Nicholas Ofczarek im Interview: „Man schämt sich immer wieder“

Ob Wiener Kieberer oder deutscher Bulle, Film, TV oder Theater, Nicholas Ofczarek kann einfach alles. Jetzt spielt er auch noch den Räuber Hotzenplotz.

Es ist eines der meistgelesenen Kinderbücher der Welt: Ottfried Preusslers „Räuber Hotzenplotz“ treibt auch auf Italienisch, Spanisch, Türkisch und sogar Chinesisch sein Unwesen. Mit dem großen Gert Fröbe und Armin Rhode spielten ihn zwei der bekanntesten Schauspieler Deutschlands in legendären Verfilmungen.

Jetzt hat sich der Österreicher Nicholas Ofczarek den Gürtel mit den sieben Messern umgeschnallt, den Räuberhut mit der Feder aufgesetzt und die garstige Pfefferpistole geladen. Es ist ein wunderbarer altmodischer Streifen geworden. Mit der freizeit sprach Ofczarek über die Herausforderung, für Kinder zu spielen, Peinlichkeiten und seine persönlichen Grenzen.

Herr Ofczarek, wie haben Sie sich auf den Hotzenplotz vorbereitet?
Ich hatte eigentlich noch mehr Respekt davor als bei einer „erwachsenen“ Rolle. Wie geht man ran? Man geht von den Situationen aus, die in der Geschichte drin sind. Was ist das für ein Räuber, der Sachen stiehlt, aber nichts damit tut, sondern sie sammelt?
Er hat ja keinen Hehler. Er sammelt, hortet das alles in seiner Höhle, er tauscht dann eine Geisel für Schnupftabak, aber das ist die einzige „Transaktion“.
Das ist tatsächlich ein Aspekt, der mir noch gar nicht aufgefallen ist ...
Ich habe mich also gefragt, was ist das für ein Mensch, der am Rande der Zivilisation lebt, der nicht sozialisiert ist, was hat der für Sehnsüchte?

Cool im Kino: „Ich habe lange gebraucht, um ein entspanntes Spiel mit der Kamera zu lernen“, sagt Nicholas Ofczarek

©Kurier/Franz Gruber
Es ist Ihr erster Kinderfilm. Was ist das Schwierige daran?
Der Film ist ja für ALLE Kinder gedacht. Auch die großen ... Aber man muss hier schon  aufpassen: Wie sehr geht man in eine Überhöhung, ohne dass es peinlich wird oder dass diese Überhöhung wichtiger wird als der Inhalt. Man sollte die Kinder fordern, aber nicht überfordern – und keinesfalls unterschätzen. Wir haben die Geschichte schon sehr ernst genommen.
Man hätte  mit einem digitalen Effektspektakel gerechnet. Aber er wirkt charmant Old-School. Kannten Sie das Konzept?
Ja. Und der Film ist auch so geworden, wie wir wollten. Ein bissl aus der Zeit gefallen. Aber es sind eben keine digitalen Superhelden – es sind analoge Superhelden.

Nicholas Ofczarek im Gespräch mit Andreas Bovelino. Natürlich im Kino...

©Kurier/Franz Gruber
Sie spielen den Hotzenplotz freundlicher, als er im Buch ist. Warum haben Sie ihn so angelegt?
Der Hotzenplotz ist durchaus auch gefährlich, aber es ist immer interessant, wenn eine Figur nicht zu eindeutig ist. Er hat ja keine Ahnung vom sozialen Leben, und irgendwann tut ihm der Seppl auch leid. Er ist überfordert, weil er eben keine Ahnung hat. Und er hat natürlich auch ein Herz. Das ist ja auch schön, wenn der erste Eindruck sich im Verlauf der Geschichte verändert.
Wie vermeiden Sie eigentlich „Typecasting“? Also, dass Sie etwa in Deutschland immer den strizziesken Österreicher spielen müssen?
Ha! Sonst bekomme ich oft die Frage: „Warum spielen Sie immer zwielichtige Figuren?“ Aber ja, ich versuche doch, vielfältige Figuren zu spielen, mich nicht festzulegen. Der Hotzenplotz ist  auch so eine Rolle. Die hab ich nach „Der Pass“ gedreht, und es hat weder vom Genre, noch vom Charakter oder vom Spielstil irgendwas miteinander zu tun. Bei Rollen-Angeboten stellt sich mir sehr oft die Frage: „Warum ich?“ Dann schauen mich die Produzenten ungläubig an und ich sag: „Im Ernst jetzt, was hab ich damit zu tun?“ Beim Hotzenplotz hat’s gepasst – aber ich sag schon oft „Nein“ zu Angeboten.
Man muss also lernen, „Nein“ zu sagen?
Ja, das muss man sich  trauen. Für sich selbst, sonst funktioniert das auf lange Sicht nicht.
Sie sagten einmal, Sie müssen Ihre Charaktere nicht nur verstehen, sondern auch mögen. Ist das denn  immer möglich?
Man ist immer in der Seele seiner Figur. Und ja, man sollte sie auch mögen. Ich darf dem Zuschauer nicht die Möglichkeit zu werten wegnehmen, indem ich von Anfang an zeige, diese Figur ist ausschließlich „so“. Dann entmündige ich ja denjenigen, der sich den Film anschaut.

Nicholas Ofczarek als Räuber Hotzenplotz

©Kurier/Franz Gruber
Dabei haben Sie keine Skrupel, Ihren Zuschauern auch Ihre unvorteilhaften Seiten zu zeigen ...
Hab ich die nicht? (lacht)
Ist Ihnen eigentlich auch manchmal etwas peinlich?
Mir ist die ganze Zeit alles peinlich. Das ist Bestandteil meines Berufes. Es ist weniger Angst als Scham. Ich schäme mich wirklich oft. Und darum geht's: Es gilt ja, diese Scham zu überwinden. Ich bin 51, klebe mir einen Bart an, setz mir einen Hut auf und sag, ich bin Räuber Hotzenplotz! Was wollen Sie noch über peinlich hören? Also ja, man schämt sich immer wieder.
Wo sind Ihre Grenzen? Was oder wen würden Sie nicht spielen?
Da gibt's eigentlich niemanden. Wenn eine Story gut ist ... Was sollte es da für Grenzen geben?
Eddie Redmayne  meinte, er würde „The Danish Girl“ jetzt nicht mehr spielen, weil er eben nicht transgender ist. Für Viggo Mortensen gab es Kritik, weil er einen Homosexuellen spielt.
Aber es ist doch Schauspiel! Darum geht es ja: Wir spielen immer etwas, was wir nicht sind. Sonst könnten Homosexuelle ja auch keine Heterosexuellen spielen. Was soll das?  Diese Diskussion geht völlig am Thema vorbei. Die sexuelle Orientierung ist doch auch meine Privatsache. Danach hat kein Produzent zu fragen! Das Thema an sich ist natürlich diskussionswürdig – aber das geht doch zu weit. Ich wüsste nicht, warum ich irgendeine Rolle in der Art nicht annehmen sollte. 
Bei welcher Serie oder welchem Film denken Sie: Da wäre ich gerne dabei gewesen?
Ich hab leider nicht wahnsinnig viel Zeit, um mir Filme oder Serien anzusehen, aber „Ozark“ hat mir schon sehr gut gefallen.
Sind Sie eigentlich zweisprachig aufgewachsen? Ihre Mutter ist ja Irin ...
Der Versuch wurde unternommen. Aber es scheiterte auch daran, dass sich mein Vater weigerte, Englisch zu sprechen. Also ja, ich habe mit meiner Mutter viel Englisch gesprochen, und wenn ich eine Zeit lang mit englischsprachigen Menschen zusammen bin, kommt es auch wieder, aber ich würde mich nicht als zweisprachig bezeichnen.
Hatten Sie da nie Ambitionen, auch in US-Produktionen mitzuspielen?
Durch den Beruf meiner Eltern, die beide Sänger waren, bin ich alle paar Jahre umgezogen. Österreich, Schweiz, Deutschland – immer wieder andere Schulen, andere Wertesysteme, immer wieder andere Dialekte, das war als Kind eine ziemliche Herausforderung. Jetzt lebe ich wirklich gerne hier, ich drehe an unterschiedlichsten Orten – ich muss nicht nach Amerika. Und was derzeit filmisch  von dort kommt, sind doch hauptsächlich Superheldenfilme. Das muss ich nicht machen. 
Kann ein Schauspieler Filme eigentlich genießen oder sieht er sich alles unter einem professionellen Standpunkt an?  
Nein, ich lass mich da total reinfallen. Und wenn mir mal was nicht gefällt, dann frag ich mich eher in Bezug auf die Story: Warum geht das nicht auf, was läuft da schief?
Sie sind ja eigentlich am Theater groß geworden. Eine völlig andere Welt? 
Es sind zwei völlig unterschiedliche Berufe. Beim Theaterspielen geht’s ums Vergrößern, um das Versenden von Emotionen, beim Film geht's eher um „Unterspannung“. Deshalb kommen Laien im Film oft sehr gut rüber! Ich habe lange gebraucht, um ein entspanntes Spiel mit der Kamera zu lernen. 
Was im Film nicht passieren kann, sind „Hänger“. Sie hatten  einen legendären ... 
Ja, in der „Jungfrau von Orleans“! Im voll besetzten Burgtheater – und ich wusste ganz einfach den Text nicht mehr. Die Souffleuse murmelte etwas, das ich nicht verstand ...  Da ist dann auch gar keine Peinlichkeit mehr oder Scham, da ist  NICHTS. Eine riesige schwarze Leere. Ich bin von der Bühne und hab mit der Inspizientin versucht, die Stelle im Text zu finden. Das hat gedauert, wir waren ja in Panik! Aber schließlich haben wir sie gefunden. 
Nicholas Ofczarek

Nicholas Ofczarek

Nicholas Ofczarek, geboren am 30. Mai 1971 in Wien. Serien wie „Braunschlag“ und „Der Pass“ machten ihn beim TV-Publikum beliebt, heuer gewann er seine zweite ROMY. Er ist mit der Schauspielerin Tamara Metelka verheiratet, ihre gemeinsame Tochter Maeve ist ebenfalls Schauspielerin und gilt als großes Talent.

Sie sind tatsächlich von der Bühne? 
Ich war ja der französische König. Ich habe einfach gesagt: Wartet hier! 
Noch einmal zurück zum Hotzenplotz: Das Ende, das ich hier jetzt nicht spoilern will, schreit förmlich nach einem Sequel. Dürfen wir uns darauf Weihnachten '23 freuen? 
Ja, stimmt, das Ende ... Ich weiß von nichts, aber es steht irgendwie im Raum. Ich hätte nichts dagegen, weil ich mag den Hotzenplotz irgendwie! 
Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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