispiel:

Mann flirtet in der U6 mit einer Frau und geht schließlich aufs Ganze: „Ich will deinen Gemeindebau sehen.“

„Das Leben schreibt einfach die besten Geschichten“, sagt Rainer zum Schluss des Gesprächs. Ein paar davon schreibt er nieder. Und solange das anderen Freude macht, möchte er damit jedenfalls weitermachen.

Andreas Rainer, „Wiener Alltagspoeten – Zweiter Band“, Milena Verlag. 103 Seiten, 20 Euro.

©Kurier/Gerhard Deutsch

Buchpräsentation

Bücher des Autors: „Wiener Alltagspoeten – Zweiter Band“ ist (auch wenn der Titel anderes suggeriert) bereits das dritte Buch von
Andreas Rainer. Davor erschienen: „Wiener Alltagspoeten“ (2021) und „Der Wiener Alltagspoet fährt U6“ (2022)

Online: Auf Instagram hat Rainer 170.000 Follower, 90.000 sind es auf Facebook. Auf der Website wieneralltagspoeten.at findet sich außerdem sein Blog mit kurzen Geschichten über seine Erlebnisse in Wien

Präsentation: Die Buchpräsentation findet am Samstag, 11. März, um 18 Uhr bei Thalia (Mariahilfer Straße 99, 1060 Wien) statt.   Die Schauspieler Gerald Votava und Michaela Bilgeri lesen, danach folgt ein Gespräch mit dem Autor (Eintritt frei)

 

Johanna Kreid

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