Film

Kurdwin Ayubs „Sonne“: Drei Freundinnen auf der Suche nach ihrer Identität

Schon in ihrem Vorgängerfilm „Paradis! Paradis!“ setzte sich Ayub mit der Identitätssuche junger Migrant:innen auseinander.

Drei junge Frauen im Hijab tanzen und twerken im Wohnzimmer. Sie blödeln herum, lachen über ihre „Verkleidung“, den Hijabs von Yesmins Mutter. Als Musik läuft „Losing my Religion“ vom REM. Sie nehmen ein Video ihrer spaßigen Tanzperformance auf und stellen es online. Die Resonanz darauf ist unerwartet groß – und unerwartet kontrovers.

Was junge Musliminnen tun dürfen und tun sollen, davon hat Kurdwin Ayub, die junge Regisseurin mit Wurzeln im Nordirak, selbst die beste Ahnung. Mit ihren Eltern von klein auf in Wien lebend, zeigt Ayub einen Teil der Stadt, den man sonst nicht sieht: das interkulturelle Wien, in dem Kinder aus Einwandererfamilien quasi in zwei Welten leben. Der traditionellen der Eltern und der neuen Social Media-Welt, in der scheinbar alles erlaubt ist.

Während die beiden nicht-religiösen Freundinnen begeistert sind von ihrem plötzlichen Video-Ruhm und das alles als großen Spaß sehen, steckt Yesmin in genau diesem Zwiespalt. Sie beginnt ihre Lebensweise zu hinterfragen, versteht, dass ihre Mutter diesem liberalen Getue mit Skepsis begegnet. Nur in ihrem Vater – auch im wahren Leben ihr Vater – findet sie einen Verfechter moderner Einstellungen. Er fördert seine Tochter und ihre Freundinnen, wo er kann, chauffiert sie zu Auftritten bei kurdischen Festen und Hochzeiten.

Schon in ihrem Vorgängerfilm „Paradis! Paradis!“ setzte sich Kurdwin Ayub mit der Identitätssuche junger Migranten und Migrantinnen sowie aktuellen Social Media-Trends auseinander. In „Paradis! Paradis!“ begleitete sie ihren Vater in seine alte Heimat, den kurdischen Irak, wo er sich eine Wohnung suchen wollte. Er suchte, sie fühlte sich fremd. Letztendlich waren beide froh, als sie wieder zurück in Wien waren.

Es ist nicht leicht für einen jungen Menschen, seinen Platz in der Gesellschaft zu finden, das will uns Ayub vor Augen führen, und das gilt für alle Jungen, nicht nur für die jungen Migrantinnen und Migranten.

Wie schwer das ist, versucht Ayub auch an Yesmins Filmbruder Kerim zu veranschaulichen. Er schließt sich einer Jugendgang an, droht in die Kriminalität abzudriften. Als irgendwann die Polizei an die Tür der elterlichen Wohnung klopft, schrillen bei den Eltern alle Alarmglocken. Kerim aber ist nicht böse und kriminell, auch er hat – auf eine andere Art wie seine Schwester – Zweifel an dem, was er tut.

Ayub gelingt ein sensibles Porträt der kurdischen Community in Wien, das zugleich zutiefst persönlich ist. Das macht den Film, der bei der heurigen Berlinale als bester Debütfilm ausgezeichnet wurde, so nahbar und sympathisch. Solange es derartig authentische Auseinandersetzungen mit dem Anderssein beziehungsweise Sich-Anders-Fühlen gibt, braucht man den Glauben nicht verlieren. Nix mit „Losing my Religion“.

Sonne. A 2022. 87 Min. Von Kurdwin Ayub. Mit Melina Benli, Law Wallner, Maya Wopienka, Omar Ayub.

Susanne Lintl

Über Susanne Lintl

Sie ist Romanistin und Politikwissenschaftlerin. Seit 1987 beim KURIER; früher in der Außenpolitik; führt im Kultur- und Medienressort schwerpunktmäßig Interviews mit Film- und Mediengrößen; auch zuständig für Kinderliteratur und Kindertheater.

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