"Frau im Dunkeln" auf Neflix: Eine verlorene Puppe verdirbt den Urlaub
Maggie Gyllenhaal verfilmte Elena Ferrante, mit Olivia Colman und Dakota Johnson.
Eigentlich war sich Maggie Gyllenhaal selbst nicht ganz sicher, ob sie auch die Regie führen sollte. Doch als sie bei der italienischen Bestsellerautorin Elena Ferrante anfragte, ob sie deren Erzählung „Frau im Dunkeln“ von 2008 für einen Film adaptieren dürfe, lautete die Antwort Ja – aber unter einer Bedingung: Gyllenhaal müsse die Regie übernehmen.
In ihrem herausragenden Spielfilmdebüt „Frau im Dunkeln“ (auf Netflix, englischer Titel: "The Lost Daughter") blieb Maggie Gyllenhaal nah an Ferrantes Vorlage, veränderte aber die Schauplätze und verwandelte eine allein reisende Italienerin in die patente Britin Olivia Colman.
Colman spielt eine geschiedene Literaturprofessorin namens Leda Caruso auf Griechenlandurlaub. Leda genießt ihre Freiheit – ihre beiden erwachsenen Töchter sind ausgezogen – und möchte eigentlich nur am Strand liegen und vor sich hin dösen. Ihre Ruhe wird jäh gestört, als ein lautstarker Familienclan über die Bucht hereinbricht. Darunter befindet sich eine junge Frau namens Nina (wunderschön: Dakota Johnson) mit ihrer Tochter.
Aus der Ferne beobachtet Leda die liebevolle Beziehung zwischen Mutter und Kind. In abrupten Rückblenden, mit denen Gyllenhaal wiederholt und unvermittelt in Ledas Gegenwart hinein schneidet, beginnt sie sich an ihre eigene, schwierige Zeit als Jungmutter von zwei kleinen Mädchen zu erinnern.
Sowohl in der Erzählgegenwart, als auch in den Rückblenden, geht die körpernahe Kamera mit den Müttern und ihren Kinder auf Tuchfühlung. Sie macht die Zärtlichkeit, aber auch die erstickende Beklemmung spürbar, die mit übergroßer Intimität einhergehen kann.
Als Ninas kleine Tochter ihre geliebte Puppe verliert, beginnt die Situation am Strand zu kippen. Tagelang klebt das Kind heulend an der überforderten Mutter, lässt sich nicht beruhigen und strapaziert die Nerven der gesamten Familie.
Böse Mutter
Gyllenhaals Lesart von Ferrantes radikalem Mutterporträt spitzt sich durch die Besetzung mit Olivia Colman zu. Mit unverwüstlichem Witz bietet sie den subtilen Frechheiten die Stirn, mit denen ihre Position als alleinstehende, nicht mehr junge Frau ständig untergraben wird. Doch die bizarre Rolle, die Leda in dem Drama um die verlorene Puppe eingenommen hat, zwingt sie in die Knie. Ferrante – und mit ihr Gyllenhaal – rührt an dem Tabu einer „bösen Mutter“ wie Leda, die auf ihre Kinder ambivalent reagiert und ihre eigenen Bedürfnisse denen der Kleinen vorzieht.
„Am schwersten ist es, über Dinge zu sprechen, die wir selbst nicht verstehen“, schreibt Ferrante bereits auf der zweiten Seite ihrer Erzählung. Es ist die große Stärke von Maggie Gyllenhaals dichter Regie und Olivia Colmans exzellenter Performance, dass man Ledas Handlungen zwischen Hingebung und Grausamkeit nicht verstehen kann – und trotzdem seltsam nachvollziehbar findet.
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