Der Kabarettist Thomas Maurer (54) ist ein Zeitgenosse aus Leidenschaft

Thomas Maurer im Interview: "Hurra, wir leben noch!"

Der österreichische Kabarettist im Gespräch über schlechtes Gewissen, Sorgen, Schwiegermutterwitze und sein neues Programm „Zeitgenosse aus Leidenschaft“.

Das vergangene Jahr war für den Kabarettisten Thomas Maurer „eine zache Zeit“: Sein Vater starb an Corona, ein Tod, den die Politik verhindern hätte können, sagte Maurer bei einem emotionalen Auftritt im Fernsehen.

Sein neues Soloprogramm, es heißt „Zeitgenosse aus Leidenschaft“ und hat am 11. Jänner im Wiener Stadtsaal Premiere, ist dann aber (fast) virenfrei.

Herr Maurer, Sie fahren in Ihrem neuen Programm mit dem Auto spazieren. Was sehen Sie im Rückspiegel. Also wie sieht Ihr Jahresrückblick aus?

Drei Kanzler, zwei Jahreszeiten (Lockdown und Keinlockdown) und eine zache Zeit.

Wenn Sie dem Jahr 2021 eine Überschrift geben müssten, wie würde diese lauten?

„Hurra, wir leben noch!“

Bleiben wir im Auto sitzen: Was sehen Sie, wenn Sie nach vorne schauen, das Fernlicht aufdrehen?

Ein Nebellicht wäre nützlicher.

Im neuen Programm sprechen Sie von der „Obergrenze des schlechten Gewissens“. Was meinen Sie damit?

Den interessanten Effekt, dass man dazu neigt, das schlechte Gewissen quasi als Ausgleich der Handlung zu sehen, die es verursacht hat. Man ist dann quasi quitt mit sich und kann genau so weitermachen wie vorher.

Mittlerweile muss man ständig ein schlechtes Gewissen haben: Mit dem Auto fahren ist böse, Leberkässemmeln sind böse, vieles, was Spaß macht, und schmeckt, ist schlecht – für die Umwelt, das Klima und das eigene Leben. Ändern wollen sich aber nur wenige. Haben viele den Ernst der Lage (Stichwort: Klimawandel) noch nicht begriffen?

Unser Hirn ist leider nicht gut dafür eingerichtet, instinktiv auf abstrakte Bedrohungen zu reagieren. Wenn der Klimawandel laut bellen würde, oder acht Beine und einen knallroten Giftstachel hätte, wär’ es leichter.

Wie sieht Ihre persönliche Ökobilanz aus? Auf was verzichten Sie?

Ich bin nie gern Auto gefahren, insofern muss ich mir da fürs Wenigfahren nicht extra auf die Schulter klopfen. Und meine Generation wurde natürlich noch so sozialisiert, dass ein Essen ohne Fleisch eigentlich nur eine Beilage ist. Aber auch da finde ich die Einschränkung eigentlich eher als kulinarische Erweiterung.

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Den Klimawandel haben wir ja schon behandelt. Dass immer mehr Menschen förmlich stolz auf ihre Unfähigkeit sind, Fakten von Meinungen zu unterscheiden, ist auch nicht gerade ein Quell der Freude. Und Radiohead haben schon ewig kein Album mehr gemacht, hoffentlich kommt da noch was.

Was macht Ihnen Hoffnung?

Zu wissen, dass es rund um den Planeten ja auch eine Menge anständiger und fähiger Menschen gibt, die sich ernsthaft um Problemlösung bemühen. Aber es dürfen gern noch mehr werden und die dürfen sich auch gern beeilen.

Würden Sie sich als Optimist, Realist oder Pessimist bezeichnen? Und wechseln Sie im Rahmen der Pandemie des Öfteren die Seite?

Ich glaube, dass man als Realist so zwangsläufig zu pessimistischen Einschätzungen kommt, dass man es ohne Optimismus gar nicht aushielte.

©Ingo Pertramer
Vergangenes Jahr bewegten Sie in der ORF-Sendung „Die Tafelrunde“ mit einem Auftritt, in dem Sie über den Tod Ihres Vaters gesprochen haben, der an Corona starb. Sie haben dafür die Politik verantwortlich gemacht. Sehen Sie das heute mit ein bisschen Abstand anders?

Mitverantwortlich im konkreten Fall jedenfalls. Schon die Organisation von Impfterminen für Hochrisikopatienten war vorwiegend deshalb so ein Debakel, weil die neun Bundesländer sich ausschließlich dahingehend koordinieren konnten, gemeinsam aufs Gesundheitsministerium zu pfeifen und sich mit neun verschiedenen Eigenbauplänen wichtig zu machen. Und wenn dann ein anderes Bundesland irgendwas unübersehbar richtig macht – wie z. B. Wien mit den PCR-Tests – dann verbietet natürlich der Regionalstolz, davon zu lernen. Ich fand die österreichische Form des Föderalismus ja schon fragwürdig, als sie noch lediglich teuer und nutzlos war. Aktiv Schaden anrichten geht dann aber, finde ich, doch zu weit.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie Impfgegner und Verschwörungstheoretiker durch die Straßen ziehen sehen?

Vieles, aber nichts, was ich elegant zu formulieren vermöchte.

Es scheint fast so, als hätte die Aufklärung, die Epoche der Vernunft, das Bildungssystem bei vielen Menschen in Österreich nicht ganz gegriffen. Was ist da falsch gelaufen bzw. was läuft falsch?

Es ist halt nicht so, dass die Absolvierung der Schulpflicht automatisch Vernunft und das Erreichen der Volljährigkeit automatisch Erwachsenheit zur Folge hat. Da muss man sich schon selber weiter drum kümmern. Es ist vermutlich auch kein Zufall, dass häufig genau jene, die am lautesten brüllen, dass sie keinesfalls von „moralisierenden“ Medien „erzogen“ werden wollen, am augenscheinlichsten von ein bisschen mehr Erziehung profitieren würden.

Einige scheinen sich verlaufen zu haben, teilen krude Ansichten, sind resistent gegen Fakten und im Tunnel der Empörung gefangen. Schuld ist das Internet, sagen einige. Ist die Idee des World Wide Web gescheitert?

Das Internet ist gesund und wohlauf, allerdings hat die Idee, dass es ein demokratisches Austausch,- und Bildungsmedium ist, das uns alle zu mündigen Weltbürgern macht, schon einmal deutlich weniger zerzaust ausgeschaut.

Was hätten Sie gesagt, wenn Ihnen Anfang 2021 jemand geflüstert hätte, dass Sebastian Kurz im Herbst seine Sachen packen und nach Los Angeles gehen wird?

Geh mit Gott, mein Kind, geh mit Gott!

Haben Sie bei den Chat-Protokollen, die bislang veröffentlicht wurden, eine Lieblingspassage?

Da war viel Schönes dabei. Ich hatte beim Durchlesen der jüngsten Veröffentlichung sofort die Vision eines kommunistischen Liedermachers, dem beim Verfassen eines scharfen Protestsongs die Zeile „Die ÖVP ist die Hure der Reichen“ einfällt, diese aber gleich wieder streicht, weil ihm das dann doch zu primitiv und polemisch vorkommt. Um so etwas rauszublasen, braucht es schon einen Prosastilisten wie Thomas Schmid, der das aus ganzem Herzen ehrlich meint.

Wie hat sich der Schmäh-Verständnis, die heimische Kabarettlandschaft über die Jahre verändert?

Da gab es immer eine breite Stilpalette, und das war auch immer ein Atout der österreichischen Kleinkunstlandschaft. Was sich vermutlich mit dem nächsten oder übernächsten Generationenwechsel ändern wird, ist das Schmäh-Verständnis, mit dem Dialekt-Dinosaurier wie ich noch ganz automatisch aufgewachsen sind.

Was war früher noch möglich, was heute nicht mehr geht?

Schwulenscherze und Schwiegermutterwitze waren schon in den Siebzigerjahren nicht mehr lustig, wenn auch noch üblich. Ansonsten aber bietet die legendenumwitterte „Political Correctness“ eher Anregung: Nichts zieht so automatisch Witze und Interesse auf sich wie Tabus. Wenn man allerdings unter verschwörerischem Höhö-das-ist-jetzt-nicht-politisch-korrekt-aber-ich-sag’s-trotzdem-Getue erst wieder nur Schwulenscherze macht, gibt’s für Mut und Originalität natürlich keine Extrapunkte.

Thomas Maurer: Der Wiener (54) ist  Rekordgewinner des Österreichischen Kabarettpreises (drei Hauptpreise seit 2003),  Mitglied von „Wir Staatskünstler“ und im ORF zu sehen („Was gibt es Neues“).

Termine: Am 11.  Jänner feiert Maurers neues Soloprogramm „Zeitgenosse aus Leidenschaft“ im Wiener Stadtsaal Premiere.

 

Marco Weise

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