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Das Halstuch für den Herren ist das Trend-Accessoire des Frühlings

Das Halstuch feiert ein Comeback. Von Armani bis Gucci gehen Großstadtcowboys und Gentlemen auf Tuchfühlung.

Der zarte Hals einer schönen Frau. Ein Mann muss kein Vampir sein, um diese weithin ungenügend gewürdigte Stelle (außer bei Thomas Mann) als Ziel viriler Begehrlichkeiten einzuordnen. Diesen Hals zu küssen gilt es, oder ihn hübsch zu beschmücken. Gerne auch beides.

Weit weniger spannend ist da die maskuline Kopfstütze, doch auch diese bietet ihre Möglichkeiten. Goldketterln etwa kitzeln ein gewisses Türsteher-auf-Ibiza-Feeling in uns hervor. Bis zum Nabel hinunter aufgeknöpfte Hemden rufen nach Côte d’Azur oder Clubsauna. Zuletzt befanden wir uns aber vor allem im Zeitalter des Schals. 

Den durfte irgendwann jeder tragen. Der Burgtheater-Grandseigneur sowieso, doch jetzt auch der Kleinunternehmer mit Spiegelbrille auf Sylt, Fußballtrainer und Filmstars auf dem roten Teppich. Der Schal ist der Versuch von Männern, sich von anderen Männern modisch abzuheben, doch irgendwann ging das auch schief und man hatte sich daran sattgesehen. Gut, dass es jetzt eine erfrischende Alternative gibt: Das Halstuch für den Herren feiert nämlich ein Comeback.

Halstuch ist die neue Perlenkette

Auf den Laufstegen ist es längst angekommen und gerade dabei, sich den Weg von Mailand und Paris auch zu uns in die Niederungen der Fußgängerzone zu bahnen. 

Das kann von einer berückenden Dezenz sein, wie man es von Armani gewohnt ist, und auch die Edelschneider von Gucci, Louis Vuitton oder Hermès zeigen in ihren aktuellen Kollektionen vor, wie unaufdringlich elegant Herren heute auf Tuchfühlung gehen, ohne sich gleich als Westentaschen-Dandy verdächtig zu machen.

Celebrity Sightings In Europe - September 05, 2022

Viel am Hals: Popstar Harry Styles kombiniert Tuch zum Unterleiberl und zeigt Tattoo.

©GC Images/MEGA/Getty Images

Das Coole am Halstuch: Wie in der Mode heute generell, ist auch hierbei alles erlaubt. Das heißt, was den Anlass betrifft: Erst was umbinden und sich dann beim noblen Innenstadt-Apéro einen umhängen, ist damit ebenso drin wie das Tuch zu einem lässigen Streetstyle-Look für den Schanigarten zu konzipieren. 

Ob schick und stilvoll (und androgyn) oder casual maskulin, beides passt, Gentleman genauso wie Großstadtcowboy. Für Junge ist das Halstuch die neue Perlenkette, für alle anderen eine textile Frischzellenzufuhr, solange sie nur richtig kombiniert wird. Man ist ein Mann von Welt, und im besten Falle die Welt von einem Mann. Es kommt nur drauf an, wie man sie sich zwirbelt, faltet, einschlägt oder umwirft.

Emporio Armani - Runway - Milan Fashion Week - Menswear Spring/Summer 2025

Emporio Armani, Frühling/Sommer-Kollektion

©WireImage/Daniele Venturelli/Getty Images

Von Cary Grant bis Keith Richards

Denn selbstverständlich ist Tuch nicht gleich Tuch. Zum einen wäre da das Foulard. Gefertigt aus feinster Seide schmiegt es sich hauchzart um den Männerhals. Es verbindet virile Energie mit grazilen Anklängen, vor unserem geistigen Auge sehen wir damit Cary Grant über den Dächern von Nizza oder Errol Flynn mit einem Drink in der Hand. Bei diesen Herren strahlt das einen Hauch Arroganz aus und die irritierende Ambivalenz aus Vertrauen-Können und Lieber-auf-der-Hut-Sein. 

Aber, und das verdanken wir dem Rock ’n’ Roll: Das Foulard ist nicht nur kultivierten Lebemännern vorbehalten. Keith Richards war bekennender Tuchträger, doch zur Leopardenjacke über der Heldenbrust bekam das gleich eine ganz andere Note: rebellisch, cool und irgendwo zwischen Boho-Look und Glam-Rock. 

Auch Mick Jagger oder Jimi Hendrix taten es ihm gleich. Und große Filmikonen. Marlon Brando machte das Foulard verwegen und sexy. Und Peter Fonda und Dennis Hopper – also die ultimativen Hippie-Rebellen der Sechziger – trugen es im Kultfilm „Easy Rider“ zur Lederjacke, als sie auf der Harley-Davidson Richtung Untergang ritten.

Von Abenteurern und Aristokraten

Auch das Ascot-Tuch ist feinster Stoff. Es ist länger als das Foulard und in der Regel aber für formellere Anlässe gedacht. Gebunden wird der lange Krawattenschal unter dem Hemdkragen und gern zum Anzug getragen. Angesagt ist dieser hochseriöse Aristokraten-Look aktuell aber nicht. 

Streetstyle Shanghai
©WWD via Getty Images/WWD/Getty Images

Das Bandana hingegen schon: Das quadratische Tuch kommt zum Beispiel mit Paisley-Muster gut, man kann es nach vorne geknotet anziehen, dünn zu einem Schlauch aufgewickelt oder nach vorne gestülpt zu einem Dreieck gefaltet.

Der Eindruck, den es vermittelt: rebellisch mit einem Schuss Abenteuer, wir denken an Stars wie Steve McQueen – außerdem lehnt sich der Bandana-Style ideal an den Trend Cowboycore an, mit dem selbst Greenhorns auf Marlboro Man in der weiten Prärie machen.

"Smash" Broadway Opening Night
©WireImage/John Nacion/Getty images

Ein weiter Weg für etwas, das eine jahrhundertelange Geschichte hat. Schon bei den Römern trugen die Legionäre ein langes Tuch um den Hals. Als Teil der Uniform schützte das Focale davor, sich am Brustharnisch die Haut abzuscheuern, außerdem wärmte es.

Im 17. Jahrhundert banden französische Aristokraten sich kunstvoll Cravatten um, wie sie es bei kroatischen Söldnern abgeschaut hatten – Vorläufern des Halstuchs. Bei den Cowboys ging es weniger um Stil, vielmehr schützte das Textil gegen Staub. Und wer könnte sich die ritterlichen Pfadfinder ohne ein Halstuch vorstellen, das die Altersstufe und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verband anzeigt?

Wie man das Halstuch heute stylt hängt davon ab, wer man gerade sein möchte. Der coole Rebell? Dann ein Bandana, casual zum T-Shirt oder zur Jeansjacke. Elegant? Dann Seidentuch zum aufgeknöpften Hemd oder unterm Anzug. Für Modebewusste ohne Genierer ist ein großes, kunstfertig geknüpftes Tuch als Blickfang ein Statement-Look. Und für Fans von Layering, sprich: Zwiebellook, lassen sich Ketten, Westen und leichte Mäntel gut dazu stylen. Wofür auch immer man sich entscheidet – Mann ist bereit dafür, sich Hals über Kopf ins nächste Abenteuer zu stürzen.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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