Ruth Beckermanns "Mutzenbacher"-Doku: Männer reden über Sex
Ruth Beckermanns facettenreiche und unterhaltsame Doku „Mutzenbacher“ feiert auf der Berlinale Premiere
Ein Klavier, eine Couch, ein Luster, ein Kleiderständer, wie man ihn aus den Kaffeehäusern der Jahrhundertwende kennt: Wien 1906, angedeutet in einem improvisierten Filmset.
Es wird gecastet: Männer zwischen 16 und 99 Jahren können vorsprechen, um sich für die angebliche Verfilmung des Skandalromans „Josefine Mutzenbacher“ zu bewerben. Gehorsam nehmen sie auf der Besetzungscouch Platz, manchmal allein, manchmal zu zweit oder in Gruppen.
Die Regisseurin: Ruth Beckermann, die freundlich, aber bestimmt, aus dem Off Fragen stellt oder Regieanweisungen gibt. Und dann beginnen die Herren aus dem Skandalroman von 1906 vorzulesen und ihn zu kommentieren. Erschienen anonym, lautete der Untertitel „Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“; tatsächlich wird die Autorenschaft „Bambi“-Verfasser Felix Salten zugeschrieben.
Pornografisch oder befreiend, tabubrechend oder Verharmlosung von Kindesmissbrauch – über die „Mutzenbacher“ wurden schon viele Urteile gefällt. In Beckermanns facettenreicher und durchgehend unterhaltsamer Doku „Mutzenbacher“, die auf der Berlinale ihre Premiere feierte, haben alle Männer eine Meinung dazu.
„Wir leben in einer männerfeindlichen Zeit“, klagt ein nicht mehr ganz junger Herr, der sich sichtlich als umgekehrtes #MeToo-Opfer wahrnimmt: In der „Mutzenbacher“ hätten die Frauen – sogar bereits im Kindesalter – Spaß am anderen Geschlecht gehabt; heute dürfe man ja nicht einmal mehr flirten.
Saltens provokante Männerfantasie ermutigt zu privaten Sex-Bekenntnissen. Während sich die einen von mangelnder sexueller Freiheit bedroht sehen und ihre Maskulinität als "toxisch diffamiert" wahrnehmen, fühlt sich ein anderer vom Überfluss pornografischer Bilder überfordert. Im Spannungsfeld dieser Szenarien erzählt Ruth Beckermanns „Mutzenbacher“ eine schillernde Geschichte über Männlichkeit, die unter Druck gerät – von den Männern selbst erzählt.
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