Lotte de Beer Volksoper Wien Direktorin

Volksoperndirektorin Lotte de Beer: „Hurra, ein Problem!“

Die niederländische Regisseurin über Gleichberechtigung im Musiktheater, ihre Faszination für Operette und welche Probleme es dort gibt.

Lotte de Beer möchte, wie sie sagt, mit einer Pippi-Langstrumpf-Mentalität an ihre Arbeit in Wien herangehen. Sie selbst ist auch quirlig und überaus freundlich. Die freizeit traf die neue Direktorin auf der Probebühne in der Volksoper zum Interview.

Sie kannten Wien bereits vor Ihrer Intendanz an der Volksoper. Gab es dennoch einen Kulturkonflikt? Menschen aus den Niederlanden wird nachgesagt, geradlinig zu sein. Bei Wienern heißt es, sie sind schludrig.
Lotte De Beer: Ich bin seit 2012 immer wieder in Wien gewesen. Am Theater an der Wien, an der Kammeroper. Und ich fühlte mich in der Stadt und beim Publikum immer zu Hause. Ich war natürlich während der Pandemie immer wieder länger hier, um die Intendanz vorzubereiten. Ich konnte mich in diesen Job hineinträumen. Mir wird zur Mentalität oft gesagt: „Pass auf, die Wiener sagen nicht, was sie meinen.“ Ich dachte, ich muss aufmerksam sein. Dabei ist es besser, dem mit einer Pippi-Langstrumpf-Mentalität zu begegnen. Wenn man sich voreinander fürchtet, ist das nicht zielführend.
Aber an sich kein Clash der Kulturen?
Überhaupt nicht. Ich freue mich, in einem Land zu sein, in dem die Menschen die Kunst schätzen und sich darüber aufregen, weil sie ihnen wichtig ist. Da ist Österreich einmalig in der ganzen Welt.

Lotte de Beer 

©KURIER/Jeff Mangione
Sie sind in Österreich als Leiterin eines Musiktheaters in der Minderheit. Warum ist die Hochkultur, die sich oft als gesellschaftliche Speerspitze sieht, bei Gleichberechtigung hintennach?
In der Oper passiert vieles später. Musiktheater und Musik werden in einem Konservatorium unterrichtet. Wir konservieren. Ein Teil der Oper will Tradition lebendig halten. Ein anderer Teil ist Theater, hier geht es ums Jetzt. Es ist aufwendig, eine Oper zu produzieren. Damit eine Aufführung funktioniert, müssen 200 Menschen so aufeinander eingestimmt und koordiniert sein, als würden sie gleichzeitig Atem holen. Hier braucht es Führungspersonen, die nicht diskutieren. Das hat eine männliche Kultur geschaffen. Sie hat auch Gutes. Würde man fragen: „Wann glaubt ihr, dass ihr atmen müsst?“, dann hätte man keine Theatervorstellung. Aber es hat natürlich auch Schlechtes mit sich gebracht, doch ich mache mir keine Sorgen. Frauen laufen sich warm. Jetzt bin ich eine von wenigen. In zehn Jahren wird das schon ganz anders aussehen.
Sie haben angekündigt, die Operette diverser zu machen. Wie divers kann sie sein? Provokant gesagt: Sie stammt meist von den viel geschmähten alten, weißen Männern.
Das trifft auf viele Teile der Kultur zu. Wenn man mit altem Material arbeitet, hat man es mit einer abendländischen Sicht auf die Welt und oft mit Arroganz zu tun. Aber das ist unsere Geschichte. In der Psychotherapie lernt man seine persönliche Geschichte kennen und versucht, diese nicht wegzuwischen. Man lernt, die schönen und unschönen Seiten zu verstehen. Damit können wir neue Schritte gehen. Ein Professor von mir hat gesagt: „Hurra, ein Problem.“ Wenn es ein Problem gibt, wird unsere Kreativität herausgefordert. Wir können viel besser Neues denken. Und bei der Operette gibt es ganz viele Probleme. Das beginnt schon beim Titel oder wie mit Frauenbildern umgegangen wird. Wenn wir das reflektieren, können wir eine Geschichte über uns selbst erzählen.

Lotte de Beer

©KURIER/Jeff Mangione
Was macht für Sie die Faszination Operette aus, die ein wichtiges Standbein von Ihnen ist?
Ich wollte immer schon Operette machen, hatte aber nicht viele Chancen. Die Abschlussaufführung, die ich auf der Kunsthochschule inszenierte, war eine Operette von Jacques Offenbach. Alle warnten mich, das sei keine Kunst. Operette ist das perfekte Genre für eine Welt, die nicht mehr so komfortabel und sicher ist wie vor 20 Jahren. Die Klimakrise, die politische Situation, die Pandemie. Zur Zeit Offenbachs gingen die Menschen dort hinein und wussten, da werden politische Witze gemacht. Alles, was damals passierte, kam auf eine übergroße, verzerrte Weise auf die Bühne, damit man über die dunkle Realität lachen konnte. Und es ist Musik, die umarmt, verführt und unterhält. Das möchte ich wieder erreichen.
Schwierige Zeiten brauchen leichte Muse?
Gerade in dunklen Zeiten gibt es Bedarf an Unterhaltung. Man braucht die Musik, die Poesie, die Schönheit. Die Operette war immer grenzüberschreitend, aber stets mit einem Augenzwinkern: ob sexuell, politisch oder wie man mit anderen Kulturen umgeht. Da wurde damit gespielt, damit das Publikum nachdenken musste.

Lotte de Beer

©KURIER/Jeff Mangione
Jetzt gibt es doch einige Menschen, die nicht so denken wie Sie. Zwar boomt Operette, etwa an der Komischen Oper in Berlin. Aber viele sehen sie als verstaubt an. Wie holt man das junge Publikum ins Haus?
Das ist die Herausforderung aller Theater. Ich dachte lange: Es gibt ein treues Publikum, das sehr liebt, was bis jetzt gemacht wurde und das eine Idee hat, wie Operette sein soll. Und es gibt eine Gruppe, die noch nicht kommt, weil sie auch zu wissen glaubt, was eine Operette ist. Und die mag das nicht. Soll ich etwas anbieten, das alle zwei Gruppen verbindet? Nicht zu konservativ, nicht zu radikal? Dann wird es langweilig. Aber wenn man sagt, am Montag gibt es eine traditionelle Operette, am Dienstag ist eine radikale Sicht auf Musiktheater dran, am Mittwoch haben wir ein Stück für alle und am Donnerstag sind die Familien hier. Wenn man das ehrlich kommuniziert, kann das funktionieren. Nicht alle Abende sind für alle. Aber für alle ist etwas dabei.
Welches Stück kann alle begeistern?
„Die Dubarry“ unter der Regie von Jan Philipp Gloger, womit wir die Saison am 3. September eröffnen. Ich wollte eine Operette im wienerischen Stil, in der Menschen die Sehnsucht nach einer Operette, wie sie einmal war, stillen können. Wenn der Vorhang aufgeht, sollen sie denken: „So stelle ich mir das vor.“ Aber ich will gerne auch, dass neue Publikumsgruppen denken, hier wird ein wichtiges Thema angesprochen. Sie sollen denken, das ist witzig. Das soll auch jenen gefallen, die lieber Comedyshows sehen als typische Operetten-Witze. In unsere „Die Dubarry“ passt das alles hinein. Ich freue mich aber auch auf die Wiederaufnahme der bezaubernden „La Cenerentola“-Inszenierung von Achim Freyer gleich am darauffolgenden Tag mit der großartigen Wallis Giunta in der Titelrolle und Misha Kiria, der gerade bei den Salzburger Festspielen als Gianni Schicchi gefeiert wurde.
Bei der Programmpräsentation im Frühling wurden Stimmen laut, die monierten, dass es zu wenige Musicals gebe.
Wir werden auch viele machen. Ich liebe Musicals und wir bringen auch in unserer ersten Saison mit „Anatevka“ eine Wiederaufnahme und acht Repertoire-Produktionen von „La Cage aux Folles“ über „Cabaret“ bis „Sound of Music“. Aufgrund der komplizierten Rechte ist sich durch meine kurze Vorbereitungszeit in der ersten Saison keine Neuproduktion ausgegangen, aber in der zweiten Saison gibt es dann noch mehr Musical.

Lotte de Beer

©KURIER/Jeff Mangione
Sie feiern am 9. Oktober mit „Jolanthe und der Nussknacker“ – einer Kombination aus zwei Tschaikowski-Werken – Ihre Regiepremiere. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
„Jolanthe“ ist meine Lieblingsoper. Es ist eine schöne Geschichte übers Erwachsenwerden. Über den Moment im Leben, in dem man die Augen öffnet und die Welt sieht, wie sie ist, und nicht wie sie sein soll. Jolanthe ist eine blinde Prinzessin, die nicht weiß, dass sie blind ist. Sie verliebt sich und muss die Augen öffnen, um erwachsen zu werden. Dieses Stück ist sehr kurz. Auch Tschaikowski hat es bei seiner Uraufführung gemeinsam mit dem „Nussknacker“ gespielt. Wir verflechten die beiden Werke und zeigen in den Ballett-Teilen wie sich Jolanthe die perfekte Kinderwelt vorstellt, bevor sie sehen kann.
Ihr Vorgänger Robert Meyer stand auch auf der Bühne. Werden Sie das auch machen?
Nein, bitte nicht. Es gibt einen guten Grund, dass ich stets hinter der Bühne war. Niemand wird glücklich, wenn ich auf den Brettern stehe.
Zur Person

Zur Person

Lotte de Beer  wurde im niederländischen Eindhoven geboren und studierte Regie an der Hogeschool voor de Kunsten Amsterdam. Sie gewann 2015 den International Opera Award als beste Newcomerin. Die 41-Jährige inszenierte etwa an der De Nationale Opera Amsterdam, dem Gran Teatre de Liceu in Barcelona, an der Israeli Opera Tel Aviv und dem Theater an der Wien.  Sie hat einen Partner  und eine Tochter. De Beers erste Saison als Direktorin der Wiener Volksoper startet am 3. September mit „Die Dubarry“ u. a. mit  Harald Schmidt als Ludwig XV. Ihre erste Regiearbeit im Haus am Gürtel wird   „Jolanthe und der Nussknacker“ sein, die am  9. Oktober Premiere feiert.  

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare