Ein opulenter Bilderband: Abenteuer Alpen
Um 1900 waren in Gipfelnähe Bergsteiger noch kaum gesehen, hingegen rückten vornehme Herren mit Zylinder auf Schlitten an.
Berge, glitzernd und schön, aber auch ganz schön Respekt einflößend. Erst wurden sie mit einem Hauch von Angst und Schrecken beäugt, dann vorwiegend als hinderliche Barriere betrachtet, bis sie auch den Entdeckergeist der Städter geweckt haben, etwa von Peter Altenberg (1859-1919). Der Wiener Kaffeehausliterat hatte sein „ganzes Leben lang von den Dolomiten gehört, einem ,Märchen der Natur’“, notierte er einmal nüchtern, um kurz danach anzudeuten, dass ein Tapetenwechsel ihn in späteren Jahren zu einem glücklichen Menschen gemacht habe.
„Jahrelang im Café Central, Ecke Herrengasse-Strauchgasse, und nun am Eingang in die Dolomiten! Ich sah Wälder im Abendschatten und in der Ferne einen leuchtenden riesigen Felsen. Es türmt sich auf, lichtgrau und rosig, es wächst ins Himmelsblau hinein und überall ist Friede ...“
Großautor in Gletschernot
Die Faszination der Bergwelt hatte den Schriftsteller vor mehr als 110 Jahren in die Alpen gelockt. Schon zuvor waren schneebedeckte Gipfel zu Sehnsuchtsorten Hunderter anderer Städter geworden. Altenbergs französischer Kollege Victor Hugo (1802-1885) wagte sich bereits 1825 aufs damals noch fast ewige Eis, rutschte jedoch prompt aus und hätte sich so fast um den späteren Ruhm gebracht, als Autor von „Der Glöckner von Notre Dame“ und „Les Misérables“ unsterblich zu werden. Hugos Bergführer konnte gerade noch verhindern, dass der prominente Besucher aus Paris für immer in einer Eisspalte verschwand. So wahnwitzig wie sich oft frühe Bewunderer der Alpen vor Ort verhielten, so wunderbar sind handkolorierte Fotografien aus den ersten Tagen des alpinen Tourismus.
Der eben erschienene nostalgische Bildband „The Alps 1900“ (Taschen Verlag) entführt in genau jene Zeit, in der sowohl die Fotografie als auch der Tourismus noch in den Kinderschuhen steckten. Die fotografische Ausrüstung von einst war sperrig, wog etliche Kilo, Transportmittel und -wege in die Bergwelt waren dünn gesät. Umso erstaunlicher, welche Fülle an anschaulichen „Natur-Farben-Photographien“ die Herausgeberinnen (und Bergsteigerinnen) Sabine Arqué und Agnès Couzy dafür zusammentragen konnten. Da geht es im Walkjanker hinauf zu den Eiszacken des Montblanc und werden Passagen mit Skiern genommen, die sogar manchen Betrachtern von heute den Angstschweiß hochkommen lassen. Neben den Winter- sind es aber auch Sommeransichten, Aufnahmen von Schluchten, Wasserfällen, dem Mondlicht auf Seen, Grand Hotels oder Kurorten wie Bad Ischl, die ein lebendiges Gesamtbild einer nostalgischen, vielfach romantisch verklärten Alpenlandschaft schaffen. Und all das begleitet von aussagekräftigen Zeugnissen der Zeit.
„Erstaunliche Herrlichkeiten“
„Standseilbahnen bezwingen die steilsten Hänge; Schwebebahnen befördern die Reisenden auf die höchsten Bergspitzen; das Telefon funktioniert in Hotels und Pensionen wie in den bescheidensten Häusern; niemand kommt ohne aus; elektrische Straßenbahnen fahren an Seeufern an zahllosen Hotels und Villen vorbei; nirgendwo bringt der moderne Fortschritt mehr erstaunliche Herrlichkeiten hervor“, wird etwa eine 1893 durch die Schweiz reisende Französin zitiert. (79)
Neben den französischen und den Schweizer Alpen, sowie den Dolomiten spielen Tirol und die niederösterreichischen Alpen in dem mehrsprachigen Bildband „The Alps 1900“ nur eine Nebenrolle.
Bergsport um 1900
Bei der Ausstellung „Alpine Seilschaften“ in der futuristischen viergeschoßigen Landesgalerie Niederösterreich in Krems hingegen kann das Gebiet um die Rax als Knotenpunkt alle Stückerln ausspielen. Neben Fotografien, Zeichnungen, Reliefkarten und Fremdenverkehrsplakaten sind es auch hochkarätige Gemälde, die ein Alpenpanorama zeigen, wie wir es heute leider nicht mehr zu sehen bekommen. Ganz und gar in Schnee gehüllt. Und mit einem stolzen Pioniergeist gesegnet.
Das wirklich Besondere dabei: Mit Gustav Jahn (1879-1919) und Otto Barth (1876-1916) hielten um 1900 nicht nur zwei befreundete akademische Maler den frühen Fremdenverkehrs-Hotspot im Alpenraum künstlerisch fest, die beiden waren auch begabte und wagemutig Bergsteiger. Jahn schrieb etwa mit der Erstbegehung der Südwand der Großen Bischofsmütze im Dachsteingebirge Alpingeschichte.
Die in der Landesgalerie in Krems noch bis 8. Oktober ausgestellte alpine Seilschaft ist aber erst mit ihr komplett: Mizzi Langer-Kauba (1872–1955). Die gebürtige Wienerin war die einzige weibliche Teilnehmerin, die 1905 am ersten Skirennen in Lilienfeld teilgenommen hat. Schon zuvor war der resolute Outdoor-Fan dem Duo Jahn und Barth eine passionierte Begleiterin auf etlichen Wander- und Klettertouren.
Mizzi, wer? Bergfreunden ist sie ein Begriff. Ihr Name prangt noch heute in großen Lettern auf einem Bürgerhaus in der Wiener Kaiserstraße 15. Ebendort hat sie mit dem „Sporthaus“ 1896 Österreichs erstes Geschäft für sportive Belange eröffnet.Gustav Jahn, der Künstler, illustrierte die aufwendig gestalteten Kataloge dazu. Längst nennt sich das Geschäft „Bergfuchs“, aber nach wie vor ist man der Pionierin verpflichtet.
Nostalgischer Blick
Sicher, die Klimaerwärmung und die mit ihr verbundenen seit Jahren stetig steigenden Temperaturen haben ihre Spuren auch in den Alpen hinterlassen. Gletscher schrumpfen, Murenabgänge und Waldbrände häufen sich, heile Berge schauen anders aus.
Sowohl der Bildband „The Alps 1900“ als auch die Ausstellung „Alpine Seilschaften“ zelebrieren eine noch intakte Berglandschaft. Sich beide genau anzusehen, auch mit einem nostalgischen Blick, lohnt sich dennoch: Weil es nicht unbedingt als Flucht vor der Gegenwart verstanden sein muss, sondern als Anleitung für einen bewussteren Umgang mit der Natur.
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