Sendung der Maus: Darum hat Micky Aussehen und Wesen verändert

Die Walt Disney Company wird 100, ihr Star Micky Maus geht auf die 95 zu. Der nette Kerl hat seither die Popkultur maßgeblich geprägt und Künstler beeindruckt.

Und auf einmal war der Kerl da: „Micky Maus sprang während einer Zugfahrt von Manhattan nach Hollywood aus meinem Kopf direkt auf einen Zeichenblock“, sagte Walt Disney, der vor 100 Jahren seine Company gegründet hatte, einmal. Und seither ist der kleine Geselle auch nicht mehr verschwunden.

Seit beinahe 95 Jahren gibt es an der Maus kein Vorbeikommen. Selbst Ikonen der Popkultur werden, wenn es um Micky Maus (auf Englisch: Mickey Mouse) geht, ganz mini – oder eben Minnie: „Eine Filmcrew kam zu mir. Sie fragten mich, wer mein Lieblings-Disney-Charakter sei“, schrieb Andy Warhol 1981 in sein Tagebuch. „Ich sagte Minnie Maus, weil sie mir den Kontakt zu Micky Maus verschafft.“

Sehr mutig, sehr frech

Wohl wenige andere Filmstars oder auch Kulturprodukte haben zumindest in der westlichen Welt das kollektive Gedächtnis so sehr geprägt wie die Zeichentrickfigur, die zu Beginn noch Steamboat Willie hieß.

Am 18. November 1928 schipperte die Schwarz-Weiß-Figur fröhlich pfeifend, etwas ungezogen und sich rabiat mit dem Kapitän anlegend einen Fluss entlang. Die kurze Fahrt wurde zum Meilenstein des Ton- und Trickfilms. „Disney hat sich sehr mit dieser Mickey-Figur identifiziert, also es war sein Alter Ego, und er wäre wirklich gerne so gewesen, so mutig, so frech, so witzig – war er wahrscheinlich auch auf eine gewisse Weise – und vor allen Dingen so abenteuerlustig wie Mickey Mouse“, sagte einmal Daniel Kothenschulte dem Deutschlandfunk. Er ist der Herausgeber des 496-seitigen Prachtbands „Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“, der gerade vom Taschen Verlag neu aufgelegt wurde.

©Taschen Verlag/Disney Enterprises

Kurz darauf wurde Micky von einer leichtfertigen Figur zu einer vorbildlichen, moralisch einwandfreien. „Disney hat wirklich diese Figur nach sich selbst gestaltet, und er verwandelte sich tatsächlich in so einen mächtigen, aber auch weisen Studioboss, der auf alle Fragen und zu allen Filmen ja irgendwo eine Antwort hatte, und da passte nicht mehr dieser freche, kleine, anarchische Kerl.“ Die Maus wurde eine Micky für alle, das Ungestüme wanderte zu anderen Figuren aus dem Disney-Universum, etwa zum sich permanent aufpudelnden Donald Duck.

Schwarze Augen

Optisch machte Micky noch viel öfter eine Veränderung durch – die Gesichtszüge wurden runder. Die anfangs gänzlich schwarzen Augen bekamen um 1940 mit dem Film „Fantasia“, in dem er als Zauberlehrling an Besen verzweifelte, Pupillen. Fans, die die Anfangsjahre miterlebt hatten, bedauerten, dass dynamische Formen lieblicheren weichen mussten. Aber Walt Disney war ein Innovator, bei dem sich auch sein Star ständig ändern musste.

Nicht ohne Grund hat das Disney Studio seit 1929 jeden Micky-Geburtstag gefeiert und so auch stets die Geschichte sowie seine Entwicklung beleuchtet und reflektiert. Das passierte manchmal wahnsinnig kritisch – Walt konnte gnadenlos sein. So existieren Mitschriften von einer Sitzung vom 27. Juni 1939, als er mit Kollegen über eine geplante Filmszene sprach, in der Minnie Geige spielt: „Seht euch die Zeichnung an! Und die Tusche drauf! Der Klang ist doch schlecht? Fällt euch das nicht auf!“

©Taschen Verlag/Disney Enterprises

Ob es auch weniger perfektionistisch gegangen wäre? Womöglich. Auf jeden Fall eroberte die Maus die USA im Sturm. Cole Porter erwähnte 1934 im Song „You’re the Top“ Mickys Namen im selben Atemzug wie das Kolosseum und Mona Lisa. Philosoph Walter Benjamin schrieb 1931 über den großen Erfolg der Zeichentrick-Streifen: „Also nicht ‚Mechanisierung‘! Nicht das ‚Formale‘, nicht ein ‚Mißverständnis‘ hier ist für den ungeheuren Erfolg dieser Filme die Basis, sondern daß das Publikum sein eigenes Leben in ihnen wiedererkennt.“Die Micky-Begeisterung in den Anfangsjahren war enorm. Wenige Jahre nach dem ersten Auftritt auf der Leinwand herrschte ein Griss um kunstvolle Fanartikel, die heute noch bei Sammlern beliebt sind. Und nicht nur das: In Genf liegt in den Archiven der Vereinten Nationen eine historische Micky-Maus-Fahne. Die Mitglieder des Völkerbunds votierten 1934 einstimmig dafür, den netten Kerl als Mitglied aufzunehmen.

Zwei Jahre nach dem Erscheinen auf der Leinwand eroberte Micky auch gedrucktes Papier. Ein erster Comicstrip – „He’s Going to Learn to Fly Like Lindy“ – erschien am 13. Jänner 1930. Kurz darauf wurden die Bilder-Folgen in Büchern abgedruckt, manche waren schon farbig.

©Taschen Verlag/Disney Enterprises

1951 kam das Micky-Maus-Heft in den deutschsprachigen Raum. Auf dem Cover steuerten Micky und Goofy eine Propellermaschine mit ängstlichem Blick in einen Sturzflug. Der Untertitel lautete in den frühen Jahren noch „Das bunte Monatsheft“. Das mit der Farbe war kluges Marketing. Comic-Experte Boemund von Hunoltstein erklärte in dem Jubiläumsband „Das Beste von 1951 bis 2021“, was an „Micky Maus“ so neu war: „Die Ausgabe erschien komplett koloriert, war man doch bis dato nur schwarz-weiße Illustrierte gewohnt. Das neue Format wurde sehr gut angenommen, obwohl Comics zur damaligen Zeit kein sehr hohes Ansehen genossen.“

Ächz, Seufz, Uff

Eng verbunden mit den Heften ist der Name der Übersetzerin Erika Fuchs (1906-2005). Fuchs erfand ganze Sprichwörter. Etwa: „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.“ Ihre lautmalerischen Ausrufe wie „Ächz“, „Seufz“, „Quietsch“, „Freu“ und „Uff“ sind tief in den deutschen Wortschatz eingegangen. Wie in den meisten Filmen war Micky in den Heften ein netter Kosmopolit, der gerne die Welt erkundet. In den 1980ern kehrte die Maus auf die große Leinwand zurück. In „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ hatte sie zwar nur einen kurzen Auftritt. Sie war mit Bugs Bunny Fallschirmspringen – in der Luft trafen sie auf einen ermittelnden, grantigen Detektiv. Der ungezogene Bugs gab dem Menschen einen falschen Schirm. Für die Protagonisten ging es bergab, für Disney-Animationsfilme nach einer Durststrecke wieder bergauf.

©Taschen Verlag/Disney Enterprises

Auch bei Micky ging es weiter – seit einigen Jahren taucht die Figur für die Kleinen im Kinderfernsehen dreidimensional auf. In Videospielen hüpft der Mäuserich ebenfalls durch Abenteuer. Und im Animationsfilm „Get a Horse“ aus 2013 teilten sich alte 2D- und neue 3D-Figuren die Leinwand. Und ob Film oder Spiel: Aussehens- und verhaltenstechnisch gleicht Micky jenem anarchischen Unruhegeist aus den Anfangsjahren.

Wussten Sie, dass ...?

... Mickys erste gesprochene Wörter „Hot Dogs, Hot Dogs“ aus dem Film „The Karnival Kid“ (1929) waren?

... Walt Disney seiner Micky Maus bis 1946 höchstselbst die Stimme lieh?

... Micky als erster Zeichentrick-Star 1978 einen Stern auf dem Walk of Fame bekam. Minnie Maus folgte erst 40 Jahre später.

... Micky rund um die Welt unterschiedliche Namen hat?  Musse Pigg in Schweden, Mi Lao Shu in China und Topolino in Italien.

... die Maus  eigentlich Mortimer heißen hätte sollen? Aber Walt Disneys Frau Lillian war dagegen und schlug ihrem Mann Mickey vor.

... der Vorgänger Mickys ein Hase namens Oswald war?

Buchtipp

Buchtipp

"Walt Disneys Mickey Mouse. Die ultimative Chronik“
David Gerstein, J. B. Kaufman, Daniel Kothenschulte,
Hardcover, 25 x 34 cm, 3,16 kg,  496 Seiten, 60 Euro, Taschen Verlag, taschen.com

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare