Filmkritik zu "Große Freiheit": „Vom KZ in den Bau“
Franz Rogowski und Georg Friedrich hinter Gittern in "Große Freiheit", Benedict Cumberbatch als fieser Cowboy und Gustave Eiffel
Das Jahr 1968 stand im Zeichen der sexuellen Revolution – allerdings nicht für (deutsche) Schwule. Für sie galt in Westdeutschland immer noch der berüchtigte §175, der homosexuelle Aktivitäten mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus bestrafte.
Erst 1969 fällt das Totalverbot der Homosexualität.
Auch Hans Hoffmann – hingebungsvoll gespielt von Franz Rogowski – gehört zu den Opfern dieser gesetzlichen Schikane. Wiederholt landet er im Gefängnis, wo er sich mit seinem Zellennachbarn Viktor – dem unverkennbaren Georg Friedrich – anfreundet.
Der zweite Langspielfilm des österreichischen Regisseurs Sebastian Meise, der bereits mit seinem Debütfilm „Stillleben“ reüssiert hatte, erhielt den Preis der Jury in der renommierten Sektion „Un Certain Regard“ in Cannes. Seitdem ist „Große Freiheit“ auf Erfolgskurs und gewann unter anderem auch den Wiener Filmpreis der Viennale.
Meise dokumentiert die Sehnsucht nach Liebe hinter Gittern in Rückblenden über mehrere Jahrzehnte hinweg als beklemmende, unfassbare Kontinuität. Für Hans Hoffmann bedeutet die Ankunft der Alliierten nach Ende des Zweiten Weltkrieges nämlich nicht die Befreiung: Er wandert direkt aus dem Konzentrationslager, wo er wegen Homosexualität inhaftiert war, weiter ins Gefängnis. Dort trennt er von deutschen Uniformen die Nazi-Logos hinunter.
Als sein neuer Zellengenosse Viktor erfährt, mit welcher Art von „Verbrecher“ er zusammen gesperrt wird, möchte er ihn sofort hinauswerfen: Mit dem „Perversen“ will er nichts zu tun haben.
Peckerl
Erst, als er die KZ-Nummer auf dem Unterarm des Mitbewohners sieht, wird Viktor freundlicher: „Vom KZ in den Bau“ – das findet auch der zweifache Mörder kaum zu glauben. Er bietet Hans an, ihm ein „Peckerl“ zu stechen, um die Zahlen unkenntlich zu machen.
Hoffmanns Geliebter (eindrucksvoll: Thomas Prenn) wurde ebenfalls eingebuchtet, kann dem andauernden Druck allerdings nicht standhalten. Ein melancholisches Saxofon begleitet mit traurigem Sound die Liebessuche.
In unaufgeregten, klaren Bildern erzählt Sebastian Meise vom Gefängnisalltag, den Arbeitsroutinen und den Demütigungen seitens der Wärter. Franz Rogowski und Georg Friedrich bringen als kongeniales Paar nuancierter, herausragender Schauspielkunst verhaltene Gefühle zur Explosion.
INFO: Ö/D 2021. 116 Min. Von Sebastian Meise. Mit Franz Rogowski, Georg Friedrich.
Filmkritik zu "The Power of the Dog": Cumberbatch als böser Cowboy
Wenn Benedict Cumberbatch beginnt, den Radetzkymarsch (!) zu pfeifen, führt er Böses im Schild. Mit fiesen Blicken verfolgt er seine Schwägerin und deren Sohn und macht ihnen das Leben zur Hölle. Er ist arrogant, hat cholerische Wutausfälle und provoziert seine Umgebung, indem er sich genussvoll im Dreck wälzt.
Noch nie hat man den distinguierten Briten Benedict Cumberbatch so gemein und getrieben gesehen wie in seiner Rolle als amerikanischer Farmer namens Phil Burbank. Phil und sein Buder George besitzen in Montana von 1925 die größte Ranch der Umgebung. Im Gegensatz zum saufenden und fluchenden Phil ist George sanftmütig und freundlich. Als er jedoch hinter Phils Rücken die melancholische Witwe Rose (Kirsten Dunst) heiratet, entlädt sich dessen Hass auf die unglückliche Frau. Anfänglich bleibt unklar, woher seine Wut rührt: Ist es Eifersucht auf den Bruder oder heimliches Begehren?
Mit furioser Souveränität entfesselt Jane Campion in ihrem sensationellen Comeback-Film die Dynamik unterdrückter Gefühle. Das Familiendrama und seine emotionalen Innereien implodieren inmitten eines epischen Landschaftpanoramas. Prächtige Western-Ikonografie verbindet sich mit den Triebstrukturen des Melodramas und saugt Momente des Horrorgenres in sich auf. Die gegensätzlichen Welten, die George und Phil verkörpern – der brave Bürger und der queere Außenseiter – kollidieren schließlich im Rachethriller, der erst ganz am Ende sein böses Haupt erhebt.
INFO: GB/USA/ AUS/KAN/NZL 2021. 126 Min. Von Jane Campion. Mit Benedict Cumberbatch, Kirsten Dunst.
Filmkritik zu "Eiffel in Love": Die Hauptrolle spielt der Eiffelturm
Im Jahr 1886 wird dem gefeierten Konstrukteur des Fundaments für die New Yorker Freiheitsstatue vorgeschlagen, in Paris ein eisernes Denkmal zu errichten.
Gustave Eiffel lehnt zunächst ab, ändert aber plötzlich seine Meinung. Bis heute fehlt eine Erklärung, warum er den Turmbau zum Herzensprojekt machte. Und genau hier hakt dieser Spielfilm ein.
Denn gäbe es einen plausibleren Grund für diese Kehrtwende als ein Wiedersehen mit seiner großen Liebe Adrienne?
Eiffel wird als rastloser Architekt geschildert, der die Klassengesellschaft ablehnt. Schon in den Rückblenden, die zu den Anfängen seiner Liebe in Bordeaux zurückkehren, steht er auf den Empfängen in Adriennes reichem Elternhaus linkisch herum. In Bildern, die an impressionistische Malereien erinnern, schildert der Film die Beziehung zwischen den ungleichen Charakteren.
Die Hauptrolle spielt aber der Eiffelturm selbst. Der Gedanke, dass es doch nicht ganz so gewesen ist, spielt zwei Kinostunden lang nur eine Nebenrolle.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: F/BEL/D 2021. 108 Min. Von Martin Bourboulon. Mit Romain Duris, Emmy Mackey.
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