Museum Gugging: Kunst ohne Filter aus aller Welt

Das Gastspiel einer Privatsammlung bietet eine gute Gelegenheit, Art Brut im weiteren Kontext zu sehen.

Sie ist kraftvoll, seltsam, kompliziert und dank ihrer Unmittelbarkeit doch zugänglich. Sie fängt aber eher selten von sich aus ein Gespräch an: Denn die sogenannte Art Brut steht per Definition außerhalb des traditionellen Kunstsystems, baut nicht auf existierenden Traditionen auf und arbeitet sich nicht an Szene-Codes, Vorbildern oder Meisterfiguren ab. Ihre Künstlerinnen und Künstler – die manchmal, aber nicht ausschließlich in Betreuungseinrichtungen leben – haben vor allem ein Übermaß an Schaffensdrang vorzuweisen.

Dass ihre Werke dennoch miteinander sprechen können, zeigt die aktuelle Sonderausstellung im Museum Gugging: Hier gastiert bis 11. September die „Treger – Saint Silvestre Collection“, die sonst im portugiesischen „Centro de Arte Oliva“ nahe Porto beheimatet ist und zu den weltweit vielfältigsten Kollektionen der Art Brut zählt. „Wie sich Kreativität zur selben Zeit oft ähnlich entwickelt, sieht man selten so gut wie in dieser Sammlung“, erklärt Johann Feilacher, der als künstlerischer Direktor die Präsentation einfädelte und kuratierte.

©Centro de Arte Oliva

International

Das Sammlerpaar, ein Maler und ein Konzertpianist, kaufte über Jahre mit großer Leidenschaft am internationalen Markt ein: In der Auswahl finden sich etwa die akribisch gemalten Bilderzählungen des böhmischen Porzellanmalers Josef Karl Rädler, die ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod im Jahr 1917 aus dem Müll gerettet worden waren – und heute, unter anderem auch durch Vermittlung der New Yorker Art Brut- und Schiele-Expertin Jane Kallir, weltweit in Museumssammlungen zu finden sind.

Auch Henry Darger gehört zu den Entdeckungen der Schau: Der aus Chicago gebürtige Mann, der sich zeitlebens als Reinigungskraft und Hausbesorger verdingte und 1973 verstarb, hatte im Geheimen eine ausufernde Autobiografie, einen 15.000-seitigen Roman sowie unzählige Zeichnungen zu dessen Illustration geschaffen. Es geht grob vereinfacht um sieben Prinzessinnen, die sich gegen Entführungsversuche außerirdischer Schurken zur Wehr setzen. Die Heldinnenfiguren sind oft geschlechtlich uneindeutig (oder in heutiger Diktion: „nonbinär“) dargestellt.

Entlang einiger thematischer Motive – es geht um Landschaften, Leidenschaften oder Wundermaschinen – stellt Feilacher solchen Figuren Positionen gegenüber, die Kenner bzw. regelmäßige Gugging-Besucherinnen vielleicht schon kennen: Der Schweizer Adolf Wölfli, in Art-Brut-Maßstäben fast schon Picasso, ist hier zu finden, die für die fast magisch anmutenden Augen ihrer Figuren bekannte Aloïse Corbaz, dazu Johann Korec und Karl Vondal, die in Gugging selbst lebten und arbeiteten.

©Centro Arte Oliva

Ähnlich, nicht gleich

In der Zusammenschau lässt sich auch das Vorurteil widerlegen, dass Art Brut ständig dieselben Formen wiederhole und auf lange Sicht immer gleich aussehe: Denn auch wenn in der einst als „zustandsgebunden“ bezeichneten Kunst gewisse Bildstrategien (etwa ein Hang zum Ausufern, zu extremer Verdichtung oder Symmetrie) öfters auftauchen, schlägt die Individualität der einzelnen Positionen das Gemeinsame am Ende doch. Originelle und weniger originelle Bilder gibt es in jeder Kunst – die Art Brut macht da keine Ausnahme.

"Summa frisch": Livemusik und Sommerfest in Gugging am 13. und 14. 8.

Der Förderverein „Gugging Friends“ lädt am Samstag (13.8.) und  Sonntag (14.8.), wieder zum Event „Summa frisch“, der seit 2021 neben Vermittlungs- und Familienaktivitäten ein ambitioniertes Musikprogramm im Bereich Folk, World und
Americana bereithält.

Am Samstag tritt das  italienische Blues-Duo Veronica Sbergia & Max de Bernardi auf  (19.30 Uhr, Tickets 20 €).
Am Sonntag spielt die Band Satuo bei freiem Eintritt ab 13.30 Uhr. Die für heuer letzte Ausgabe des „Summa frisch“
ist für das Wochenende 18./19. 9. angesetzt.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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