Filmkritik zu "Zeiten des Umbruchs": Zwischen Reagan und Hip-Hop

Regisseur James Gray erinnert sich an seine Kindheit und Jugend im New York der Achtzigerjahre

Ronald Reagan wird zum Präsidenten gewählt und die Mutter weint: „Jetzt kommt der Atomkrieg.“

Die Achtzigerjahre haben begonnen. Für die Popkultur bedeutete das Hip-Hop, für die Politik Reaganismus. Ein Spannungsfeld, das Kindheit und Jugend von Regisseur James Gray prägte und sich zu einem tief bewegenden, autobiografisch gefärbten Coming-of-Age-Drama verdichtete. Grays Stand-in, der elfjährige Schüler Paul Graff, wächst in einer jüdischen Familie im New Yorker Stadtteil Queens auf. Beim Dinner mit der Großfamilie reden alle wild durcheinander, denn die Erinnerungen lasten schwer. Der Großvater und dessen Eltern mussten vor Pogromen nach Amerika flüchten. Doch auch dort herrschte Antisemitismus; ein jüdischer Nachname versperrte den Zugang zum College.

Der kleine Paul kennt diese Geschichten nur vom Hörensagen. Er hängt an den Lippen des geliebten Großvaters, den Anthony Hopkins mit dem milden Glanz der Altersweisheit spielt.

In der Schule freundet sich Paul mit einem afroamerikanischen Buben namens Johnny an und träumt mit ihm von einer Karriere als Künstler. Doch Rassismus und Klassendünkel drücken auf die fragile Freundschaft.

Fred Trump

Um in „bessere Kreise“ zu gelangen, wird Paul auf eine Privatschule geschickt, als deren Hauptsponsor Fred Trump, Vater von Donald, auftritt. Gepredigt wird harte Arbeit und maximale Rücksichtslosigkeit auf dem Weg zum Erfolg. Die Ausbildung erweist sich als Einübung in republikanisch eingefärbte Elitenbildung. Als sein Freund Johnny überraschend am Schulzaun auftaucht, schaut Paul geniert zu Boden.

Banks Repeta (li.) und Jaylin Webb werden kurzfristig beste Freunde: "Zeiten des Umbruchs"

©Anne Joyce / Focus Features/UPI

James Gray erinnert sich zwar mit Nostalgie, aber ohne falsche Sentimentalität an die Lehrjahre seiner Jugend zwischen mütterlichem Liberalismus und väterlichem Aufstiegsstreben. Die erlesenen Bilder seines exzeptionellen Kameramanns Darius Khonji (er fotografierte auch Hanekes „Liebe“) sind in melancholische Brauntöne getränkt und beschwören ein inniges, aber auch sehr beklemmendes Familienleben.

Anne Hathaway und Jeremy Strong als liebende, aber verlorene Eltern in "Zeiten des Umbruchs"

©Anne Joyce / Focus Features/UPI

Pauls Vater (Jeremy Strong aus „Succession“) wirkt hilflos, reißt sich aber in der Wut den Gürtel von der Hose und prügelt. An seiner Seite versucht Anne Hathaway als hingebungsvolle Mutter die Familie zusammenzuhalten. Die wirklich wichtige Lehre aber, die Paul fürs Leben mitnimmt, stammt vom Großvater und kommt aus dem Jiddischen: „Sei ein Mensch.“

INFO: USA 2022. 116 Min. Von James Gray. Mit Anne Hathaway, Anthony Hopkins.

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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