Halleluja: Wo Engel sich sogar verlieben dürfen

Was sind Engel? Der Glaube an sie ist Jahrhunderte alt. In der Kunst inspirieren sie zu Werken höherer Sphäre, die mitunter sogar sexuell zu interpretieren sind.

Engel sind überall. Gedruckt auf die Papierservietten beim Adventessen, gerade noch in unserer Fantasie, wie sie die Himmelsleiter am Wiener Stephansdom raufkraxeln, oder wenn wir die Englein singen hören, weil es uns vielleicht auf dem Heimweg von der Weihnachtsfeier fürchterlich auf die Pfeife geprackt hat.

Ein schmachtender Blick und Flügel am Rücken, die zwischen Himmel und Erde tragen. Von Gott erschaffen, jedoch in Menschengestalt. Als Mittler zwischen einer höheren Macht und den Niederungen von uns Sterblichen sind Engel so entrückt wie rätselhaft schön: Niemand, außer vielleicht Katzenbabys, blickt so schmachtend-verträumt gen Firmament wie ein blond gelocktes, pausbäckiges Englein auf Wolke sieben. Und dennoch gilt: fürchten oder freuen?

Gibt es Engel?

Nun, das kommt ganz drauf an. Schutzengel, die über unser Schicksal wachen, sind willkommen, Würgeengel, also von Gott zum Töten ausgesandte Engel, naturgemäß weniger. Auch um gefallene Engel machen wir lieber einen weiten Bogen. Über allem aber steht die Frage: Gibt es sie wirklich?

Sagen wir so: Das ist eine Frage der Definition. „Für viele Menschen religiösen Glaubens drücken Engel eine spürbare Lebenswirklichkeit aus“, erklärt Anne-Kathrin Fischbach, katholische Theologin an der Uni Freiburg. „Naturwissenschaftlich nachweisbar sind sie notwendigerweise aber nicht.“

Beschützer und Kämpfer

Engel kommen jedenfalls im Glauben sowohl von Juden, Muslimen als auch Christen vor. Vor respektive neben dem Alten wie Neuen Testament und dem Koran sind die frühesten Darstellungen aus antiken Kulturen in Griechenland, Persien und dem alten Ägypten bekannt, sowie von den Babyloniern und Assyrern.

Gezeigt werden sie als geflügelte Wesen und Boten von Gott zum Menschen. Denn der biblische Gott wird als transzendent verstanden, kein Bild soll man sich von ihm machen. Da sind Engel höchst praktisch: Als ankündigendes Medium, das der Maria etwa die Nachricht von der Empfängnis Christi durch den Heiligen Geist verkündet. Sie dienen als Erklärung von solcherart Ereignissen, die sich eigentlich nicht erklären lassen – Wunder eben.

Tröstend: Nastassja Kinski als Engel Raphaela im Wenders-Film „In weiter Ferne, so nah!“, Fortsetzung von „Der Himmel über Berlin“

©ddp/Tobis Film Berlin/United Archives/ddp

Das trifft auch auf ihre Funktion als auf uns aufpassende Begleiter zu, erklärt Fischbach: „Schutzengel sind die Verkörperung des Vertrauens darauf, dass egal, was passiert, wir letztlich trotzdem noch gehalten werden – pure Geborgenheit“, so die Theologin.

Am ehesten steht dafür einer der Erzengel: Michael. Der geflügelte Geselle gehört mit Gabriel und Raphael zu den bekanntesten seiner Art. Michael gilt als Stellvertreter Gottes, Anführer des Himmelsheeres im apokalyptischen Kampf, und übt eine Schutzfunktion aus. Gabriel verkündet das Wort Gottes. Raphael wird als heilend angesehen, er ist der Schutzengel der Kranken. Bevor sie auf Tapeten und Postern verkitscht wurden, geriet ihr Wirken in zahlreichen Werken zu großer Kunst – am berühmtesten natürlich Raffaels Engel auf der „Sixtinischen Madonna“.

Engel in der Kunst

Doch wir wollen auch andere herausgreifen. Martina Pippal, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Wien, weist etwa auf „Verkündigung an die Hirten“ (um 1330) von Taddeo Gaddi hin. Zu bewundern ist das Pracht-Fresko in der Franziskanerkirche Santa Croce in Florenz. Das Motiv bezieht sich auf die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium.

„Verkündung an die Hirten“, von Taddeo Gaddi: „Fürchtet euch nicht!“

©Rabatti - Domingie / akg-images / picturedesk.com

Die Hirten wachen nachts auf dem Feld über ihre Herde. Ein Engel erscheint ihnen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Wie ein Scheinwerfer rückt er das dunkle Geschehen in helles Licht und kündet davon, dass der Retter geboren ist, der Messias, der Herr: „Fürchtet euch nicht!“ Und dass sie ihn in Windeln in einer Krippe finden werden. Die nächtliche Darstellung war einst ein Novum. Und prägt unsere Vorstellungen bis heute: Jesus, und wie seine Geburt Licht in unser Leben bringt.

Nicht immer waren Engel liebliche Wesen mit Flügerln. Als Cherubim und Serafin stellten sie Hybridwesen dar, mit Löwenkörpern und Menschengesichtern oder mit Augen übersäten Flügeln. In der hebräischen Bibel haben sie männliche Namen, erst im Christentum wurden sie als geschlechtslos verstanden; ab der Renaissance gern auch als Kinder, Putti, dargestellt.

Sexueller Engel

Eine allzu menschliche Komponente könnte „Die Verzückung der heiligen Theresa“, eine Skulptur von Gian Lorenzo Bernini, beinhalten, entstanden um 1650, aus der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom. Der Engel ist dabei ein besonders hübscher Bub. Das Werk selbst zeigt die Teresa von Ávila im Moment, in dem ihr ein Engel mit dem Pfeil göttlicher Liebe das Herz durchbohrt.

„In der Hand des Engels sah ich einen langen goldenen Pfeil mit Feuer an der Spitze. Es schien mir, als stieße er ihn mehrmals in mein Herz, ich fühlte, wie das Eisen mein Innerstes durchdrang, und als er ihn herauszog, war mir, als nähme er mein Herz mit, und ich blieb erfüllt von flammender Liebe zu Gott.“ Aber hallo! Kein Wunder, dass angesichts der „unendlichen Süße“ und dem Schmerz, dem die Heilige ewige Dauer wünschte, dies alles von Historikern sexuell gedeutet wurde.

Himmlisch im Kino

Auch das Kino kommt gern auf Engel zurück. „Der Himmel über Berlin“ ist vielleicht der berühmteste Engel-Film: Als sich Bruno Ganz darin in eine Seiltänzerin verliebt, wächst in ihm das Verlangen, seine Unsterblichkeit aufzugeben und selbst Mensch zu werden. Ein poetisches Drama von Regisseur Wim Wenders, am Drehbuch schrieb Peter Handke mit.

Weniger um die romantische Liebe, als um das Gute im Menschen geht es in „Ist das Leben nicht schön?“ von Frank Capra, dem Weihnachtsklassiker schlechthin, oder in der in den 80ern enorm beliebten Fernsehserie „Ein Engel auf Erden“ mit Michael Landon.

Heutzutage geht es da teuflischer zu. In der Serie „Lucifer“ mischt sich der gefallene Engel unter die Menschen, praktischerweise als sündiger Nachtklubbesitzer. Als solcher frönt er der Verbrecherjagd und verliebt sich, eh klar, in eine Polizistin. Im Christentum kommt Luzifer eine Sonderrolle zu: Im Unterschied zu anderen Engeln entwickelte er einen eigenen Willen, rebellierte gegen Gott und wollte ihm gleich sein. Die Folge: Verbannt aus dem Himmel herrscht er von da an als Teufel in der Hölle.

Der Sinn von Engeln

Die Theologin Anne-Kathrin Fischbach bewegt in der Kunstgeschichte aber anderes: „Angelus Novus“, gezeichnet mit Tusche und Ölkreide, von Paul Klee. In der Arbeit, berühmt interpretiert durch Walter Benjamin, steht der Engel mit aufgerissenen Augen und offenem Mund vor dem Strom der Geschichte, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft – und der er den Rücken zukehrt, weil es nicht mehr anders geht.

Ein wahrhaftiges Bildnis, im Gegensatz zu Bücherstapeln Esoterik zum Thema. Doch selbst dafür äußert Fischbach Verständnis: „Engel greifen in einer technisierten, wenig Spielraum bietenden und kapitalistisch vermessenen Welt unseren Wunsch nach Magie auf – und damit einer Wirklichkeit, in der Logik endlich keine Rolle mehr spielt.“

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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