Steinfiguren schauen beim Balkon unterhalb der großen Uhr von oben auf den Ehrenhof des Schlosses Schönbrunn herab. Vor dem Balkon befindet sich ein Schmiedeisengitter, vor dem Dach eine steinerne Brüstung

Die verborgenen Ecken im Schloss Schönbrunn

Mehr als drei Millionen Touristen besuchen jährlich das Schloss Schönbrunn in Wien. Doch manches sehen sie nicht: Ein Blick hinter die verschlossenen Türen.

Am Haupteingang stehen die Touristen Schlange, um in die prunkvolle Belétage zu gelangen. Jenseits des Besucherstroms heißt die Devise: klein machen.

Eine schmale, steile Treppe führt zu einer Öffnung im Dach. Ein Ort, der den rund 3,3 Millionen Besuchern, die jährlich das Areal des Schlosses Schönbrunn bevölkern, verborgen bleibt. Auge in Auge mit den Statuen – oder besser: Auge am Hinterteil. Diesen Blick über die Steinbrüstung auf den Park und Wien haben nur wenige.

Eine mit Luke, die mit grün gewordenem Kupfer ausgekleidet ist. Von dort geht es aufs Dach, wo Steinstatuen auf die Stadt und den Park blicken.

Über eine kleine Luke geht es auf das Dach des Schlosses.

©Martin Stachl

Neben den Figuren zum Beispiel zwei Dacharbeiter, die gerade auf den ausgelegten Holzbrettern um die Ecke biegen. Viel reden wollen sie nicht, gerade haben sie zu tun. "Man kann sich hier schon mal verlaufen", sagt einer, bevor sie verschwinden.

Über eine schmale Stiege gelangt man auf den oberen Balkon. Hier, hinter den grün gestrichenen Fensterläden, befinden sich heute Wohnungen. 35 allein im Schloss, 150 Mieter sind es auf dem gesamten Schlossareal. 

Was war unter der großen Uhr des Schlosses Schönbrunn?

Was sich früher in den Räumen unter der markanten Uhr abgespielt hat, bleibt ein Rätsel. "Über die exakte Nutzung dieser Räume fehlen uns aus dem 18. Jahrhundert die entsprechenden Hinweise, weil diese Bereiche in den historischen Quellen keine Erwähnung finden", sagt Anna Mader-Kratky, Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung der Schönbrunn Group. "Wegen ihrer Lage und des eindrucksvollen Fernblicks dienten sie aber sicher auch als beliebter Aussichtspunkt, ähnlich der Gloriette."

Das Schloss Schönbrunn wirft einen Schatten auf den Ehrenhof. Blick von ganz oben auf die Szenerie.

Ein Blick vom obersten Balkon auf den Ehrenhof des Schloss Schönbrunn.

©kurier/Martin Stachl

Im Jahr 2024 zeigt sich von hier oben ein anderes Wien. Statt Kutschen sieht man die viel befahrene Johnstraße, die in den 15. Bezirk führt. Oder Sisi, die in ihrem prachtvollen Kleid über das Kopfsteinpflaster des Ehrenhofs schreitet. Doch das ist kein Geist vergangener Tage, den nur Eingeweihte zu Gesicht bekommen, sondern wohl eine Braut, die sich für ihren großen Tag den Prunk zu eigen macht.

Der Dachboden wäre kein idealer Ort für sie. Mit ihrem weißen Rüschenkleid würde sie viel Staub aufwirbeln, der sich über die Jahrhunderte auf den Gängen und Holzbalken abgesetzt hat.

Schloss Schönbrunn: Exklusive Reise hinter die Kulissen

So alt ist das Holz im Dachstuhl

"Der Dachstuhl von Schloss Schönbrunn stammt zum überwiegenden Teil aus dem frühen 19. Jahrhundert, wie eine umfassende dendrochronologische Untersuchung (Untersuchung der Baumringe, Anm.) 2022 ergab", erklärt Mader-Kratky. "Allerdings wurden bei den Renovierungsarbeiten von 1808 bis 1810 und von 1816 bis 1819 ältere Balken teilweise wiederverwendet, weil man auch die barocke Bauweise des Dachstuhls beibehielt."

Die vielen verstrebten Balken auf dem Dachstuhl. Unten drunter führt ein hölzerner Pfad.

Verstrebungen und Balken am Dachboden. Im Dachstuhl sind noch Elemente aus dem 18. Jahrhundert verarbeitet. 

©kurier/Martin Stachl

Hier befindet sich auch ein großer Wasserbehälter. Er stammt vermutlich ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert – und war immer mit Wasser gefüllt. "Im Brandfall wurde das Löschwasser von hier aus mit Kübeln transportiert."

Wer genau hinsieht, entdeckt auf dem Dachboden von Schönbrunn auch kleine, unscheinbare "Schätze", stille Zeugen vergangener Zeiten. Kürzlich wurde hier eine Bierdose mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 2000 gefunden. Ein kurioser Fund, der davon zeugt, dass hier offensichtlich nur wenige Menschen verkehren.

Über die Große Weiße Stiege geht es wieder hinunter. Sie hält, was ihr Name verspricht. Wie die wissenschaftliche Leiterin der Schönbrunn Group erklärt, hatte sie eine andere Funktion als beispielsweise die für Besucher zugängliche Blaue Stiege, die als repräsentativer Zugang zum kaiserlichen Appartement nur in die Belétage führt. 

"Die Weiße Stiege ist eines jener Treppenhäuser, die durch alle Geschoße des Schlosses führen. Damit kommt ihnen im kommunikativen Gefüge des Schlosses eine zentrale Funktion zu. Sie ermöglichen kurze Wege über mehrere Ebenen. Für die vertikale Erschließung des Schlosses sind solche Stiegen somit unverzichtbar." Wegen ihrer Größe und architektonischen Ausstattung diente die Weiße Stiege – anders als kleinere Stiegen fürs Hofpersonal – in erster Linie wohl der kaiserlichen Familie.

Eine große, weiße Stiege mit eher prunkvollem Geländer und Säulenverzierungen

Die Große Weiße Stiege wurde einst von den Habsburgern benutzt.

©kurier/Martin Stachl

In der Belétage des Schlosses, wo sich die heute museal genutzten Prunkräume befinden, hatte das Kaiserpaar seine Appartements. Und auch der Thronfolger oder vereinzelt andere Kinder residierten hier. "Die vielen Kinder Maria Theresias wohnten vor allem im Zwischengeschoß, das eigens zur Unterbringung der kinderreichen Familie eingezogen wurde. Leider fehlen uns Pläne, anhand derer sich genau rekonstruieren lässt, wer wo wohnte", sagt Mader-Kratky. 

Das Zwischengeschoß wirkt niedrig. Heute sind hier Büros und Lagerräume untergebracht. Für jene, die dorthin wollen und größer als 1,8 Meter sind, heißt es wie auf dem Weg aufs Dach: klein machen, sonst drohen Kopfschmerzen.

Ein Durchgang im ZWischengeschoß. Der Rundbogen ist so niedrig, dass der gerade stehende, 1.90 Meter große Redakteur sich den Kopf anhauen würde.

Das Zwischengeschoß ist manchmal etwas niedrig. Der 1,90 Meter große Redakteur könnte sich Kopfschmerzen zuziehen.

©kurier/Martin Stachl

Gleich neben der Kassa am Haupteingang, unauffällig hinter einer schlichten Tür versteckt, liegt die sogenannte Schneckenstiege. Diese schmale Wendeltreppe, einst vom Hofpersonal genutzt, windet sich spiralförmig hinauf zu Wohnungen. 

Schneckenstiege ist für Touristen verschlossen

Der Zugang ist normalerweise für Unbefugte verschlossen, weshalb sich kein Tourist hierher verirrt – es sei denn, die Tür steht wegen einer Besichtigung offen. Ein asiatischer Mann macht sich daran, die Stiegen zu erklimmen. Auch wenn es hier ruhig ist, er hat wohl einen anderen stillen Ort gesucht.

Eine enge Wendeltreppe schlengelt sich steil nach oben

Die Schneckenstiege heißt nicht umsonst so. Die Wendeltreppe ist schmal und führt zu Wohnungen.  

©kurier/Martin Stachl

Alles andere als viel los ist in den verschlossenen Nebengebäuden. Hier lagen während der sommerlichen Aufenthalte des Wiener Hofs Quartiere für Hofbedienstete, Werkstätten, Stallungen. Auch am Finsteren Gang, der entlang der Orangerie führt, die heute als Veranstaltungssaal genutzt wird, in der aber auch noch die Pflanzensammlung der Habsburger überwintert. Auf der anderen Seite des Ganges befindet sich ein Altar, der einst als Armesünderkapelle diente.

Fahrräder beim Altar

Heute, gegenüber dem kleinen, mit Gitter versperrten Schrein, parken hier die Fahrräder der Mieter. Doch der Raum hat seine ursprüngliche Bedeutung nicht ganz verloren. Es scheint noch immer Menschen zu geben, die diesen Ort zum Beten aufsuchen. Eine Kerze flackert auf dem Steinboden.

Ein weißer Eingangsbereich mit Fahrradabstellplatz und einem alten Altar, der sich hinter einem Gitter befindet.

Gegenüber dem Altar stehen heute Fahrräder.

©kurier/Martin Stachl

Im Sommer gab es im Ehrenhof statt stiller Andacht eine bombastische Inszenierung: Die Elektronik-Pioniere Kraftwerk gastierten mit einem Konzert in Schönbrunn. Dabei wurden auf die Fassade großflächige Videoprojektionen gespielt.

Viele Besucher schwärmten von einem einmaligen Ereignis – und ärgerten sich gleichzeitig über ein beleuchtetes Fenster, das den Gesamteindruck gestört habe: "Im Vorfeld von Veranstaltungen werden alle Mieter über Veranstaltungen, Konzerte oder Märkte und auch über eine etwaige Lichtshow und die perfekte Wirkung bei geschlossenen Fenstern, informiert", heißt es von der Schönbrunn Group.

"Da es sich um Privatwohnungen handelt, die unter aufrechtem Mietverhältnis stehen, hat die Schönbrunn Group keinen Einfluss auf Fensteröffnung bzw. Schließung." Da hilft es auch nicht, den Weg über die verborgenen Stiegen zu ihnen zu kennen.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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