Hermann Maier im Interview: „Im Kopf ist das Ganze noch abgespeichert“

Maiers Momente: Der "Herminator" über Siegen und Stürzen, seine ersten 50 Jahre und das, was noch kommt.

Offiziell zog sich Hermann Maier vor dreizehn Jahren aus dem Sport zurück. Als Werbe-Testimonial und Held mit Hausverstand aber ist der zweifache Olympiasieger, dreimalige Weltmeister und Besitzer von 14 Kristallkugeln nach wie vor präsent. Besonders in seiner Heimatgemeinde Flachau in Salzburg. Dort gab er der am Vorabend seines runden Geburtstages ein Interview über seine Karriere als Skirennfahrer, seine Beziehung zu Stürzen und seine nach wie vor gelebte Beziehung zur Arbeitswelt.

Er selbst gehe nach wie vor gerne auf die Piste, sagt er, „aber nicht mit dem gelben Helm“, seinem legendären Kopfschutz. Wenn seine nächsten Jahre „etwas ruhiger ablaufen sollten“, nimmt er das gerne an, „weil die Belastbarkeit auch eine andere ist, wenn man älter wird“.

Hermann Maier, in Ihrem Heimatort Flachau gibt es eine Hermann-Maier-Galerie, in der alle Ihre Trophäen und Medaillen ausgestellt sind. Ihren ersten Pokal erhielten Sie als Achtjähriger für einen 2. Platz. Wissen Sie noch, wer Ihnen den Sieg weggeschnappt hat?

Hermann Maier: Sowieso, das war der Thomas aus Filzmoos.

Sind Sie noch in Kontakt mit ihm?

Hin und wieder. Sein Bruder betreibt wie meiner eine Skischule.

Sie fahren Ski, seit Sie drei Jahre alt sind.

Scheinbar. Also, ich weiß das nicht mehr so genau. Ab fünf, sechs Jahren war ich jedenfalls schon alleine auf der Piste unterwegs.

Wann tauchte der Ansporn auf, sich mit anderen zu messen, waren Sie schon als Kind gierig auf den Sieg?

Meine Eltern sind hin und wieder Skirennen gefahren und haben Pokale gewonnen. Da habe ich mir gedacht, so etwas möchte ich auch. Im Endeffekt ist ein Pokal zwar ein Staubfänger, um den man sich bemüht. Ich wollte trotzdem bei jeglichem Wettkampf der Beste sein.

Gehört für Sie Sport und Siegen unbedingt zusammen? Bei den Olympischen Spielen heißt es doch oft, nur dabei zu sein, sei schon alles.

Nur dabei zu sein, war mir viel zu wenig, das war uninteressant. Man war dabei, um zu gewinnen, no na. Beim Sport geht es logischerweise um den Sieg. Das Ziel war immer, zu gewinnen.

Macht Siegen dann süchtig? Wenn Ziele erreicht sind, könnte man ja schon einen Gang zurückschalten?

Man probiert, sich selber immer weiter zu entwickeln. Das ist das Interessante: Dahinterzukommen, was alles in einem drinsteckt, um besser zu werden. Zuerst einmal geht es natürlich schon darum, sich im Vergleich mit den anderen Teilnehmern abzusetzen. Dann war immer mehr das Ziel, an seine Grenzen zu gehen, auszuloten, was alles möglich ist.

Vor 13 Jahren haben Sie sich aus dem Sport zurückgezogen. Geht Ihnen das Siegen ab?

Siegen in dem Sinn geht mir nicht ab. Im Leben feiert man ja immer wieder einen Sieg oder erleidet eine Niederlage. Etwa, wenn man mit einem Schraubenzieher hantiert und sich dabei leicht tut. Oder eben nicht. Der Unterschied beim Sport ist, dass man hier mit Spezialisten zu tun hat, und immer die Frage nach dem Besten auftaucht.

Ein Nebeneffekt Ihrer Siegesserie war, dass Sie in der Welt ganz schön herumgekommen sind, für eine TV-Doku sogar bis zum Südpol. Und danach zu „Wetten, dass ..?“, wo Sie Pop-Superstar Justin Timberlake als „Naked Superman“ bezeichnet hat, weil ein Ausschnitt aus „Der Wettlauf zum Südpol“ Sie bei der Ganzkörperwäsche im Eis zeigte. Gehen Ihnen solche Momente ab?

Ich hätte nicht mehr gewusst, dass Justin Timberlake da neben mir saß. Ich war zwei oder drei Mal bei „Wetten, dass ..?“ Was ich noch weiß, ist, dass einmal Michael Jackson dabei war. Natürlich erinnert man sich ab und zu – an zähe Auftritte und auch an gelungenere.

Neben „Wetten, dass ..?“ waren Sie auch in der „Tonight Show“ von Jay Leno in Los Angeles. Mit Ihrem kernigen Schmäh hätte das eigentlich der Beginn einer Filmkarriere werden können? Nach Filmen über Niki Lauda und Franz Klammer wäre es Zeit für einen Hermann-Maier-Film. Gab es nicht Pläne dazu?

Anfragen gibt es mehr denn je. Die Gefahr dabei ist, dass ein Spielfilm das Ganze verkitschen könnte. So wie die Karriere abgelaufen ist, die Realität ist schwer zu übertreffen. Ein Dokumentarfilm ist da oft das bessere Mittel der Wahl.

Zu dem Fotograf, der die Aufnahme von Ihrem legendären Sturzflug in Nagano geschossen hat, sollen Sie locker gemeint haben, „passt schon“, als er geschockt geschaut hat, ob Sie noch leben. Echt?

Sein legendärer 40-Meter-Sturz in Nagano: danach nannte man Hermann Maier "Herminator". Geschossen hat das Foto Carl Yarbrough für Sports Illustrated

©Bernhard Praschl

Das war Carl Yarbrough. Er ist leider dieses Jahr verstorben. Er ist damals ebenfalls zu Sturz gekommen, runtergefallen von seiner Leiter am Pistenrand. Die habe ich bei meiner Luftfahrt gar nicht gesehen. Er war der Erste, der mir zugerufen hat: „Are you okay?“ Vor lauter Schnee im Mund konnte ich nicht gleich reden. Und dann brachte ich eben nur ein „passt schon“ zustande. Carl hat mir später erzählt, dass er nur auf den Auslöseknopf seiner Kamera gedrückt hat, weil er auch nicht wusste, wo der Maier da jetzt hinfliegt. Im Endeffekt ist er von der Leiter runtergefallen ...

Ein Doppelunfall!

Arbeitsunfälle noch dazu. In dem Fall ist es zum Glück für beide Beteiligten gut ausgegangen.

Und dann kam der Motorradunfall ...

Das war mehr als drei Jahre später. Der war am 24. August 2001. Das weiß ich noch so genau, weil ich kurz vorher vom Sommertraining in Chile zurückgekommen bin. Dort, in der südlichen Hemisphäre, herrschte Winter – unsere Vorbereitung auf die Wintersaison. Ich war in absoluter Höchstform, weil ich speziell für die Abfahrt trainiert habe. Darin war ich noch nicht so weit entwickelt, es war erst mein viertes Jahr als Skirennläufer. Als ich dann im Krankenhaus gelegen bin, sah man die Umrisse meiner Skibrille, weil mein Gesicht noch so gebräunt war. Der Unfall war für mich natürlich ein anderer Einschnitt als der Sturz in Nagano. Der hat mich richtig rausgerissen, mit einer ewig langen Rehabilitation danach.

Für ein heimisches Bankinstitut besuchen Sie unter dem Titel „Erfolgswege“ kleinere und mittlere Unternehmen, die u. a. pfiffige Produkte herstellen. Da machen Sie immer wieder auch originelle Bemerkungen wie etwa diese Begrüßung: „Du hast noch alle Finger, das wundert mich bei einer Tischlerin.“ Stand das so im Skript oder ist Ihnen das so eingefallen?

Es gibt einen roten Faden, der sich aus der Geschichte der jeweiligen Firmen ergibt. Da lasse ich dann meinen Erfahrungsschatz einfließen. Und aus meiner Zeit als Maurer und meinem Arbeiterleben weiß ich, was bei den Tischlern alles so vorgefallen ist.

Übersteht man ein Unglück, zieht man daraus womöglich viel Kraft. Haben Sie sich nach dem Sturz bei den Olympischen Winterspielen 1998 in Nagano unsterblich gefühlt? Nur leicht verletzt gewannen Sie ja nur drei Tage später Gold.

Nach dem Sieg im Super G hab ich so was gesagt, aus einem gewissen Übermut heraus. Aber das war natürlich ein Blödsinn, weil: So realistisch war ich schon, zu wissen, dass auch einmal was passieren kann. Selbst wenn ich trainiert habe, mich am Limit zu bewegen, war mir absolut klar, dass das unter Umständen nicht beherrschbar sein kann.

Sport lebt immer auch von Duellen.

Natürlich, das ist auch das Wichtige. Schlimm ist es nur, wenn Duelle künstlich aufgebaut werden.

Wann haben Sie das letzte Mal ein Skirennen im Fernsehen verfolgt? Sie meinten einmal, Sie gingen lieber selber Skifahren, als sich ein Rennen anzuschauen?

Praktisch an den Nordamerikarennen ist, dass sie bei uns am Abend übertragen werden. Um die Uhrzeit gehe ich keine Skitouren, da möchte ich den Naturraum schützen. Das war also jetzt die ideale Zeit für einen TV-Abend.

Als Olympiasieger, Weltmeister und Weltcupgesamtsieger müssen Sie ein besonderes Gespür für Schnee haben.

Da müsste ich eher ein Imker sein. Oder mit Königskerzen arbeiten (es heißt, dass ein langer Winter bevorsteht, wenn die Königskerzen sehr groß werden, Anm.). Jedenfalls sind wir in Flachau, glaub’ ich, schon gut gesegnet mit Naturschnee. Wir haben über die Jahrzehnte auch im Tal immer eine perfekte Langlaufpiste gehabt. Die letzten Winter waren jedenfalls hervorragend.

Wenn Sie daheim Skifahren, fahren Sie da ganz normal neben den anderen, ohne dass die wissen, dass da jetzt Hermann Maier herunterbrettert?

Ich habe hinten nicht Hermann Maier draufstehen und ich fahre auch nicht mit dem gelben Helm. Wenn viele Leute auf der Piste sind, gehe ich weniger Skifahren, da bin ich eher abseits mit den Tourenski unterwegs, wenn es wieder ruhiger ist, fahre ich wieder mehr auf der Piste.

Der gelbe Helm, Hermann Maiers legendärer Kopfschutz

©KURIER/Jeff Mangione
Und brettern Sie dann runter wie früher oder schaut das ziviler aus?

Was ist zivil? Man fährt halt normal. Das Material teste ich ein bissl aus. Im Kopf ist das Ganze ja noch abgespeichert. Man muss halt schon berechnen, dass man älter ist und der Körper das nicht mehr so mitmacht. Da oben ist es noch drinnen, aber ich glaube, dass das Knie nicht so eine große Freude hätte, wenn ich wieder mit der gleichen Intensität ans Werk gehe.

Wie beurteilen Sie die Veränderungen beim Material, etwa, dass die Skier breiter und kürzer wurden?

Das war wichtig für den Skisport – vor allem auch für normale Skifahrer. Beeinflusst durch das Snowboarden wurden die Carving-Ski entwickelt. Viele Snowboarder kamen dadurch wieder zurück zum Alpinskifahren, weil das einige Vorteile hat. Zum Beispiel im Tiefschnee: Da ist der Genuss mit diesen kürzeren, breiteren Skiern viel höher als mit den alten schmalen.

Der Anlass für unser Gespräch ist Ihr Geburtstag am 7. Dezember. In Ihrem Leben war in den ersten fünfzig Jahren schon viel los. Was wird in den nächsten fünfzig Jahren kommen?

Schwer zu sagen. Mein Leben war bisher sicher sehr bewegt und mit harter Arbeit und viel Einsatz verbunden. Es ist nichts von selber passiert. Das ist alles Resultat harter Arbeit. Wenn die nächsten Jahre ruhiger ablaufen sollten, dann nehme ich das gerne an. Wichtig ist, dass es nach wie vor ein interessantes Leben bleibt und dass ich das Leben selber gestalten kann.

Apropos gestalten. Sie waren einer der ersten Sportler, der über eine eigene Homepage verfügte. Bei sozialen Medien wie TikTok, Facebook oder Instagram aber halten Sie sich zurück oder machen erst gleich gar nicht mit. Warum?

Was das anlangt, waren wir Vorreiter, wir hatten sogar ein eigenes Forum auf der Webseite, unzensiert, wo die Leute sich austoben konnten. Im Nachhinein gesehen, ein absoluter Wahnsinn. Das war Ende der Neunzigerjahre. Die Zugriffe waren enorm hoch. Und in Verbindung mit einem Fanshop waren wir sehr weit vorne. Meine Devise aber ist: Weniger ist mehr. Ich bin jetzt nicht dafür, dass man überall der Schnittlauch auf der Suppe ist und bei allen Sozialen Medien auftaucht. Ich bin da gar nicht vertreten. Aber ich bin auch schon älter. Das muss jeder für sich selbst entscheiden, sei es für sich oder für einen Betrieb – da kann es durchaus seine Vorteile haben. Meines ist es halt nicht.

Der Herminator nachdenklich

©KURIER/Jeff Mangione
Rückblickend betrachtet: Fehlen Ihnen die sportlichen Erfolge? An einem runden Geburtstag zieht man Bilanz und denkt vielleicht: Ich habe zu früh aufgehört.

Nein. Es war ziemlich genau der richtige Zeitpunkt.

Letzte Frage. Die größten Meilensteine Ihrer Karriere: Jahrhundertsturz und das Comeback nach dem Motorradunfall oder die 14 Kristallkugeln?

Sportlich gesehen, muss ich sagen, die Saisonen 1999/2000 und 2000/2001. Jeweils vier Kugeln in der Saison gewonnen zu haben, ist schwer zu übertreffen. Und dann diese Missgeschicke. Weil, etwas Besonderes ist es ja nicht zu stürzen. Man probiert eher, das zu vermeiden. Natürlich, dann wieder zurückzukommen und zu gewinnen, das ist im Gesamten das, was übrig bleibt. Stolz? Das war ein Abschnitt. Und ich habe das Beste daraus gemacht.

Bernhard Praschl

Über Bernhard Praschl

Bernhard Praschl, geboren 1961 in Linz. Als Stahlstadtkind aufgewachsen zwischen Stadtwerkstatt und Brucknerhaus. 1978 erster Manager der Linzer Punk-Legende Willi Warma. 1979 Studium der Politikwissenschaft und Publizistik an der Uni Wien. Zivildienst im WUK; 1986 Institut für Höhere Studien, Wien. 1989-1992 in der Die Presse, seit 1992 Redakteur im KURIER, 1994 Statist in Richard Linklaters "Before Sunrise", seit 1995 in der FREIZEIT. 2013 "Das kleine ABC des Geldes. Ein Lesebuch für Arm und Reich" (Czernin Verlag). Nach frühen Interrailreisen durch Europa (Portugal bis Irland) und Autofahrten entlang der California State Route und dem Overseas Highway nach Key West jetzt wieder Bahnfahrer - und E-Biker.

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