Wo die Habsburg-Monarchie wieder cool ist
In den ehemaligen Gebieten der Habsburger Monarchie von Prag bis Triest entdeckt man neue und eher unbekannte Seiten der alten Ära.
Und Katharina Salzer
In dieser Bar hat man das Gefühl, Kaiser Franz Joseph höchstpersönlich beobachtet die Gäste beim Weintrinken. Es ist ja fast auch sein Reich, das sich der absolute Monarch mit dem ebenfalls auf die Wand gezeichneten Helden der Demokratie, Václav Havel, teilt. Die Bar Veltlin im angesagten Prager Viertel Karlín serviert nur Naturweine aus dem Gebiet der ehemaligen k. u. k. Monarchie.
Wie es sich für eine coole Naturweinbar gehört, ist auch alles perfekt durchgestylt: Die Besucher sitzen auf Bugholzsesseln, die auch schon im Fin de Siècle zur Grundausstattung mondäner Lokale gehörten. Eine peppige Landkarte mit regionalen Besonderheiten zeichnet das Gebiet des untergegangenen Österreich-Ungarn nach.
Es ist ein Atlas des guten Geschmacks: Ganz gleich ob Karst, Mähren oder Südsteiermark: Der Kellner zeigt, nachdem er den Wein serviert hat, woher genau der Tropfen stammt.
Eine Bar, die Weintrends aufgreift – und dann doch der Vergangenheit huldigt. Liegt da etwas in der Luft?
Ist Habsburg wieder hip?
"Die Habsburger-Kultur ist wieder in Mode", schrieb der Economist schon im Jahr 2018. Das hätte einerseits mit dem hundertsten Jahrestag des Zusammenbruchs zu tun. Oder mit dem "Gefühl, dass sich die Ängste der späten Kaiserzeit, Jahre des desorientierenden Wandels in Politik und Gesellschaft, mit denen von heute überschneiden".
Doch andererseits gebe es diese nostalgische Sehnsucht nach dem Glamour dieser Ära. Die mittlerweile abgewirtschaftete Modekette Forever 21 hatte damals Jeansjacken und Sweatshirts mit der üppigen Kunst von Alfons Mucha, einem tschechischen Zeitgenossen Klimts, verziert. Arthur Schnitzlers "Reigen" wurde in London aufgeführt.
Das Metropolitan Museum of Art in New York zeigte Akte von Klimt und Schiele. Und Robert Dornhelms Mini-Serie über Maria Theresia erzielte in ganz Mitteleuropa hohe Einschaltquoten: In Tschechien drehten laut dem Economist 47 Prozent der Fernsehzuschauer ein.
"Einheimische Weine" in Prager Bar Veltlin
Bei der Prager Bar will man sich nicht mit Nostalgie schmücken, sondern man habe anderes im Sinn: „Das Hauptziel war nicht so sehr der Wunsch nach Monarchie, sondern dass die Tschechen wieder 'einheimische' Weine trinken“, erklärt Standa Soukup, Co-Inhaber und "Maestro der Bar". Lange hätten sich seine Landsleute nur für Weine aus Frankreich, Süditalien und anderen Regionen interessiert. "Die Idee, den Menschen wieder beizubringen, einheimische Weine zu trinken, traf sich mit dem Erbe Österreich-Ungarns. Es geht in gewisser Weise auf viele Wurzeln zurück, sowohl in der Gastronomie als auch im Weinbau."
Und auch wenn die Doppelmonarchie in Böhmen nicht immer gut angeschrieben war, Ärger gab es wegen des Kaisers und der Landkarte keinen: "Die Reaktionen auf die ehemalige Monarchieregion waren eher positiv. Wir hatten anfangs mehr mit der Akzeptanz von Weinen zu kämpfen, die nicht zum Mainstream gehören."
Die älteren Kunden würden das Konzept verstehen. "Aber die Jüngeren wissen nicht mehr so recht, wovon wir reden. Und nachdem das Konzept vorgestellt wurde, fragen sie, auch mit Hinweis auf die Karte an der Wand, nach deutschem Riesling."
Blaufränkisch macht Pinot Noir Konkurrenz
Einige Winzer seien sich des historischen Zusammenhangs hingegen bewusst. "So führte Maria Theresia eines der ersten Bezeichnungssysteme ein, das sich auf Weine aus bestimmten Regionen und deren hohe Qualität bezog", erklärt Soukup. Und auch bestimmte Sorten kommen wieder aufs Tapet. "Blaufränkisch wurde in der gesamten Monarchie angebaut und leider hat die Sorte im Sozialismus einen sehr schlechten Ruf bekommen." Er bemühe sich sehr, Blaufränkisch wieder ins Rampenlicht zu rücken. "Weil ich denke, dass er das größte historische Erbe ist, das wir haben. Er verdient die gleiche Aufmerksamkeit wie der Pinot Noir."
Immer wieder ist es der Genuss, auf den sich die Menschen beziehen, wenn sie nostalgisch werden. Liptauer, Sauerkraut und Kaiserfleisch werden in Triest – einst Hafenstadt der Monarchie – gereicht. Aber auch der Aperitivo spielt keine kleine Rolle. Die Stadt liegt ja in Italien. Eine Hunderte Jahre dauernde Geschichte verband sie aber mit Wien.
"Es ist ein bisschen wie ein anderes Land", sagt Erich Bernard von BWM Designers & Architects, der Autor und Architekt in Wien und Triest ist. Ein Land, in das man sich auf eine Nostalgiereise begeben kann. Das gilt sowohl für Italiener – aus anderen Teilen Italiens, die keinen Liptauer kennen – als auch für Österreicher. "Weil man dort auf Sachen trifft, die es nicht mehr gibt." Triest sei, was das Stadtbild betrifft, ein bisschen stehen geblieben. "Das ist durchaus auch positiv zu sehen, weil manche Fehler noch nicht gemacht wurden, die man machen kann."
Das Caffè Sacher in Triest
Bernard hat vor gar nicht so langer Zeit mit Dizzi Alfons und Peter Weisz ein Stück Wien in die Stadt an der Adria geholt: das Caffè Sacher. Seit eineinhalb Jahren zu finden in einem behutsam umgebauten denkmalgeschützten Geschäftslokal. Das Caffè soll sowohl italienisch als auch wienerisch sein. Um alle zu bedienen.
Triest ist tatsächlich eine sehr nostalgische Stadt, die ihre Bedeutung in der Vergangenheit hat.
Nostalgische Gefühle gibt es, sagt Günter Neuwirth. Der Autor lässt in seinen Triest-Krimis den sprachgewandten Polizisten Bruno Zabini in der Hafenstadt ab dem Jahr 1907 auf Mörderjagd gehen. Vier Romane sind schon im Handel, das fünfte Buch erscheint bald. "Ein Teil meines Erfolges fußt darauf, dass sich sehr viele Österreicherinnen und Österreicher gerne an die Obere Adria begeben, und immer mehr auch nach Triest."
Und die Stadt wird beliebter und beliebter bei Touristen und Zweitwohnsitzern von hierzulande. Der Boom hat allerdings seinen Preis: steigende Mieten, aber das ist eine andere Geschichte.
Wie ist es eigentlich andersherum mit der Nostalgie, also die der Triestiner? Neuwirth stellt so etwas wie eine k. u. k. Sentimentalität fest. "Ich habe einen Mann getroffen, der hat einen Doppeladler tätowiert." Wie interessiert die Menschen in der Region an den Kontakten "nach Norden" sind, das hat den Krimiautor überrascht. "Einerseits, um den Tourismus zu beleben, andererseits, um die alte Geschichte wieder aufleben zu lassen." Die Sentimentalität sei bei den Bewohnern Triests und der Küste aber keine Massenbewegung.
Nostalgie und Triest: Sehr österreichisch
Architekt Bernard erkennt ein eigenes Phänomen: die Triest-Nostalgie. "Die Stadt ist tatsächlich eine sehr nostalgische, die ihre Bedeutung in der Vergangenheit hat, daher sehr in der Vergangenheit denkt und deshalb auch die Romantik gegenüber der Vergangenheit hat. Die ist zufällig österreichisch", sagt er.
Der gemeinsame Nenner der Triestiner, wenn man sie fragt, als was sie sich fühlen? "80 Prozent würden Mitteleuropäer sagen", ist sich Bernard sicher. "Das Charmante ist, dass es etwas Grenzenloses hat." Die Vergangenheit als größeren gemeinsamen Raum zu sehen und nicht so sehr mit einer Nationalität zu verorten. Triest sei verdichtete europäische Geschichte, die viel mit Wien gemeinsam hat, brachte es der Cafetier Dizzi Alfons bei der Eröffnung des Caffè Sacher auf den Punkt. Es war also naheliegend, die beiden zusammenzuführen.
Mitteleuropa spiegelt sich also im Sacher wider. Die Räume, in denen heute Kaffee und Campari getrunken werden, waren einst eine Filiale eines Wiener Schuhhauses – vertreten auch in Prag, Karlsbad, Budapest, Lemberg und Innsbruck.
Ein Wiener Atelier einer Möbelmanufaktur richtete das Lokal ein – vermutlich nach den Plänen eines Wiener Architekten. Das Kaffeehaus befindet sich in einem Palazzo, der von Triestiner Architekten entworfen wurde.
Dieses Mitteleuropa, die Länder der ehemaligen Monarchie wieder verstärkt miteinander zu verbinden, diese Bestrebungen gab es schon in den 1980ern. Erhard Busek und der Diplomat Emil Brix entwarfen im Buch „Projekt Mitteleuropa“ damals grenzüberschreitende Utopien. Und auch die EXPO 95, die Weltausstellung in Wien und Budapest 1995, sollte den ehemals konkurrierenden Metropolen der Donaumonarchie ein neues Selbstbild verpassen. Aus dem ambitionierten Projekt wurde bekanntlich nichts.
Andere Sicht auf die Ära
Aber aus dieser Zeit stammen auch richtige Lobeshymnen. "Einige haben die historische Sicht auf die Habsburg-Monarchie überarbeitet. Sie galt ja als Völkergefängnis und brach wegen Nationalismus auseinander. In den vergangenen Jahren kam eine andere Sicht auf, dass das etwas Gutes war", sagt der britisch-US-amerikanische Historiker Steven Beller. Positiv herausgestrichen werde, dass die Schere zwischen armen und reichen Regionen nicht so auseinanderklaffte wie anderswo in Europa.
Dass es eine multinationale, pluralistische Politik gegeben habe. Und dass die Bourgeoisie der Städte kein Interesse am Nationalismus gehabt habe, erklärt Beller, der diese Auffassung ambivalent sieht. Eine Liste von Historikern würde sagen: Wäre der Erste Weltkrieg nicht ausgebrochen, hätte das gut geendet. "Das Problem ist aber: Der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen, weil das politische System der Monarchie nicht mit dem Nationalismus umgehen konnte."
Und immerhin hätten auch viele faschistische Bewegungen ihren Ursprung in der Monarchie.
Wenn man in Lemberg lebt und das Gefühl hat, auch zur Adria zu gehören, wird man einfach nostalgisch.
Aber Österreich-Ungarn sei gleich nach seinem Ende idealisiert worden. "Oder man denke an Josef Roth in der Zwischenkriegszeit. Der hat die Monarchie in 'Radetzkymarsch' einerseits kritisch betrachtet. Andererseits ist das wie eine Bucht, die ins Licht einer warmen Nachmittagssonne getaucht ist." Und das sei besonders ab dem Jahr 2000 passiert: Die Europäische Union wurde mitunter als Erbe der Habsburg-Monarchie beschrieben.
Ob das so ist, darüber scheiden sich die Geister. Bei Kulinarik und Kultur ist es eher so wie mit der Nachmittagssonne. Mit diesem k. u. k. können mehr etwas anfangen. Beller versteht, dass man hier nostalgisch werden kann. Und eines der Nostalgie-Aushängeschilder sei das Wiener Kaffeehaus, das von der Adria bis Galizien eine bestimmte Ausstattung haben musste.
"Ein Billardtisch, sonst war es kein Kaffeehaus." Er berichtet von jiddischen Poeten, die sich einst in Lemberg im Café Abbazia trafen. Es hieß wie die Stadt am Mittelmeer, die heute in Kroatien liegt und Opatija heißt. "Wenn man in Lemberg lebt und das Gefühl hat, kulturell, ökonomisch und politisch auch zur Adria zu gehören, wird man einfach nostalgisch."
Stehen oder sitzen beim Kaffee in Triest?
Apropos Kaffee und Traditionen. Im Triester Sacher führte man dann doch den "Caffè al banco" ein, also den Espresso, den man schnell im Stehen an der Bar trinken kann. Diese italienische "Spezialität" fehlte den Menschen. Ohne sie geht es nicht, auch in einem Wiener Kaffeehaus, oder?
Doch im berühmten Caffè San Marco diskutiert man immer wieder, ihn abzuschaffen, so Erich Bernard. "Um wienerischer zu sein." Gerade hier, wo sich einst die Menschen trafen, die wegwollten vom Kaiserreich. Noch gibt es ihn, den Espresso im Stehen. Die Kaffeehäuser bewegen sich also zwischen den Welten, zwischen Croissant und Sachertorte. Da wird man doch glatt nostalgisch. Und wer rausgeht, würde sagen wie einst der Kaiser: "Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut."
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