Hommage an die Göttin der Erotik: 70 Jahre Sylvia Kristel

Sie machte als "Emanuelle" Softpornos salonfähig und war das Sexsymbol einer Generation. Zum 70er zeigt ein Film demnächst hoffentlich ALLE Facetten.

Aufbruch, Veränderung, Freiheit, Sex - die 1970er, wie wir sie kennen. Sylvia Kristel war das perfekte Gesicht dieser Ära. Und ja, auch der perfekte Körper, immerhin zeigt die Freiheit mindestens eine nackte Brust, das wusste schon Malerfürst Eugene Delacroix 150 Jahre vor unserer "sexuellen Revolution". Und während seine "Liberté" die Bildungsbürger im Louvre beglückte, schmückte die schöne Holländerin als Poster die Wände von praktisch allen Zimmern - männlicher - Teenager.

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Die Frau & die Lust

Wobei ihre "Emanuelle", also die namensgebende Protagonistin des Films, mit dem sie als 22-Jährige quasi über Nacht weltberühmt wurde, keinesfalls ein Männerschmuddelphänomen war, wie man heute vorschnell urteilen könnte. Eine Frau entdeckt ihre Lust, das war neu, quasi revolutionär, bisher war Lust ein männliches Prinzip. Und genau dieses aufregende neue Mantra lockte die Zuschauer in Scharen in die Kinos.

Der Streifen von 1974 war kurz nach Veröffentlichung einer der weltweit erfolgreichsten französischen Filme, mehr als 350 Millionen Menschen haben ihn insgesamt gesehen. Pärchen, Promis, alle Hipster der Post-Hippie-Generation, kurz jeder, der mitreden wollte. "Was, beim Squash!?" - "Im Flugzeug??" - "Nein, wirklich mit beiden???"

Sylvia Kristel selbst hatte nicht mit einem derartigen Erfolg gerechnet, im Gegenteil. Ein Grund, warum die damals frisch gebackene "Miss TV Europe" die Rolle angenommen hat, war die Tatsache, dass "Emanuelle" in Thailand gedreht wurde.

Sie glaubte nicht einmal daran, dass der Film in Europa in die Kinos kommen würde, dass sie damit "Schande über ihre Mutter" bringen könnte, wie es ihr damaliger Mann, der belgische Schriftsteller Hugo Claus, formulierte. Außerdem war sie zuvor noch nie in Thailand - und sie wollte gerne mal hin ...

Mehr als Sex

Wie so oft, erwies sich aber auch in Kristels Fall ein Mega-Erfolg zum Einstand als megaschwerer Rucksack, den man für den Rest der Karriere mit sich rumschleppt. Sylvia Kristel = Emanuelle = Sylvia Kristel. Oder war da sonst noch was? Kaum jemand denkt an etwas anderes als die mehr als zehn "Emanuelle"-Streifen, wenn er den Namen Kristel hört. Und tut ihr damit mehr als unrecht.

Claude Chabrol, Roger Vadim, Walerian Borowczyk - tatsächlich hat Sylvia Kristel sofort nach ihrem Einstiegserfolg mit den großen des französischen Autoren-Kinos gedreht. Gemeinsam mit Jean-Louis Trintignant und Philippe Noiret in "Playing With Fire" des Arthouse-Regisseurs Alain Robbe-Grillet. Als verlorene "Alice" (Chabrol) in einem surrealen Wunderland brillierte sie ebenso wie an der Seite von Rutger Hauer in "Mysteries" (Kamera: Robby Müller!), der Verfilmung eines Romans von Nobelpreisträger Knut Hamsun aus dem Jahr 1978.

Sie spielte die legendäre niederländische Spionin Mata Hari (1985), eine englische unglückliche britische Agentin, die den Nazis zum Opfer fällt (Pastorale, 1978) und mischte gemeinsam mit Arnie Schwarzenegger in "Red Heat" Moskau auf (1985). Sexy war sie in jeder ihrer Rollen, als französische "Erzieherin" kehrte sie in "Private Lessons" in den 1980ern auch wieder an die Posterwände - und vor allem die Träume - der nächsten Generation männlicher Teenager zurück.

Filmreif

Sylvia Kristel wurde am 28. September in Utrecht geboren und starb am 17. Oktober 2012 in Den Haag. Verschiedenen, unbestätigten Angaben zufolge hatte sie einen IQ von 164. Bestätigt ist auf jeden Fall ihr Talent für Sprachen, sie konnte neben Niederländisch und Englisch auch fließend Französisch, Italienisch und ausgezeichnet Deutsch. In ihrer Autobiografie "Nackt" beschreibt sie, wie sie als Neunjährige im Hotel ihrer Eltern von einem Gast missbraucht wurde, sprach allerdings nie über den Vorfall. Sie starb an einem Krebsleiden, hervorgerufen durch ihren starken Zigarettenkonsum.

Derzeit wird intensiv an einem Film über ihr Leben gearbeitet. Die Hauptrolle hat ihre niederländische Kollegin, "Blade Runner"-Star Sylvia Hoeks übernommen. Darauf darf man durchaus gespannt sein.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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