Filmkritik zu "Alice Schwarzer": Die Provokateurin

Die streitbare deutsche Feministin Alice Schwarzer in einem materialprallen Porträt von Sabine Derflinger

Alice Schwarzer. Ö 2022. Von Sabine Derflinger. 136 Min. Mit Alice Schwarzer, Bettina Flitner.Auch im Alter von 79 Jahren sorgt Alice Schwarzer noch für Zündstoff. Erst kürzlich rief die Veröffentlichung eines Briefes in der von ihr mitgegründeten feministischen Zeitschrift EMMA viel Kritik hervor: Intellektuelle hatten sich darin gegen die Waffenlieferung an die Ukraine ausgesprochen.

Alice Schwarzer steht für Provokation. Seit sie sich mit Beginn der 70er-Jahre eloquent und lautstark für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzt, steht die (deutsche) Zeitungsöffentlichkeit kopf: „Die Buhfrau Nummer eins“ war das mindeste, was man über sie titelte. Eher schon: „Verbissen predigt sie den Männerhass“.

Sabine Derflinger steigt in ihrer materialreichen Doku „Alice Schwarzer“ auch gleich mit einem prominenten Konflikt ein: „Alice contra Esther“ lautete ein TV-Duell, das 1975 ausgestrahlt wurde und Alice Schwarzer auf Esther Vilar treffen ließ, deren Buch „Der dressierte Mann“ die kühne These aufstellte, nicht die Frauen werden durch Männer unterdrückt, sondern – umgekehrt – die Männer durch Frauen.

Damit war sie bei Schwarzer an der richtigen Adresse: Als Vilar allen Ernstes behauptet, Simone de Beauvoir hätte ihre Bücher ja nur von Jean-Paul Sartre abgeschrieben, platzt der Autorin des weltweiten Bestsellers „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ der Kragen: „Das ist alles haarsträubender Unsinn!“ schnaubt Schwarzer, und: „Sie sollten sich schämen!“

Schlagabtausch

Zuletzt hat Derflinger mit ihrer Doku „Die Dohnal“ feministische Archivarbeit geleistet und der österreichischen Politikerin Johanna Dohnal ein Denkmal gesetzt. Die Beschäftigung mit Deutschlands bekanntester Feministin erscheint nun wie eine logische Fortsetzung. Tatsächlich taucht im Abspann des neuen Films zwischen Kinder- und Jugendfotos auch eines auf, in denen man beide Frauen sieht.

Ikone der zweiten Frauenbewegung und aktiv seit Beginn der 70-er Jahre: Alice Schwarzer

©Cristina Perincioli

Wieder unternimmt Derflinger einen ausführlichen Streifzug durch die Archive und fördert spannendes Film- und Fernsehmaterial zutage. Bilder von der französischen Frauenbewegung, an der Schwarzer maßgeblich beteiligt war, tauchen ebenso auf wie ein witziger Schlagabtausch zwischen der Feministin und dem eher spaßbefreiten Schauspieler Klaus Löwitsch.

Zudem spickt Derflinger ihre historischen Aufnahmen mit Interviews, die sie aktuell mit Schwarzer geführt hat und diese als humorvolle, schlagfertige und auch großherzige Intellektuelle mit Mut zur Kontroverse präsentieren. Brisante Themen, die Schwarzer immer wieder aufwarf wie Abtreibung, Pornografie oder der politische Islam werden (auch aus heutiger Sicht) aufgegriffen.

Kritische Stimmen fehlen gänzlich. Derflinger erzählt ausschließlich aus der Perspektive ihrer Protagonistin und deren Verbündete.

Richtig nahe kommt sie Alice Schwarzer aber selten. Der innigste Moment findet sich in einem privaten Film, den die Fotografin Bettina Flitner, seit 2018 Schwarzers Ehefrau, von ihrer Partnerin im Jahr 2010 aufgenommen hat: Alice Schwarzer steht vor dem Spiegel im Badezimmer, schminkt sich und stellt konsterniert fest, dass so viel von dem, was über sie geschrieben wird, nicht zutrifft: „Es hat nichts mit mir zu tun, einfach gar nichts“, sagt sie müde, während sie laut darüber nachdenkt, was sie wirklich ausmacht. Am Ende ihrer ernüchternden Überlegungen trägt sie Lippenstift auf und sieht dann wieder so aus, wie wir sie zu kennen glauben.

INFO: Ö 2022. Von Sabine Derflinger. 136 Min. Mit Alice Schwarzer, Bettina Flitner.

Alice Schwarzer (zweite von links) in der Redaktion der EMMA

©Derflinger Film/Christine A. Maier
Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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